Zu Forderungen nach längerer Arbeitszeit und mehr Sanktionen

Hammer oder Amboss

Das Bild ist seit Monaten unverändert und fräst sich in allen Manager-Hirnen dies- und jenseits der Grenzen fest: Die deutsche Wirtschaftsleistung schrumpft. Mal sind es über alle Branchen hinweg gerechnet 0,2 Prozent, mal um 0,3 Prozent oder 0,4 Prozent – aber schrumpfen tut sie unentwegt.

Auf der schrumpfenden Eisscholle wird der Kampf der Bären um die zu verteilende Nahrung naturgemäß härter. Immer panischer ringen die Besitzenden um ihre Profite – gegeneinander und vor allem auf Kosten der Arbeiter und Angestellten. Deren jahrelange Zurückhaltung hat sich nicht ausgezahlt.

Schauen wir angesichts der bevorstehenden Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie auf die Zahlen: Seit 2018 gab es tabellenwirksame Lohnerhöhungen in mehreren Tippelschrittchen von insgesamt 12,8 Prozent. Dem steht eine offizielle Inflationsrate von 23,2 Prozent seit 2018 gegenüber.

Die Kumpels in diesem Kernsektor der industriellen Produktion haben also selbst nach offiziellen Daten mehr als 10 Prozent weniger Kaufkraft als vor einem halben Jahrzehnt. Der Anteil des Einkommens für diese Personengruppe, den sie für Miete, Lebensmittel und Energie aufwenden mussten, liegt aber deutlich höher als bei Besserverdienenden. In diesen Segmenten sind die Preise stärker gestiegen als „nur“ um 23,2 Prozent. Ihr Reallohnverlust liegt daher eher bei 15 als bei 10 Prozent.

In bewusster Provokation – gezielt zum 1. Mai – machte Rainer Dulger, Präsident der „Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände“ (BDA), deutlich, dass ihm dieser Erfolg des Kapitals gegen die Interessen der Arbeiter und Angestellten nicht reicht. Er mahnte eine Wende in der Wirtschaftspolitik an und fügte wörtlich hinzu: „Dazu gehört auch: Wir werden alle mehr und länger arbeiten müssen.“ Statt der seit Jahrzehnten überfälligen Arbeitszeitverkürzung mindestens auf eine allgemeine 35-Stunden-Woche will er also eine Ausweitung der Normalarbeitszeit.

In Talkshows und Parlamentsreden sekundierten ihm Kräfte aus dem ganzen etablierten Parteienspektrum und ergänzten, dass die Sanktionen gegen sogenannte „Arbeitsunwillige“ verschärft werden müssten, um sie – egal unter welchen Bedingungen – zur Lohnarbeit zu zwingen. Mehr Menschen sollen zu geringeren Löhnen länger arbeiten – das ist die Antwort des Kapitals auf die jetzige Krise.

Wer in den Betrieben glaubte, durch Zustimmung zum Kriegskurs gegen Russland wenigstens ein Wohlverhalten gegenüber den oberen Schichten der arbeitenden Klassen erwirken zu können, sieht sich zu Recht betrogen. Die Zurückhaltung von Seiten der Gewerkschaften ermunterte die Damen und Herren des großen Geldes und ihre politischen Handlanger nur dazu, noch unverschämter in die Taschen der abhängig Beschäftigten zu greifen und ihnen noch unverhohlener das Recht auf die Gestaltung eines Lebens diesseits der Lohnarbeit zu bestreiten.

Nicht nur für die Kolleginnen und Kollegen in der Metall- und Elektroindustrie gilt: Wir müssen uns entscheiden, ob wir Hammer oder Amboss sein wollen. Der bisherige Stillhaltekurs gegenüber Regierung und Kapital lädt diese Leute nur dazu ein, noch härter auf uns einzuschlagen. In einer solchen Situation hilft nur Gegenhalten – mindestens mit drei Schlägen: Her mit der 35-Stunden-Woche! Her mit einer Lohnsteigerung von mindestens 15 Prozent, um die Verluste der letzten fünf Jahre auszugleichen! Schluss mit dem Wirtschaftskrieg gegen Russland und den Waffenlieferungen an Kiew, Schluss mit der Kriegstreiberei!

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"Hammer oder Amboss", UZ vom 10. Mai 2024



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