Zur Eskalation des Taiwan-Konfliktes

Gefährliche Provokationen

Die US-„Strategie-Elite“ führt seit Jahren intensive Debatten, wie mit der „Bedrohung“ ihrer Supermachtposition durch die aufstrebenden Mächte China und Russland umgegangen werden soll. Ziel dabei ist, die ökonomischen Fortschritte und die darauf basierende militärische Macht dieser Staaten zurückzudrängen, Krisen auszulösen und einen Regime-Change zu erreichen. Strittig war lange, auf welche Weise dies zu geschehen habe, mit welchen der beiden eurasischen Hauptmächte man beginnen solle und mit welchen Bündniskonstellationen dies möglich wäre.

Unter US-Präsident Donald Trump hatte sich die China-Variante durchgesetzt. Trump begann einen veritablen Handelskrieg. Ohne Erfolg. Im Gegenteil, er verprellte nicht wenige der engsten US-Verbündeten. Unter seinem Nachfolger Joseph Biden wurde es, sehr zum Erstaunen vieler Gutgläubiger, eher schlimmer. Washington verschärfte sowohl den militärisch-ökonomischen Krieg gegen Russland als auch den „Great Power Competition“ genannten Machtkampf gegen die Volksrepublik.

Das Bemerkenswerte am nun von Washington eskalierten Konflikt um Taiwan ist, dass er einer Strategie folgt, die an anderer Stelle gerade scheitert. Wie im vom Westen losgetretenen Ukraine-Konflikt wird auch in Taiwan ein von Washington installiertes Marionettenregime dazu benutzt, einen aggressiven Frontstaat zu installieren. Dazu erweist sich Taiwans sogenannte Democratic Progressive Party (DPP) unter Führung von Tsai Ing-wen als ideales Werkzeug. Wie der ukrainische Präsident Wladimir Selenski ist auch Tsai bereit, existentielle Interessen ihrer Bevölkerung dem US-gesteuerten geopolitischen Vabanquespiel zu opfern. Ja, man kann sagen, die Existenz der von ihnen verwalteten Länder aufs Spiel zu setzen. Washington hat die strategische Verwendungsfähigkeit von Tsai und Selenski früh erkannt und beide massiv gefördert.

Man muss es wiederholen: Taiwan ist kein souveräner Staat, sondern ein Teil Chinas seit Hunderten von Jahren. Das haben nahezu alle Staaten, selbst die USA, anerkannt. Die übergroße Mehrheit der Taiwaner unterstützt ebenfalls diese Ein-China-Politik. Ein Umstand, der die imperialistischen Länder insgesamt allerdings nicht daran hindert, den Separatismus der DPP nach Kräften, auch mit schweren Waffen, US-Militärpersonal auf der Insel und mit regelmäßigen Flottenaufmärschen voranzubringen. Um dieses Unternehmen auch international abzusichern, wurden sowohl das antichinesische Quad-Bündnis (USA, Australien, Indien, Japan) wie auch der ebenso ausgerichtete AUKUS-Pakt (Australien, Großbritannien, USA) aus der Taufe gehoben. Die Biden-Regierung ist sich darüber im Klaren, dass China einer Unabhängigkeitserklärung Taiwans auf keinen Fall zustimmen kann. Ebenso wie in der Ukraine geht es den US-Strategen darum, den Gegner zur Abgabe des ersten Schusses zu provozieren, um dann mit der konzentrierten Kraft der westlichen Propagandamaschine im Rücken zum „Gegenangriff“ übergehen zu können.

