Netanjahus falsche Versprechen an die Palästinenser

Heuchelei statt Frieden

Wieder einmal geht es – wie seit Jahrzehnten – um einen „Neuen Nahen Osten“. Diplomatische Verhandlungen zwischen Israel und Saudi-Arabien stünden womöglich vor einem dramatischen Durchbruch, einem historischen Frieden mit Saudi-Arabien, betonte Benjamin Netanjahu vor der UN-Generalversammlung. Aber den Palästinensern dürfe dabei kein Vetorecht eingeräumt werden. Der saudische Außenminister Faisal bin Farhan dagegen erklärte in seiner Rede, die Stabilität in der Region hänge von der Bildung eines palästinensischen Staates mit der Hauptstadt Ostjerusalem ab.

Die Verhandlungen stärken die Position des saudischen Kronprinzen – im Lande und vor allem international. Wer spricht noch von der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi durch den saudischen Geheimdienst? Netanjahu nennt den Kronprinzen mittlerweile einen „ziemlichen Visionär“. Und Netanjahu hat selbst Visionen von weltweiten Änderungen im Verhältnis zwischen Judentum und Islam und einem geografischen Korridor zwischen Asien und Europa.

Für Saudi-Arabien würde die offizielle Anerkennung Israels weitere Sicherheitsgarantien durch die USA bringen und Unterstützung beim Aufbau eines zivilen Atomprogramms. Doch dagegen wehrt sich bereits der israelische Oppositionsführer Yair Lapid.

Das Schlagwort in den Verhandlungen zwischen Saudi-Arabien und Israel sowie den USA als Vermittler ist „SPM“. SPM ist die Abkürzung für „significant Palestinian measures”, also bedeutende Zugeständnisse Israels an die Palästinenser.
Israel müsste zumindest auf dem Papier bestimmte Zugeständnisse an die Palästinenser machen. Einzelne Gebiete der „Area C“ – also unter vollständiger israelischer Kontrolle – sollten überführt werden in gemeinsame palästinensisch-israelische Kontrolle, also „Area B“. Und wieder einmal sollte die israelische Siedlungstätigkeit auf der Westbank eingestellt werden.

Es ist offensichtlich, dass solche Forderungen – selbst wenn sie nur auf dem Papier blieben – für die rechtsradikalen Parteien, die die jetzige Regierung bilden, unannehmbar sind. Vertreter von Netanjahus Koalitionspartnern haben in den letzten Wochen bereits angekündigt, dass sie nicht gewillt sind, nennenswerte „Zugeständnisse“ an die Palästinensische Autonomiebehörde zu machen. Sie wollen nur einigen ökonomischen Verbesserungen für die Palästinenser zustimmen. Netanjahus Einflussmöglichkeiten auf seine Koalitionspartner sind begrenzt, ein möglicher Wechsel des Koalitionspartners würde zugleich ein Ende des Projekts der Justizreform bedeuten.

Ob mit oder ohne diplomatische Beziehungen zu Saudi-Arabien und anderen Staaten: Bevor der seit 30 Jahren versprochene „Neue Nahe Osten“ sich realisieren lässt, müssten zunächst die realen Konflikte der Gegenwart gelöst werden. Zuletzt kam es zu einer Eskalation mit Blend- und Rauchgranaten an der libanesischen Grenze. Dutzende Verletzte gab es durch israelische Tränengasgranaten und scharfe Munition bei Protesten in Gaza. Und im Jahr 2023 wurden bereits mehr als 200 Palästinenser von israelischen Sicherheitskräften getötet.

Was von dem „historischen Frieden“ und dem „Neuen Nahen Osten“ zu halten ist – auch wenn es womöglich aus wirtschaftlichen Gründen zu einem Abkommen zwischen Saudi-Arabien und Israel kommt –, machte Netanjahu während seiner Rede vor der UN-Generalversammlung deutlich. Er zeigte eine Karte von Israel, die auch Gaza und die Westbank umfasste: Israel „vom Fluss bis zum Meer“. Hadar Susskind, Präsident der jüdisch-amerikanischen Organisation „Peace Now“, schrieb dazu: „Netanjahus Karte von Groß-Israel war wohl der einzige ehrliche Teil seiner Rede …“

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"Heuchelei statt Frieden", UZ vom 29. September 2023



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