Coronavirus-Infektionen führen zur Debatte um Arbeits­bedingungen und Werkverträgen in der Fleischindustrie. Doch Werkverträge gibt es nicht nur dort.

Ganz normaler Sumpf

Nach Bekanntwerden von Corona-Infektionen in einer Reihe von Schlachtbetrieben stehen die dort seit langem herrschenden Arbeitsbedingungen, das Konstrukt aus Werkverträgen und Subsubunternehmern sowie die engen Sammelunterkünfte für die meist osteuropäischen Schlachter, in der öffentlichen Kritik. Einer der Betriebe, in denen der Corona-Ausbruch zur öffentlichen Wahrnehmung der Situation der Beschäftigten geführt hat, ist Westfleisch in Coesfeld. Der DGB-Kreisvorsitzende Ortwin Bickhove-Swiderski schildert im UZ-Interview, dass der Profit, den das Unternehmen einfährt, auf Kosten der Arbeiterinnen und Arbeiter zustande kommt.

Das Bundeskabinett beschloss zwar in der letzten Woche Eckpunkte eines „Arbeitsschutzprogramms für die Fleischwirtschaft“, das schärfere Kontrollen und höhere Bußgelder vorsieht. Es war sogar von einem „Verbot“ von Werkverträgen die Rede, doch nur in der Fleischindustrie werden die Bedingungen verschärft, ab 2021 und für große Betriebe. Außerhalb der Fleischindustrie bleibt alles beim Alten – so auch in der Automobilindustrie, wo Werkverträge in noch größerem Ausmaß angewendet werden. Bei Werkverträgen handelt es sich in Wirklichkeit um ein riesiges Betrugsmanöver, meint Elmar Wigand von „aktion ./. arbeitsunrecht“. Seiner Ansicht nach hätte der Staat diesen Sumpf längst trockenlegen können, wenn er dies gewollt hätte.

Der Standort von Westfleisch in Coesfeld war einer der Hotspots der Corona-Pandemie. Rund 260 Beschäftigte sind in der Vergangenheit positiv getestet worden. Nun hat der Betrieb wieder die Produktion aufgenommen. Darüber sprach die UZ mit Ortwin Bickhove-Swiderski.

UZ: Billig produziertes Fleisch ist ein deutscher Exportschlager. Nachdem die Bundesrepublik bis in die 1990er-Jahre Fleisch importiert hat, hat sich das bis heute massiv verändert. Im Jahr 2018 wurden von rund acht Millionen Tonnen erzeugtem Fleisch 5,7 Millionen Tonnen ausgeführt.

Welche Bedingungen hat die Politik geschaffen, um mit diesen Billigprodukten die ausländischen Märkte zu überschwemmen?

221302 Ortwin - Ganz normaler Sumpf - Fleischproduktion - Hintergrund
Ortwin Bickhove-Swiderski ist DGB-Kreisvorsitzender in Coesfeld

Ortwin Bickhove-Swiderski: Der Wettbewerb ist im fleischproduzierenden Gewerbe brutal und geht auf die Knochen der meist osteuropäischen Arbeiter. Allein Westfleisch liefert billiges Fleisch in über 40 Länder. Dabei sollten wir auch über das Tierwohl nachdenken. Um eine Zahl zu nennen. Täglich werden bei Westfleisch in Coesfeld 9.000 Schweine geschlachtet, in der Woche somit 35.000 Schweine. Westfleisch hat einen Antrag an die Stadt Coesfeld gestellt, die Schlachtungen auf 55.000 Schweine je Woche hochzufahren. Alle Stadtverordneten mit Ausnahme der Grünen-Stadtverordneten haben den Antrag der Firma unterstützt.

UZ: Wie ist die Struktur der Beschäftigten bei Westfleisch in Coesfeld?

