In Koblenz feiern sich Rechte als künftige Regierungschefs

Geistig-moralische Wende

Von Hannes Schinder

Heroische Musik, ein Fahnenzug – ein paar Fackeln hätten die Zeitreise in die 30er Jahre perfekt gemacht: Die rechten Redner ziehen in die Rhein-Mosel-Halle in Koblenz ein. Hier feiern sich am vergangenen Samstag die neuen Nationalisten Europas als die kommende Macht des Kontinents – eine Mischung aus Karnevalssitzung, Oktoberfest und Eurovision-Song-Contest. Anderthalb Kilometer weiter, am Deutschen Eck, erinnert das riesige Reiterstandbild Wilhelms I. an die reaktionäre Tradition, in der dieses Treffen steht.

Die Rechten sehen sich im Aufstieg. Der Moderator kündigt die Redner als die künftigen Regierungschefs Europas an: Frauke Petry und Marcus Pretzell von der AfD, Marine Le Pen vom französischen Front National, Geert Wilders von der niederländischen PVV, Matteo Salvini von der italienischen Lega Nord und Harald Vilimsky von der FPÖ aus Österreich. Die Fraktion „Europa der Freiheit und der Nationen“ (ENF) im EU-Parlament, zu der diese Parteien gehören, richtete die Veranstaltung aus. An diesem Wochenende präsentieren sich die Spitzen der rechten Parteien als einige Kraft – zum ersten Mal. Noch im Herbst 2016 hatte ein auch in der AfD umstrittenes Treffen zwischen Petry und Le Pen heimlich stattgefunden.

Die Medien hatten vor der Veranstaltung berichtet, welche Pressevertreter die ENF von der Veranstaltung ausschließen wollte. Der Moderator verkündet, dass 350 Journalisten anwesend seien. Das Publikum ruft: „Lügenpresse!“. Die Journalisten sind sauber vom Publikum getrennt, das die Anweisung hat, nicht mit ihnen zu sprechen.

Zunächst spricht Marcus Pretzell von der Angst vor Überfremdung und bringt zum Teil haarsträubende Hirngespinste zum Ausdruck. So finanziere die EU den Terror gegen Israel, und Israel sei ein Vorbild im Umgang mit dem Islam. Auf ihn folgt Marine Le Pen, die das Ganze auf eine noch höhere Ebene hebt: Sie ist der festen Überzeugung, dass 2017 das europäische Festland erwachen wird, nachdem die USA mit der Wahl Trumps und die Briten mit dem Brexit bereits erwacht seien. Die Einwanderung verursache, sagt Le Pen, Arbeitslosigkeit und niedrigere Löhne. Die Lösung heiße Patrio­tismus, Patriotismus sei die Politik der Zukunft. Die Menge jubelt, die Stimmung erinnert an Goebbels‘ Rede im Sportpalast.

Gegen die knapp 1 000 Besucher in der Halle, die die Spitzen der europäischen Rechten bejubeln, demons­trieren draußen 5 000 Menschen. Das Bündnis „Koblenz bleibt bunt“ hat zu den Protesten aufgerufen. Regierungsvertreter dominieren die Kundgebung: Als Hauptredner treten die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer und der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn auf. Neben staatstragenden Parteien nehmen linke Gruppen und Gewerkschafter an den Protesten teil, auch die SDAJ Trier hat nach Koblenz mobilisiert.

Nach Le Pens Rede träumt Geert Wilders von einem neuen Europa. Er ist begeistert vom neuen US-Präsidenten, der am Vortag vereidigt worden ist: „Gestern ein neues Amerika, heute ein neues Koblenz und morgen ein neues Europa!“ Seine Haartolle und sein Grinsen erinnern an das Vorbild aus den USA.

Frauke Petry krönt das Ganze: Sie spricht von der planlosen Homogenisierung und Durchmischung der Völker, die sie zu bekämpfen fordert. Sie spricht davon, dass endlich Schluss sein soll damit, dass man sich für „die Taten seiner Vorfahren schämt“ – drei Tage vorher hatte Herr Höcke in Dresden Geschichtsunterricht erteilt. Während Pretzell mit seinem Lob für die israelische Apartheidpolitik auf Distanz zu den antisemitischen Stimmen in seiner Partei geht, greift Petry Höckes Angriff auf ein antifaschistisches Geschichtsbild auf. Und Petry bezieht sich auf Helmut Kohl: Der hatte in den 80er Jahren, als seine Regierung die sozialliberale Koalition ablöste, eine „geistig-moralische Wende“ versprochen. Die CDU habe diese Wende nicht eingeleitet, nun sei es an der AfD, die geistig-moralische Wende durchzusetzen. Die Schmierfrisuren und Trachtenjacken im Publikum springen von den Sitzen und träumen von der Machtergreifung im September.

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"Geistig-moralische Wende", UZ vom 27. Januar 2017



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