Daimler will Errungenschaften schleifen

Höherer Takt am Band

Von Christa Hourani

Seit einigen Jahren schon versucht die Unternehmensleitung von Daimler, die Errungenschaften, die einst bei der Einführung der Gruppenarbeit erkämpft wurden, zu schleifen. In mehreren Werken wurden Pilotprojekte „geführte Gruppenarbeit“ durchgeführt, die Daimler gerne in den Produktionsbereichen flächendeckend umsetzen will. Dagegen regt sich jetzt erster Widerstand. In Untertürkheim hat die Betriebsgruppe „alternative“ untersucht, welche Verschlechterungen das Pilotprojekt in der Montage gebracht hat.

Mit Einführung der Gruppenarbeit im Jahr 1992 wurde ein Mindestumfang von indirekten Umfeldaufgaben bei taktabhängigen Tätigkeiten in Höhe von 12 Prozent festgelegt. Dies sollte die Arbeit anreichern und einem einseitigen Verschleiß entgegenwirken. Von der damals versprochenen Arbeitsanreicherung von 12 Prozent sind noch 2 bis 3 Prozent übrig geblieben, also so gut wie nichts mehr.

Nach Vorstellung des Vorstandes soll der „Gruppenverantwortliche“ zukünftig als verlängerter Arm des Meisters Anweisungen geben können, was einen Gruppenchef in der Linie bedeuten würde. Dies ist wie zu alten Akkord-Zeiten eine Art Vorarbeiter mit Weisungsbefugnis. Da sind zusätzliche Konflikte programmiert.

Dem Gruppenverantwortlichen werden außerdem viele taktunabhängige Tätigkeiten übertragen. Dies hat Auswirkungen auf die Entgeltgruppen der anderen Kolleginnen und Kollegen, weil für sie diese Tätigkeiten entfallen und ohne diese höherwertigen Tätigkeiten die Entgeltgruppe niedriger ist. Dies hatte in dem Pilotprojekt in der Montage zur Folge, dass nur noch etwas über 10 Prozent der Kolleginnen und Kollegen in den höheren Entgeltgruppen 7 und 8 sind, statt 35 Prozent in anderen vergleichbaren Bereichen. Der Lohndurchschnitt einer Abteilung sinkt damit gewaltig.

Viele Kollegen aus den Pilotbereichen beklagen die höhere Belastung, fehlende Entlastungen durch Umfeldtätigkeiten, steigende Monotonie, kürzere Takte und dadurch höhere Verschleißerscheinungen mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit. Übrig bleibt nur die Knochenarbeit am Band. Außerdem wird die Eigenverantwortlichkeit der Gruppe ausgehöhlt, was stark kritisiert wird.

Ein IG-Metall-Vertrauensmann meint: „In solch einem System kann man meiner Meinung nach nicht 40 Jahre arbeiten und dann noch gesund in Rente gehen. Das werden die wenigsten Kollegen durchhalten. Viele werden vorher ‚abstürzen‘ und die einzigen ‚Piloten‘, die wieder einmal sanft landen werden, weil sie ihre Sparziele erreichen, sind die Abteilungsleiter …“ Ein anderer Vertrauensmann fasst die Erfahrungen so zusammen: „Dies ist meiner Meinung nach ein Schritt in die falsche Richtung, ein Rückschritt, um es genau zu sagen. Die Gruppenarbeit als Sozialform im eigentlichen Sinne wurde die Jahre nie weiter vom Unternehmen vorangetrieben. Ein Grund hierfür ist wahrscheinlich, dass viele Führungskräfte dieser Art der Arbeitsorganisation misstrauen und den Kolleginnen und Kollegen wenig eigenständiges Handeln zutrauen. Sie haben lieber ihre selbsternannten Funktionsträger und übertragen diesen alle wichtigen Aufgaben und Funktionen. Es gibt aber hier in der Fabrik genügend Beispiele für gut funktionierende Gruppenarbeit. Anstatt Bestehendes erst einmal richtig umzusetzen und ihm Leben einzuhauchen, jagt man lieber wieder die nächste ‚Sau’ durchs Dorf.“

Viele Kollegen sind dieser Belastungssituation nicht mehr gewachsen und wollen daher weg aus den Pilotprojekten. Einzelne sind sogar in psychologischer Behandlung.

Diese Pilotprojekte sind Angriffe auf die Errungenschaften, die in den 70iger und 80iger Jahren durch die Kampagne „humane Arbeit“ erkämpft wurden. Auf dem Rücken und den Knochen der Kolleginnen und Kollegen soll mal wieder kräftig gespart werden, insbesondere durch die Absenkung der Löhne, aber auch durch Verdichtung der Arbeit. Der Daimler-Vorstand will Höchstprofite einfahren. Arbeiter sind für sie nur Kostenfaktoren, deren Ausbeutung gesteigert werden muss. Das entspricht kapitalistischer Logik. Doch der Unmut gegen die Einführung der neuen Gruppenarbeit wächst.

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"Höherer Takt am Band", UZ vom 31. Mai 2019



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