Spahn will von Lizenzvergabe für Impfstoff nichts wissen. Russland und China machen es vor

Es geht auch anders

Die Schwächsten zu schützen, das ist das erste Ziel“, hatte Gesundheitsminister Jens Spahn nach der Zulassung des ersten Impfstoffes von Biontech/Pfizer Ende des vergangenen Jahres versprochen. Nun steht er mit leeren Händen da. Das Chaos um fehlende Schutzmasken und -kleidung wiederholt sich.

Die Impfstoffbestellungen laufen zentral über die EU. Die ließ sich Zeit und orderte erst im November 2020 und dann nur 300 Millionen Dosen, was effektiv zum Schutz von 150 von 460 Millionen EU-Bürgern ausreicht. Zum Zeitpunkt der Bestellung war also schon klar, dass der Impfstoff knapp werden würde. Spahn hatte offenbar auf die zügige EU-Zulassung des zweiten Impfstoffs von Moderna gesetzt, musste aber am 30. Dezember mitteilen, dass „die genauen Lieferpläne für diesen Impfstoff“ noch abgestimmt werden müssten.

Biontech-Chef Ugur Sahin machte im Gespräch mit dem „Spiegel“ aus seiner „Verwunderung“ über die Einkaufspolitik der Bundesregierung kein Geheimnis. Ob Biontech in absehbarer Zeit die Lücke durch Mehrproduktion füllen könne, ließ er offen. Der Konzern hat durch seine bisherige Monopolstellung im europäischen Raum erhebliche Profite realisiert. Die Bundesregierung finanzierte die Impfstoffproduktion mit 375 Millionen Euro aus Steuergeldern und zahlt an das Pharmaunternehmen 17 Euro je Dosis. Der Konzern weigert sich, die Produktionsbasis des Impfstoffs durch die Vergabe von Lizenzen an Drittfirmen zu verbreitern. Das würde die Gewinne erheblich schmälern.

Gesetzlich könnte Biontech allerdings – da Arzneimittel ein Allgemeingut darstellen – gezwungen werden, Lizenzen zu vergeben. Die Grundlage hierfür bietet Paragraph 52b Arzneimittelgesetz – AMG (Bereitstellung von Arzneimitteln). Dazu ist die Bundesregierung nicht bereit. Der Gesundheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“, Achim Kessler, kommentiert: „Wenn die Bundesregierung jetzt nicht alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpft, gefährdet sie zahllose Menschenleben.“

Derweil führt Russland auf internationaler Ebene vor, wie mit der Vergabe günstiger Lizenzen die Massenproduktion des Impfstoffs „Sputnik V“ weltweit aufgenommen werden kann. Indien, Südkorea und auch Ungarn haben bereits entsprechende Verträge für den ab 1. Januar erhältlichen Impfstoff gezeichnet. Auch für das Anti-Corona-Medikament Avavir vergaben die russischen Hersteller Chromis und ChemRar Lizenzen an sieben Länder Lateinamerikas. Neben der verbilligten Lizenzabgabe hat Sputnik V, wie auch der jüngst zugelassene chinesische Impfstoff CoronaVac, den entscheidenden Vorteil, dass eine Lagerung bei Kühlschranktemperatur möglich ist, während das Biontech-Vakzin eine ununterbrochene Kühlkette mit minus 70 Grad Celsius benötigt.

Die chinesische Regierung hatte bereits im Spätsommer 2020 angekündigt, für die rasche Auslieferung des Impfstoffs, der entsprechend den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „weltweit öffentliches Gut“ einzustufen und für jeden zugänglich sein solle, zu sorgen. Die Auslieferung hat Ende Dezember begonnen, mit vielen Staaten bestehen Lieferverträge, in die Türkei gehen allein 50 Millionen Dosen. Für die Erwerberländer haben chinesische Banken zinsgünstige Kreditprogramme aufgelegt.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Es geht auch anders", UZ vom 8. Januar 2021



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