Ortwin Bickhove-Swiderski: Bei dem Unternehmen in Coesfeld sind 250 Beschäftigte direkt bei Westfleisch mit einem Stundenlohn von 13,61 Euro für Schlachtung und Zerlegung tätig. Weitere 260 Kolleginnen und Kollegen sind bei einer hundertprozentigen Tochter von Westfleisch, der Firma (WEPRO), mit einem Stundenlohn von 9,50 Euro tätig, der Mindestlohn liegt bei 9,25 Euro. Dann sind circa 550 Menschen bei fünf Werkvertragsfirmen beschäftigt. Was dort gezahlt wird, entzieht sich leider unserer Kenntnis. Hier zeigt sich, wie wichtig die DGB-Forderung ist: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Nach dem jetzigen Skandal hat die Firma Westfleisch angekündigt, etwa 350 Beschäftigte von einem Werkvertragsarbeitgeber zu übernehmen. Zu den Konditionen sagt einer der Bosse, wir halten an dem Drei-Säulen-Prinzip fest, was bedeutet, eigene Mitarbeiter, Werkvertragsarbeitnehmer sowie Beschäftigte in Arbeitnehmerüberlassung.

UZ: Was hat aus deiner Sicht dazu geführt, dass sich das Coronavirus in der Belegschaft bei Westfleisch so stark ausbreiten konnte?

Ortwin Bickhove-Swiderski: Das unabhängige Verwaltungsgericht in Münster hat die massiven Verstöße in seiner Entscheidung gegen Westfleisch dokumentiert. Fehlender oder unkorrekt aufgezogener Mundschutz, kein Einhalten des Mindestabstandes von 1,5 Meter bei der Zerlegung. Der unzureichende Transport, etwa sechs bis acht Kolleginnen und Kollegen in den Sprinterbussen von und zur Arbeit. Der Umkleidebereich ist zu eng, der Mindestabstand konnte nicht eingehalten werden.

UZ: Mit Werkverträgen wird das deutsche Arbeitsrecht unterlaufen. Die Beschäftigten haben keinerlei Mitbestimmungsrechte, Arbeitszeitregelungen werden vielfältig umgangen, ob selbst der gesetzliche Mindestlohn bei den Kolleginnen und Kollegen ankommt, scheint häufig fraglich. Was fordert und plant eure DGB-Region, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten?

Ortwin Bickhove-Swiderski: Wir als DGB-Kreisverband Coesfeld planen eine Konferenz zu dem Thema. Dort müssen alle Beteiligten an den Tisch. Wir fordern ein Verbot der Werkverträge. Der Arbeitsschutz in NRW muss personell aufgestockt werden.

Auch in den kommunalen Parlamenten muss bei einer Auftragsvergabe auf den Tariflohn geachtet werden, da setzen wir auch auf die DKP-Abgeordneten in den Parlamenten. Das Land NRW muss eine Bundesratsinitiative starten. Wir haben ein umfangreiches Positionspapier erstellt, es kann über den DGB-Kreisverband Coesfeld angefordert werden.
Auch muss kritisch hinterfragt werden: Ist die Fleischbranche wirklich systemrelevant? Und warum sind dann dort solche Arbeitsbedingungen möglich? Wir müssen hier gemeinsam tätig werden, Parteien, Kirchen und Sozialverbände. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Grundgesetz macht keine Unterscheidung zwischen osteuropäischen Arbeitnehmern und anderen Arbeitnehmern. Der Gesundheitsschutz muss über den Profitinteressen von Westfleisch stehen.

Nur nebenbei angemerkt: Im letzten Jahr wurden bei Westfleisch 10,7 Millionen Euro Gewinn erzielt. Die Gier nach dem Mammon muss unersättlich sein. Wir müssen als Gewerkschafter und linke Kräfte eine sozialpolitische Debatte anstoßen. Jeder Grundstein des Kapitalismus muss umgedreht werden und wir sollten für eine neue, gerechte und friedliche Welt, auch mit einer auskömmlichen Rente, streiten. Dazu muss man aber Mitglied einer DGB-Gewerkschaft werden und sich organisiert in die politische Debatte einbringen. Auch müssen Fragen über eine Gesellschaftsform gestellt werden. Als überzeugter Schalker zitiere ich gerne Rudi Assauer: „Wenn der Schnee schmilzt, sieht man, wo die Kacke liegt.“

Das Gespräch führte Werner Sarbok

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"Ganz normaler Sumpf", UZ vom 29. Mai 2020



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