Auf den parlamentarischen Putsch in Brasilien folgt ein erbitterter Machtkampf

Gauner am Ruder

Von Peter Steiniger

Seit mehr als einem Jahr mobilisiert Brasiliens linke Opposition unter der Losung „Fora Temer!“ (Weg mit Temer!) ihre Anhänger gegen den Staatschef. Am 12. Mai 2016 hatte Michel Temer von der rechtsopportunistischen Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB) das Amt zunächst provisorisch übernommen, nachdem eine Mehrheit der Abgeordneten des konservativ beherrschten Unterhauses die erst im Oktober 2014 gewählte Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) suspendiert hatte. Am 31. August wurde Rousseffs Absetzung nach einem – wegen angeblicher Haushaltstricks durchgeführten – Amtsenthebungsverfahren durch eine Abstimmung des Senats dann endgültig. Der vormalige Vizepräsident Temer – von Rousseff politisch abgemeldet – war am Ziel seiner Vendetta. Dank eines kalten Putsches unter Mitwirkung hoher Kreise der Justiz, der das Ergebnis einer Intrige rechter Parlamentarier war, konnte er sich das Präsidentenamt ergaunern. Für den Anschlag auf die Demokratie floss Geld aus den schwarzen Kassen großer Kapitalgeber, um damit etliche Abgeordnetenstimmen kaufen zu können. Am Drehbuch zu diesem Coup hatten – wie bereits bei der Errichtung der zivil-militärischen Diktatur 1964 – die US-Dienste mitgeschrieben. Wie unter anderem aus Veröffentlichungen der Enthüllungsplattform Wikileaks hervorgeht, steht das ressourcenreiche Brasilien seit Jahren wie kaum ein anderes Land in deren Fokus.

Temers Kabinett reicher alter weißer Männer drehte Brasiliens Politik sofort auf Gegenkurs zu dem Programm, das 2014 ein Wählervotum erhalten hatte. Sie folgt nun wieder asozialen neoliberalen Grundsätzen, außenpolitisch kehrte das größte Land Südamerikas in das Fahrwasser der US-Administration zurück, bildet mit weiteren in dieser Richtung orientierten Staaten – wie Argentinien, Mexiko und Paraguay – einen neuen rechten Block in der Region. Gefördert wurde die Wende in Brasília, die eine mehr als 13 Jahre währende Ära von PT-geführten Regierungen beendete, verstärkt seit 2013 durch eine massive, die Bevölkerung scharf polarisierende Kampagne der mächtigen Konzernmedien, allen voran des Globo-Konzerns. Temer und die seinen wurden nun als Retter des Vaterlandes ausgegeben. Trotz etlicher Skandale um tief im Korruptionssumpf watende Mitglieder seiner Regierung – ein Minister nach dem anderen musste wegen Anklagen zu kriminellen Machenschaften die erste Reihe wieder räumen – konnte diese zunächst auf das Wohlwollen der von der Oligarchie bestellten Meinungsmacher zählen. Die Temer-Regierung würde das umsetzen, was „die Märkte“ wünschten und die in einer tiefen Rezession steckende Wirtschaft zum Wohle aller wieder ankurbeln, so wurde propagiert.

Trotz der medialen Schützenhilfe verfiel Temers ohnehin niedriger Kurs bei der Bevölkerung stetig. Vom versprochenen Aufschwung ist für die meisten Brasilianer nichts zu spüren. Im Gegenteil: Das Leben verteuert sich weiter, die offiziellen Arbeitslosenzahlen erreichen immer neue Rekordwerte. Landesweit wird der Protest auf der Straße gegen die „Reformen“ stärker. Die Menschen empören sich über die Änderung der Verfassung, mit der die Staatsausgaben zu Lasten von Bildung, Sozialem und Gesundheit für Jahre im voraus gedeckelt wurden. Temers Pläne zur Beschneidung der Renten und Eliminierung von Arbeitsrechten treffen auf den Widerstand der Gewerkschaften, linken Parteien und sozialen Bewegungen. Immer brutaler wird die Repression der Staatsmacht gegen die Demonstranten.

Am 28. April erlebte Brasilien den größten Generalstreik seit Jahrzehnten. Rousseffs Vorgänger als Präsident, Lula da Silva von der PT, dessen Regierungen große Sozialprogramme ins Leben gerufen und Millionen Brasilianer aus der Armut geholt hatten, legt indessen in Umfragen immer weiter zu. Bei regulär 2018 wieder anstehenden Präsidentschaftswahlen wäre Lula haushoher Favorit. Für die Eliten, die den Putsch förderten, ist seine Rückkehr an die Spitze des Staates ein Schreckensszenario. Ein rechter Richter mit engen FBI-Kontakten überzieht Lula seit Monaten mit Phantasieklagen, die darauf abzielen, ihn politisch auszuschalten.

Seit Mitte Mai hat das „Weg-mit-Temer“-Lager Zuwachs besonderer Art. Die Globo-Medien schießen nun aus allen Rohren auf den von ihnen selbst mit ins Amt gehobenen Präsidenten. Anlass boten der kompromittierende Mitschnitt eines Gesprächs Temers mit dem Boss des JBS-Fleischkonzerns und eine von der Polizei mitgefilmte Schmiergeldübergabe an einen Gewährsmann des Präsidenten. Tag für Tag wird mit neuen Enthüllungen nachgelegt.

Temers Bananenrepublik ist schlecht fürs Geschäft, stärkt die Opposition. Bei einem Rücktritt muss der Präsident den Knast fürchten. Mit allen Mitteln zögert er deshalb sein Ende hin­aus, verspricht Steuersenkungen für die Reichsten und sabotiert die Justiz. Ein kurzes und dunkles Kapitel in Brasiliens Geschichtsbüchern ist ihm bereits sicher.

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"Gauner am Ruder", UZ vom 16. Juni 2017



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