Die Meinungsfreiheit wird immer stärker eingeschränkt. Ein Gespräch mit dem Kriegsgegner Heinrich Bücker

Gegen die Einschüchterung

Seit über einem Jahr wird der Berliner Friedensaktivist Heinrich Bücker von der Justiz verfolgt. In einer Rede zum 81. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion hatte er auf die Ursachen des Krieges in der Ukraine hingewiesen und vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte klargestellt, dass Deutsche nie wieder „an einem Krieg gegen Russland in irgendeiner Form beteiligt sein“ dürfen. Ihm wurde anschließend in einem Strafbefehl vorgeworfen, gegen Paragraf 140 des Strafgesetzbuches verstoßen zu haben. Seine Rede habe das „Potenzial (gehabt), das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima der Bevölkerung aufzuheizen“. UZ sprach mit ihm über sein nach zwei Freisprüchen noch immer laufendes Verfahren, die Einschränkungen der Meinungsfreiheit und Möglichkeiten des Widerstands.

UZ: Seit deiner Rede vom 21. Juni 2022 musstest du vor verschiedenen Gerichten um dein Recht auf Meinungsfreiheit kämpfen. Kannst du kurz zusammenfassen, was dir vorgeworfen wurde und wie es dir ergangen ist?

Heinrich Bücker: Nach der Rede am Jahrestag des „Unternehmen Barbarossa“ wurde ich von einem Berliner Rechtsanwalt, der für eine große Kanzlei arbeitet, angezeigt, weil ich mit meiner Rede eine Straftat begangen hätte. Als Betreiber des „Coop Anti-War Café“ in Berlin Mitte wurde ich im Oktober 2022 in einem Strafbefehl zu einer Geldstrafe in Höhe von 2.000 Euro verurteilt, ersatzweise 40 Tage Haft.

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Der Vorwurf lautete auf „Belohnung und Billigung von Straftaten“. Dagegen haben wir durch meinen Anwalt Einspruch erhoben. Im April 2023 kam es zur ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten, die mit einem Freispruch endete. Dagegen wurden seitens der Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt. Damit ging der Fall in die nächste Instanz. Die erneute Verhandlung fand im Februar 2024 vor dem Landgericht Berlin statt, das wiederum auf Freispruch entschied. Das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor. Die Staatsanwaltschaft liegte auch gegen dieses Urteil Rechtsmittel ein, die Revision. Darüber wird nun die dritte Instanz entscheiden, das Kammergericht Berlin.

UZ: Zunehmend werden Kriegsgegner wegen missliebiger Äußerungen vor Gericht gezerrt oder verächtlich gemacht. Wie steht es um die Meinungsfreiheit in Deutschland?

Heinrich Bücker: Die Entwicklung ist tatsächlich extrem besorgniserregend. Nicht nur in Deutschland, sondern in fast ganz Europa ist eine regelrechte Hetze gegen die Friedensbewegung festzustellen. Es wird ganz offen über die Notwendigkeit der Kriegsbereitschaft debattiert. Die deutsche Bundesregierung ist dabei besonders aggressiv. Dabei heißt es im Grundgesetz in Artikel 5 Absatz 1 ausdrücklich: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“

Wir haben daher einen Aufruf verfasst mit dem Titel: „Meinungsfreiheit verteidigen!“. Initiiert wurde der Appell durch Laura von Wimmersperg und den Rechtsanwalt Hans Bauer. Zahlreiche Prominente haben den Appell mit ihrer Unterschrift unterstützt. Die ständige Verengung des Meinungskorridors ist mit der Würde des Menschen und der Freiheit der Persönlichkeit unvereinbar. Insbesondere stehen russische Kulturschaffende und Wissenschaftler inzwischen unter Generalverdacht. Auf der Webseite der russischen Botschaft sind zahlreiche Beispiele von Russophobie aufgeführt. In unserem Aufruf „Meinungsfreiheit verteidigen!“ heißt es deshalb: „Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte fordern wir, dieser gefährlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Wir rufen dazu auf, die grundgesetzlich verbriefte Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit zu verteidigen, wo und wann immer sie eingeschränkt wird.“

