Hisbollah will keinen „entscheidenden Krieg“, gibt sich aber gerüstet

Eskalation vorerst vermieden

Der Stern des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ist seit dem 7. Oktober im Sinken begriffen. In einer Umfrage meinten drei Viertel der Befragten, er solle sein Amt aufgeben. Selbst seine treuesten Anhänger verlieren das Vertrauen in „König Bibi“. Und in einem Kommentar in der Zeitung „Haaretz“ hieß es: „Die zwei am tiefsten liegenden Punkte der Welt befinden sich in Israel: das Tote Meer und Netanjahus Politik.“

Es hilft Netanjahu nicht, dass einer seiner Minister einen Gedanken offen ausgesprochen hat, mit dem viele spielen: Israel solle Gaza mit einer Atombombe auslöschen. Amihai Eliyahu, der das Ministeramt für Kulturerbe innehat, wurde daraufhin auf unbegrenzte Zeit von Kabinettstreffen ausgeschlossen. Ein schlechter Witz sei das, meinen viele seiner Kollegen, da das Kabinett sich zurzeit sowieso kaum treffe.

Die kleine Gruppe des Kriegskabinetts dagegen trifft sich häufig, erneut wieder mit US-Außenminister Antony Blinken.
Das Ziel der israelischen Regierung ist nach wie vor, die Hamas zu zerstören, in Gaza ebenso wie auf der Westbank. Die palästinensische Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas soll Gaza übernehmen. Abbas ist dazu vorerst nur bereit, wenn es zu einer umfassenden politischen Lösung kommt.

Die USA stehen damit in ihrer Politik vor einem Dilemma. Israel soll den Krieg gegen Gaza klar und überzeugend gewinnen, womöglich die Geiseln und Kriegsgefangenen befreien, aber zugleich die öffentliche Wahrnehmung mit einer humanitären Pause im Krieg befrieden und verhindern, dass der Konflikt sich regional ausweitet. Blinken zauberte dafür sogar eine Idee hervor, die seit 30 Jahren zirkuliert: „Die Vision von zwei Staaten soll den Menschen etwas geben, worauf sie hoffen könnten“, so zitierte ihn die „Times of Israel“. Zurzeit versucht CIA-Direktor William Burns mit seinem Besuch in der Region, eine Ausweitung des Krieges zu verhindern.

Dieser Versuch erfolgt nicht nur diplomatisch, sondern auch mit militärischer Drohung – Flugzeugträger wurden in die Region verlegt. Trotzdem griffen die Ansarallah vom Jemen aus Ziele in Israel an, militärische Einrichtungen der USA im Irak und in Syrien werden von Milizen attackiert. Die große Unbekannte aber ist die zweite Front im Norden Israels an der Grenze zum Libanon: Wie intensiv wird die Hisbollah in den Krieg eingreifen?

In einer Rede am Freitag vergangener Woche gab der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, eine lang erwartete Antwort. Seit dem 8. Oktober greift die Hisbollah immer wieder militärische Ziele im Grenzgebiet zu Israel an. Es sei ein Krieg, wie ihn Israel noch nie gesehen habe. Dieser Krieg binde bedeutende Kräfte der israelischen Armee und Raketenabwehr, meinte Nasrallah, und unterstütze damit Gaza gegen die Besatzungsmacht. Die Siedlungen in Grenznähe, darunter Kirjat Schmona mit mehr als 20.000 Einwohnern, mussten geräumt werden.

Die Hisbollah erwarte keinen alles entscheidenden Krieg, sei aber dafür gerüstet. Und schließlich gelte, so Nasrallah: Wer einen regionalen Krieg verhindern will, muss die Angriffe auf Gaza stoppen.

Fast nach Belieben kann die Hisbollah den militärischen Druck erhöhen oder verringern. Kurz nach Nasrallahs Rede griff sie mit nie zuvor eingesetzten schweren Raketen israelische Installationen im Grenzgebiet zwischen Libanon und Israel an. Bisher bleibt es eine kontrollierte Eskalation. Auf eine Provokation der israelischen Luftwaffe, die das zivile Fahrzeug eines Journalisten mit vier Erwachsenen und drei Kindern angriff – die Kinder und eine Erwachsene wurden getötet –, antwortete die Hisbollah unmittelbar mit zwei begrenzten Angriffen auf Kirjat Schmona.

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"Eskalation vorerst vermieden", UZ vom 10. November 2023



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