43 russische Wintersportlerinnen und -sportler hatte das IOC in den letzten Monaten wegen der „Verwicklung“ in das angebliche russische „Staatsdoping“ lebenslang für Olympia gesperrt. In der vorigen Woche hob das CAS, der Internationale Sportgerichtshof in Lausanne, die lebenslangen Sperren gegen 39 von ihnen wegen unzureichender Beweislage auf. Für 28 Sportler galt das ab sofort. Drei Fälle werden, da die betroffenen Biathletinnen ihre Karriere bereits beendet haben, erst später verhandelt.
Doch wie sich schnell zeigte, ist diese CAS-Entscheidung nicht viel wert. Das CAS ist ein vom IOC im Jahr 1984 eingerichtetes – und formal – unabhängiges internationales Schiedsgericht, das im Sport letzte Entscheidungsinstanz in Streitfragen zum internationalen Sportrecht ist. Sein sollte. Denn ob das IOC überhaupt an eine unabhängige Sportgerichtsbarkeit glaubt, ist nach dem jetzigen Vorgang mehr als fraglich. Schon vor der Entscheidung des Gerichts hieß es, man werde auch im Falle eines Freispruchs die gesperrten Sportlerinnen und Sportler nicht für die Olympiade in Pyeongchang zulassen. Und am Sonntag kritisierte IOC-Chef Thomas Bach zudem das Urteil scharf. Er forderte eine Strukturreform des CAS. Angeblich um eine Rechtsprechung mit Qualität und Kontinuität zu garantieren. „Wir können nicht riskieren, dass der CAS seine Glaubwürdigkeit bei den Athleten verliert“, erklärte Bach. Dass dem CAS die Aussagen des „Kronzeugen“ Rodschenkow, der lange Zeit Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors war und mittlerweile in den USA lebt, sowie die anderen, vom IOC vorgelegten Nachweise nicht ausreichten, um eine persönliche Schuld der Betroffenen am organisierten Doping festzustellen, schmeckte den Herrschaften im IOC offenbar gar nicht. Offenbar hatten sie auf Bestätigung und Rückhalt gehofft. Und so wirkt Bachs Aussage wie eine Drohung.
Mittlerweile ist zudem klar: Die „Freigesprochenen“ haben tatsächlich keine Chance an den Olympischen Spielen in Pyeongchang teilzunehmen. Am Montag wurde bekannt, dass die unabhängige Prüfkommission des IOC die Bewerbung von 13 Sportlerinnen und Sportlern sowie zwei Trainern aus dem Kreis der Betroffenen und damit ihre Einladung zu den Spielen ablehnte. Man habe nicht genug Sicherheit, dass diese 13 Sportler tatsächlich „sauber“ seien. Die Einladung ist nötig, weil russische Sportlerinnen und Sportler in Pyeongchang nur unter neutraler Flagge und ohne Hymne starten dürfen. Sie werden nach der Suspendierung des Russischen Olympischen Komitees Anfang Dezember 2017 als „Olympische Athleten aus Russland“ (OAR) geführt. Die Prüfkommission des IOC hatte in den vergangenen Wochen aus über 500 von russischer Seite vorgeschlagener Athletinnen und Athleten 169 ausgewählt und eingeladen. Zu den 13 Sportlerinnen und Sportlern, denen nun eine nachträgliche Einladung verweigert wurde, gehören die Olympiasieger Alexander Legkow (Langlauf) und Alexander Tretjakow (Skeleton). Beide hätten in Pyeongchang zumindest Medaillenchancen gehabt. IOC-Präsident Thomas Bach lobte danach die Arbeit der unabhängigen Prüfkommission: „Das Gremium hat erneut eine großartige Arbeit geleistet.“ Er betonte zudem, dass die Kommission die nur durch eine Nummer gekennzeichneten Russen anonym und unter Ausnutzung verschiedener Informationsquellen geprüft hätte. Dies mache die Entscheidungen der Kommission so wertvoll, „weil sie gewissenhaft und auf gleiche und sehr faire Weise für alle Athleten“ gearbeitet hätte.
Was heißt das? Hat das CAS etwa nicht „gewissenhaft und auf gleiche und sehr faire Weise“ gearbeitet? Das ist kaum anzunehmen. Wurden ihr etwa nicht alle – gegen die Betroffenen gerichteten – Beweise vorgelegt? Auch das ist angesichts des Eifers unwahrscheinlich, mit dem man die Beteiligung der betroffenen Sportlerinnen und Sportler am „russischen Staatsdoping“ und ihre individuelle Schuld nachweisen wollte. Die Entscheidung stand schon vorher fest.
Nur: Aktuell gibt es angeblich Daten über Doping im Langlauf. Von 2001 bis 2017 sollen über 300 Medaillengewinner von Olympia und Weltmeisterschaften – unter ihnen neben russischen Sportlerinnen und Sportlern, von denen die Mehrheit jetzt sowieso nicht starten dürfte, auch solche aus Norwegen, Schweden und Deutschland – verdächtige Blutwerte aufweisen.Über 50 von ihnen stehen auf den Startlisten von Pyeongchang. Wenn das keine Ente ist, die von Journalisten in die Welt gesetzt wurde, die ihre Karriere der „Dopingjagd“ zu verdanken haben? Was dann, was nun IOC?
Wer glaubt da noch, dass es wirklich nur um „sauberen“ Sport sowie faire Wettkämpfe und nicht um Politik und vor allem das Geschäft geht?
Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin
Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.
Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.
Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.