Erwiesen linksextremistisch?

Grund zum Spitzeln

Von Olaf Matthes

Das Gericht habe schon hinreichend festgestellt, dass Silvia Gingold eine Linksextremistin sei – deshalb solle ihre Berufung vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden nicht zugelassen werden. Das fordert der Hessische Verfassungsschutz in einem neuen Schriftsatz zum Verfahren „Silvia Gingold gegen Land Hessen“. Gingold hatte darauf geklagt, dass der Verfassungsschutz sie nicht weiter beobachten darf und die über sie gespeicherten Daten löschen muss, im Januar und September vergangenen Jahres hatten die Verwaltungsgerichte Wiesbaden und Kassel ihre Klage jeweils zum Teil abgewiesen.

Silvia Gingold ist die Tochter der antifaschistischen Widerstandskämpfer Ettie und Peter Gingold, in den 70er Jahren verboten ihr die Behörden, als Lehrerin zu arbeiten. Vor einigen Jahren hatte sie beim Verfassungsschutz angefragt, welche Daten über sie gespeichert werden – und erfahren, dass sie auch heute noch bespitzelt wird. Dagegen hatte sie geklagt, im Verfahren hatte der Verfassungsschutz auch verkündet, dass sich im Schwur der Häftlinge von Buchenwald – auf den Gingold sich wie viele Antifaschisten bezieht – eine verfassungsfeindliche Ablehnung der parlamentarischen Demokratie ausdrücke.

Wie der Verfassungsschutz Gingold genau bespitzelt musste er im Verfahren nicht offenlegen: In einem geheimen Zwischenverfahren entschieden die Richter, dass Gingold und ihre Anwälte nur 23 von 131 Seiten der Verfassungsschutzakte über sie zu sehen bekommen. Die geschwärzten Abschnitte durfte der Verfassungsschutz geheim halten, um seine Informanten zu schützen und keine Hinweise auf Überwachungspraktiken geben zu müssen.

In seinem neuen Schriftsatz erklärte der Geheimdienst nun noch einmal, dass Gingold nicht nur wegen ihres Engagements für die VVN-BdA beobachtet werden müsse. Die „von ihr ausgehenden extremistischen Bestrebungen“, formulieren die Geheimdienstjuristen, zeigten sich auch an „Verhaltensweisen im Kontext weiterer linksextremistischer bzw. linksextremistisch beeinflusster Organisationen wie namentlich der DKP, der SDAJ und der Zeitung ‚unsere Zeit‘.“ Und sie kündigen an, dass der Verfassungsschutz „in einem Berufungsverfahren weitere, die extremistischen Bestrebungen der Klägerin belegende Tatsachen vortragen könnte“. Einen kleinen Vorgeschmack geben die Geheimdienstler in einer Anlage: Dort haben sie eine Rede dokumentiert, die Gingold am 5. Mai 2017 in Kassel gehalten hatte. Der Anlass: Der 199. Geburtstag von Karl Marx. Als wäre das nicht schon schlimm genug, hatte Gingold in dieser Rede auch erwähnt, dass sie 1968 an der Gründung der SDAJ beteiligt war und dass die SDAJ „als marxistische Jugendorganisation bis heute für eine sozialistische Alternative zum kapitalistischen System“ streitet.

Für den Verfassungsschutz sind solche Aussagen Grund genug, um weiter Gingolds Mails überwachen und V-Leute Informationen über sie sammeln zu lassen. Nun wird das Gericht entscheiden, ob es ein Berufungsverfahren zulässt und Gingold noch einmal vor Gericht versuchen kann, gegen die Spitzelpraxis vorzugehen. Bereits im vergangenen Jahr hatte Gingold zu den Aussichten ihrer Klage gesagt: „Ich mache mir keine Illusionen, dass ich juristisch etwas erreichen kann. Aber ich kann mit diesem Prozess erreichen, dass die Öffentlichkeit etwas darüber erfährt, wie Menschen, die sich im Rahmen ihrer Grundrechte engagieren, überwacht, bespitzelt und in die Ecke des Extremismus gestellt werden.“

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"Grund zum Spitzeln", UZ vom 2. März 2018



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