Weil er Stellung zum Ukraine-Krieg bezog, erhielt Kay Strathus einen Strafbefehl. Zusammen mit Unterstützern kämpft der Kriegsgegner für das Recht, seine Meinung frei zu äußern

„Ich werde nicht zahlen!“

Vor wenigen Wochen bekam der Düsseldorfer Grafiker und Kunstgeragoge Kay Strathus Post vom Staatsanwalt. 3.500 Euro Strafe soll Strathus für einen ironischen Kommentar bezahlen, den er in einer nichtöffentlichen Gruppe auf Facebook verfasst hatte. Andernfalls drohen ihm 50 Tage Gefängnis. UZ sprach mit ihm über seine Äußerungen, den Strafbefehl und den juristischen Kampf um die Meinungsfreiheit.

UZ: Ende Juli hast du einen Strafbefehl erhalten. Du wirst darin beschuldigt, den „öffentlichen Frieden“ gestört zu haben. Wie kam es dazu und was wird dir konkret vorgeworfen?

Kay Strathus: Ich habe am 1. Juli des letzten Jahres in einer geschlossenen Facebook-Gruppe namens „Weimar around the World“ einen ironischen Kommentar verfasst. Es ging natürlich um den Ukraine-Krieg. Der damalige Vorstandssprecher des Kreisverbandes der Grünen in Weimar, Daniel Schmidt, hatte etwas von Demokratie und dem „Kampf gegen Rechts“ geschrieben und ich habe sinngemäß gefragt: Ach, meinst du die Grünen, die Kriege unterstützen und die immer für Bewaffnung und Aufrüstung sind? Daraufhin hat er verteidigend geantwortet und auf den russischen Einsatz in der Ukraine Bezug genommen. Erst dann habe ich noch einen Kommentar abgesetzt und ihn darauf hingewiesen, dass für die spezielle Militäroperation Russlands durchaus auch völkerrechtliche Argumente angeführt werden können, wie Russland es ja selber tut. Ich hatte mich auf Artikel 51 der UN-Charta, das Recht auf Selbstverteidigung, bezogen. Schmidt hat danach den Kontakt abgebrochen und geschrieben, dass sich jede weitere Unterhaltung erübrige, wenn ich das so sehe.

Na ja, dachte ich, noch so ein Ukro-Nazi-Fan von den Grünen – das kennt man ja. Im November 2022 erhielt ich plötzlich die Aufforderung, mich bei der Polizei zu melden, weil die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wegen eines Verstoßes gegen Paragraf 140 des Strafgesetzbuches gegen mich ermitteln würde. Ich hätte auf meiner „Facebook“-Seite dies und das gesagt. Dabei wurde der inkriminierte Satz zitiert, dass es nach Artikel 51 auch völkerrechtliche Argumente für den Einsatz Russlands in der Ukraine gäbe. Mein Anwalt riet mir, das Thema erst mal auf sich beruhen zu lassen. Es war klar: Wenn wir Glück haben, ist es den Behörden den Aufwand nicht wert. Wenn wir Pech haben, ist das ein ehrgeiziger Staatsanwalt, der sich profilieren möchte. Also habe ich abgewartet. Als juristischer Laie habe ich mich dann auch nicht gewundert, dass überhaupt kein Einstellungsbeschluss oder etwas dergleichen bei mir im Briefkasten landete. Ich habe es also vergessen.

Kurz vor meinem Urlaub holte ich dann diesen gelben Brief mit dem Strafbefehl aus dem Briefkasten: 3.500 Euro! Ich dachte, ich trau meinen Augen nicht. Für mich war von Anfang an klar: Das ist eine derartig offensichtliche, durchschaubare und absichtliche Meinungsunterdrückungsmaßnahme, dass ich dieses Geld nie im Leben bezahlen werde. Eher würde ich die 50 Tage im Knast absitzen, aber zahlen werde ich nicht. Das verstößt gegen das Grundgesetz, gegen das Grundrecht auf Meinungsäußerung. Ich hatte mich ja auch nicht hingestellt und gesagt: Hurra! Der Krieg in der Ukraine ist toll! Sondern, ich habe gesagt: Hey Leute, es gibt auch völkerrechtliche Gründe, die man für Russland anführen kann – es ist durchaus umstritten.

UZ: Du hattest in deiner Antwort auf den Grünen-Politiker auf die zahlreichen Angriffskriege des Westens verwiesen und von „extragalaktischer grüner Heuchelei“ im Umgang damit gesprochen. Hast du da einen wunden Punkt getroffen?