Die Reaktion Pekings auf den Besuch von Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, war eine Demonstration militärischer Stärke. Anders als in der Vergangenheit ist die Volksrepublik heute durchaus in der Lage, US-Kriegsschiffe selbst bei deutlicher Distanz zum chinesischen Festland mit Raketen zu versenken und ebenso den Luftverkehr zu stoppen. Die Volksbefreiungsarmee (VBA) ist in der Lage, die Insel effektiv vom internationalen Transit abzuschneiden. Um Chinas faktische militärische Kontrolle über sein gesamtes Territorium zu unterstreichen, startete die VBA massive Manöver rund um die Insel. Der Nimbus einer globalen militärischen Übermacht der US-Kriegsmaschine, nach dem blamablen Rückzug aus Afghanistan ohnehin in Frage gestellt, ist auf dem ukrainischen Schlachtfeld endgültig demontiert worden.Vor den Küsten Chinas könnte sich das Pentagon ein weiteres Debakel einhandeln.

Zentral beim Konflikt um die chinesische Insel ist allerdings die ökonomische Seite. Ausschlaggebend für die US-Provokationen ist natürlich der ökonomische Aufstieg Chinas. Im Jahr 2000 betrug das chinesische BIP 1,2 Billionen US-Dollar (USD), 2021 waren es 17,7 Billionen USD. Kaufkraftgewichtet fast doppelt so viel. Die Volksrepublik produziert knapp ein Drittel des globalen industriellen Outputs, die USA 17 Prozent. Diesen rasanten Aufstieg gilt es aus Sicht der Washington dominierenden US-Neokonservativen (Neocons) mit allen Mitteln zu stoppen und rückgängig zu machen. Allerdings ist die bislang erreichte ökonomische Stärke Chinas so attraktiv, dass viele Staaten, insbesondere die asiatischen, wenig Neigung verspüren, auf den westlichen Sanktionszug aufzuspringen. Es ist nicht die Zeit der G7, sondern der Shanghai-Kooperation und der BRICS-plus-Zusammenarbeit. Selbst Taiwans Exportanteil nach Festlandchina, inklusive Hongkong, beträgt fast 50 Prozent. Ein Handelsstreit mit Peking wäre für Taipeh selbstmörderisch. Nebenbei bemerkt, ähnlich dramatisch sieht es auch bei zahlreichen deutschen Unternehmen aus. Würden ähnliche Sanktionen wie gegen Russland auch gegen China verhängt, könnte ein großer Teil der ohnehin massiv angeschlagenen deutschen Industrie endgültig dichtmachen.

Das Rückgrat der chinesischen Taiwan-Politik ist seine ökonomische und diplomatische Attraktivität. China belehrt und erpresst niemanden. wie es die westlichen Politiker so gern tun. Seine Ökonomie, der Handel, die Infrastrukturmöglichkeiten der Belt-and-Road-Initiative, bieten Entwicklungschancen, die der Westen nicht offerieren kann. China muss nur abwarten und seine Stärken ausspielen. Es braucht keinen Krieg zu riskieren. Die Zeit ist auf seiner Seite.

Die US-Neocons, die Blinkens, die Sullivans oder Nulands, welche die Politik des US-Imperiums und damit des kollektiven Westens insgesamt seit mehreren Jahrzehnten beherrschen, haben nicht die Fähigkeit beizudrehen und zu einer ihren geschrumpften Möglichkeiten adäquaten, friedlichen Politik der eigenen Sanierung und der Wiederherstellung eigener Prosperität zurückzufinden. Der Neoliberalismus, der den Westen seit vier Jahrzehnten in seinen Klauen hält und zu einer katastrophalen Selbstruinierung geführt hat, ist zwar auf ganzer Linie gescheitert, aber nicht abwählbar. Dazu sind die „0,1 Prozent“ zu reich geworden. Es bedürfte einer Revolution. Der Weg in den Abgrund ist seit langem programmiert. Das Imperium ist nur noch durch die Externalisierung seiner Schulden und die Ausbeutung der Welt über den Dollar und die finanzkapitalistische „Globalisierung“ überlebensfähig. Da genau das jetzt zusammenbricht, macht diese Lage den zweiten Kalten Krieg noch gefährlicher als den ersten. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass nicht wenige in Washington, aber auch in Berlin, Brüssel, Paris oder London, lieber die ganze Welt mit in den Untergang reißen würden als den eigenen Verfall und Bedeutungsverlust zu akzeptieren.



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