Hüpfburg vor Möbelhaus

Herbert Schedlbauer im Gespräch mit Niels Böhlke

Der Angriff auf die Sonntagsruhe von Seiten des Kapitals geht weiter. Vordergründig soll dies nur für den Einzelhandel gelten. Bisher durften verkaufsoffene Sonntage zu einem konkreten Anlass stattfinden. Wird dies verändert, besteht die Gefahr, dass der Sonntag nicht nur dort zum normalen Arbeitstag wird.

UZ: Mit welchen Rechtfertigungen der Einzelhändler und Kommunen wird immer wieder versucht, den Arbeitsschutz am Sonntag zu beseitigen?

Nils Böhlke: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt einmal große Stadtfeste oder Messen. Oft aber auch sehr kleine Feste, die nur lokal und stadtteilbezogen sind. Die aus wenigen Bretterbuden bestehen. Die Bandbreite ist riesig. Wo wir klagen, werden offensichtliche Rechtsverstöße festgestellt. Entweder fehlt die Prognose. Oder der Anlass der Veranstaltung ist nicht groß genug, um mehr Menschen in die Geschäfte im Vergleich zu den Werktagen zu bewegen.

UZ: In den letzten Jahren hat ver.di über 110 Verfahren veranlasst und die meisten gewonnen. Was sind die Hintergründe dieser Erfolge vor den Verwaltungsgerichten?

Nils Böhlke: Was die Städte oft angegeben haben ist nicht ausreichend begründet. Die Praxis, die sich in NRW und bundesweit etabliert hat, ist fern der Realität. Man meint, es reiche aus, eine Hüpfburg vor ein Möbelhaus zu stellen, um Sonntagsöffnungen durchzusetzen. Einem solchen Wildwuchs wurde auf Grundlage des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes von November 2015 Einhalt geboten. Es gibt nämlich kaum Belege dafür, dass diese Veranstaltungen eine juristisch einwandfreie Öffnung zulassen.

UZ: Die juristische Auseinandersetzung ist der eine Weg. Wurden auch über öffentlichkeitswirksame Aktionen die Befürworter der Ausweitung von Sonntagsarbeit in die Schranken gewiesen?

Nils Böhlke: Beispielhaft dafür ist der Bürgerentscheid in Münster, an dem wir uns beteiligt haben. Gemeinsam in einem Bündnis mit Kirchen und Parteien wurde dafür geworben, dass die Läden am Sonntag geschlossen bleiben. Mit Unterschriftensammlungen und vielen Auftritten in der Öffentlichkeit ist dies erreicht worden. Die Mehrheit der Bevölkerung in Münster ist der Auffassung, dass der Sonntag ein gemeinsamer Ruhetag ist.

UZ: Gibt es Beispiele in anderen Kommunen oder Bürgerinitiativen?

Nils Böhlke: Es gibt die „Allianz für den freien Sonntag“ in verschiedenen Städten, auch auf NRW-Ebene, wo wir uns demnächst wieder treffen. Dort wird geplant, was wir gegen das neue „Entfesselungsgesetz“ der Landesregierung machen. Kleinere Kundgebungen und Veranstaltungen wird es geben. Beschäftigte und Gegner der Sonntagsöffnungen werden Briefe schreiben und Unterschriften sammeln. Also, wir versuchen auch auf der politischen Ebene zu agieren.

UZ: Die NRW-Landesregierung fährt mit dem „Entfesselungspaket“ einen harten Kurs zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Ziel ist die völlige Flexibilität der Arbeitszeiten in allen Branchen. Wie reagiert ver.di NRW darauf?

Nils Böhlke: Sogar in der Presse und anderen Medien wurde das Entfesselungspaket der neuen nordrhein-westfälischen Landesregierung gelegentlich kritisch begleitet. Nach der Landtagsanhörung im Dezember war dies auch so. Ab dem 22. Januar beraten wir wieder mit den Kirchen über öffentlichkeitswirksame Aktionen. ver.di wird dafür werben, dass möglichst viele daran teilnehmen. Das Gesetz soll in der dritten Märzwoche durch das Landesparlament beraten werden.