UZ: Eine Mehrheit der Deutschen ist in Umfragen gegen den Kriegskurs, zum Beispiel gegen die Lieferung von immer mehr und gefährlicheren Waffen. Aber die große Masse schweigt noch …

Heinrich Bücker: Offensichtlich wirkt diese Einschüchterung in Deutschland sehr gut. Insbesondere die russlandfreundlichen Medien werden zunehmend zensiert und sind zumeist nur noch über Umwege zu erreichen. Aber auch alternative Medien werden zunehmend kritisiert. Das ist sehr bedenklich. Die bürgerliche Presse verbreitet ununterbrochen das Mantra, Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen, vielmehr müsse die Ukraine diesen gewinnen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der über 25 Millionen toten Bürger der So­wjet­union absolut verantwortungslos.

UZ: Was wird dabei verschwiegen?

Heinrich Bücker: In der Ukraine sind 2014 nach dem illegitimen Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Janukowitsch neonazistische rechte Netzwerke an die Macht gekommen, die in Folge große Teile der Regierung, das Militär, die Geheimdienste und die Polizei unter ihre Kontrolle bringen konnten. Klar ist natürlich, dass dies nicht bedeutet, dass alle Ukrainer Nazis sind. Nur werden die Machtzentralen von Neonazis kontrolliert und weite Teile der Bevölkerung sind von deren russlandfeindlicher Propaganda stark beeinflusst. Sofort nach dem Umsturz in Kiew wurden die russische Sprache und Bücher verboten, mit Russland sympathisierende Bevölkerungsgruppen dämonisiert und sogar mit militärischen Mitteln bekämpft. Der angeblich unprovozierten Invasion der Ukraine durch Russland gingen acht Jahre eines innerukrainischen Bürgerkriegs voraus. Der nach dem Putsch an die Macht gekommene ukrainische Präsident Poroschenko bezeichnete die Angriffe auf die Bevölkerung als „Anti-Terror-Operation“. Dabei kamen über 14.000 Menschen im Donbass ums Leben. Große Teile der Infrastruktur wurden zerstört. Abertausende Menschen mussten fliehen, die meisten davon interessanterweise nach Russland.

UZ: Du hast dich nicht einschüchtern lassen und deine Positionen auch vor Gericht vertreten, also Erfahrungen gesammelt. Was kannst du anderen Kriegsgegnern raten?

Heinrich Bücker: Viele Menschen, die gegen den Krieg sind, fühlen sich isoliert und kennen oft nur wenige andere, die ihre Meinung teilen. Deshalb ist es meiner Überzeugung nach sehr wichtig, Gleichgesinnte zu suchen und andere Menschen zu aktivieren. Leute, die ähnlich denken und vielleicht auch handeln.

UZ: Für dich war es immer wichtig, im Gespräch zu bleiben – auch mit Kritikern deiner Überzeugung. Wie kann das im aktuellen „Zeitenwende“-Klima gelingen?

Heinrich Bücker: Persönlich versuche ich das in meinem Antikriegscafé, das ich seit 2005 im Zentrum Berlins betreibe. Es ist sehr wichtig, im Gespräch zu bleiben. Wir führen ständig intensive Diskussionen mit den Gästen. Viele haben die Standpunkte, die wir vertreten, noch nie gehört, aber meistens lieben sie die Atmosphäre im Café und die Tatsache, dass man offen debattieren kann. Wir betonen immer, dass wir die Politik Chinas und Moskaus gut nachvollziehen können. Und dass wir auch die Idee eines alternativen Bündnisses wie BRICS, einer multipolaren Welt und der Seidenstraße positiv sehen, weil all dies auf friedlicher Kooperation beruht und nicht auf Konfrontation. Und wir sprechen darüber, dass die Mehrheit der Menschen im Globalen Süden das ebenso sieht.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"Gegen die Einschüchterung", UZ vom 29. März 2024



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