UZ: Karstadt, Kaufhof und KaDeWe in Berlin sind die Hauptdrahtzieher beim Angriff auf den Schutz der Sonntagsruhe. Gibt es Betriebsräte in den entsprechenden Konzernen, die gemeinsam mit ver.di dagegen mobilmachen?

Nils Böhlke: Ja, die gibt es. Insgesamt herrscht bei den Betriebsräten große Unzufriedenheit. Das Vorpreschen der Warenhäuser bringt noch mehr Belastungen für die Beschäftigten. Sie wären die Hauptleidtragenden. Aufgrund der Lage der Häuser sind dort die meisten Sonntagsöffnungen zu erwarten. Es gibt keine unterschiedlichen Meinungen zwischen ver.di und den Interessenvertretungen der Belegschaften. Beide sind der Auffassung, dass weitere Initiativen außerhalb der Betriebe sinnvoll sind. Auf Betriebsversammlungen ist dies schon lange Thema. Gemeinsam wird das dort mit ver.di, den Betriebsräten und Beschäftigten aufgegriffen und diskutiert.

UZ: Arbeiten Betriebsräte in Bündnissen und Initiativen mit?

Nils Böhlke: Auf der Landesebene ist dies noch nicht der Fall. Auf Bezirksebene, also den Kommunen, findet das in Einzelfällen statt. Es wäre natürlich schön, wenn sich dort noch mehr engagieren würden.

UZ: Angriffe auf die Sonntagsruhe kamen auch von der alten Landesregierung unter Rot-Grün. Mit dem abgewählten Minister Duin (SPD) hatte ver.di bereits einen Leitfaden erarbeitet. Der hätte den Schutz der Sonn- und Feiertagsarbeit ebenfalls aufgeweicht. Fällt diese Bereitschaft gegenüber der SPD der Gewerkschaft jetzt nicht auf die Füße im Widerstand gegen Schwarz-Gelb?

Nils Böhlke: Nein, das würde ich so nicht sehen. Ich glaube, die Bereitschaft der ver.di auch darüber zu sprechen, wie eigentlich die Urteile der Verwaltungsgerichte auszulegen sind, war richtig. Damit hätte man eine weitere Aufweichung ausschließen können. Leider ist es zu keinem Ergebnis gekommen. Hätte man das erreicht, hätten wir aber auch keine Gewähr dafür, dass die Laschet-Lindner-Regierung sich heute anders verhalten würde. Treibende Kraft für die Aufweichung des Arbeitsschutzes ist und bleibt die FDP. Die völlige Freigabe der Ladenschlusszeiten war immer das Bestreben dieser Partei. Bei den Koalitionsverhandlungen in NRW hat sich das erneut gezeigt.

UZ: Es ist davon auszugehen, dass das „Entfesselungsgesetz“ der Marktradikalen beschlossen wird. Was dann? Wird ver.di weiter klagen?

Nils Böhlke: Gerade dann. Die juristische Begründung für das Gesetz halten wir für sehr, sehr dünn. Das haben wir auch bereits gegenüber der Landesregierung betont. Denn wenn dieses Gesetz durchkommt, wird es den Sonntagsschutz wie bisher nicht mehr geben. Er ist aber im Grundgesetz verankert, da kann sich die Landesregierung noch so querlegen. Das Grundgesetz gilt für alle, auch wenn CDU und FDP dies anders sehen. Die Gründe, die in dem Entfesselungsgesetz für eine Sonntagsöffnung zu finden sind, zwingen uns regelrecht, weiter den Klageweg zu beschreiten und keine Ruhe zu geben.

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"Hüpfburg vor Möbelhaus", UZ vom 26. Januar 2018



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