Kay Strathus: Natürlich! Das hat vermutlich alle Knöpfe gedrückt. Dieser Daniel Schmidt war nicht nur Vorstandssprecher des Kreisverbandes, er war auch gleichzeitig noch Administrator der Gruppe. Das ist natürlich Pech für mich. Ich kann nicht nachweisen, dass er mich denunziert hat, aber ich gehe stark davon aus. Wer sonst sollte das machen? Das ist auch ein Hinweis auf die Unsicherheit, die diese Leute mit ihrer Sicht auf den Krieg haben. Sie müssen abweichende Meinungen offensichtlich kriminalisieren. Sie können sich keiner Diskussion stellen.

Gerade die Grünen fühlen sich im Besitz der alleinigen Wahrheit. Die beschäftigen sich mit klimawandelgerechter De-Industrialisierung und mit dem Krieg in der Ukraine und wer etwas dagegen sagt, der wird halt staatsanwaltlich verfolgt. Schon das allein ist Grund genug für mich, dagegen anzugehen. Ich mache mir keine Illusionen über den bürgerlichen Staat und die Justiz als gerade in Krisenzeiten ausführendem Organ der Exekutive. Aber noch gibt sich dieser bürgerliche Staat den Anschein, dass er Wert auf ein rechtsstaatliches, demokratisches Erscheinungsbild legt. So ein Vorgehen verstößt in meiner laienhaften juristischen Auffassung eindeutig gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, wie es in Artikel 5 des Grundgesetzes festgelegt ist. Nach meinen Recherchen sagen auch zahlreiche Anwälte und Experten: Da kann überhaupt nicht abschließend entschieden werden. Da müsste erst einmal eine UN-Institution festlegen, was ein Angriffskrieg ist und dass Russlands Militäroperation ein solcher ist. Davon sind wir ja weit entfernt. Der deutsche Staat maßt sich also an, hier eine Gesinnungsjustiz ins Werk zu setzen. Damit bin ich natürlich nicht einverstanden.

UZ: Diese Einschätzung wird auch durch den Strafbefehl selbst gestützt. Dort fehlen wichtige Passagen deiner Argumentation. Anscheinend wurden nur ein paar Sätze gezielt herausgegriffen …

Kay Strathus: Das denke ich auch. Ich finde, die haben sich schon den richtigen Satz rausgesucht in Hinblick auf die tönernen Füße, auf denen die staatsanwaltliche Argumentation steht. Ich habe auf Facebook zur Debatte gestellt und darauf hingewiesen, dass es andere Möglichkeiten gibt, die Sache zu betrachten. Und das war wohl zu viel.

UZ: Du bist mit dem Strafbefehl offen umgegangen. Welche Reaktionen hast du denn bisher darauf erhalten?

Kay Strathus: Es gibt zwei Hauptströmungen. Die eine wird hauptsächlich durch meine Frau vertreten und die meint: Ich müsste schon ziemlich bescheuert sein, ausgerechnet bei den Grünen so etwas Provokatives zu sagen. Womit sie in gewisser Weise recht hat. Aber meine Provokationen sind keine Provokationen, um Leute zu verletzen, zu beleidigen oder um Unsinn zu erzählen, sondern um sie zum Nachdenken anzuregen. Ich finde, es gehört sich durchaus, diesen grünen Kriegsbefürwortern, Aufrüstern und Nazi-Unterstützern zu sagen, dass die Mehrheit der Bevölkerung damit nicht einverstanden ist. Und selbst wenn es eine Minderheit wäre: Ich bin damit nicht einverstanden! Ich will einfach meine Meinung dazu sagen.

Die andere Reaktion ist, dass im Grunde alle Leute, mit denen ich spreche, verstehen, dass ich hier nur das austauschbare Subjekt für die Statuierung eines Exempels bin. Es ist doch klar: Die greifen sich ein paar raus, so wie mich oder so wie den Rentner im Osten, der eine Flagge an seinen Balkon gehängt hat oder jemanden, der auf einer Demo irgendetwas gesagt hat. Damit werden ja alle abgeschreckt. Jeder wird sich überlegen: Moment mal! Ist es mir dreieinhalbtausend Euro wert, meine Meinung zu sagen? Und gerade zu diesem Thema?

Das können wir uns nicht bieten lassen, das müssen wir abwehren. Das ist ein Angriff des Staates auf die Meinungsfreiheit und vor allem der Versuch, das regierungsamtliche offizielle Narrativ zum Ukraine-Konflikt durchzudrücken. Bei Facebook hat sich dann auch gleich eine Unterstützungsgruppe gebildet. Die lieben Freunde und Genossen haben bis jetzt knapp 2.000 Euro gesammelt, die auf jeden Fall meine Anwalts- und Gerichtskosten decken werden. Es hat mich sehr gefreut und auch berührt, die praktische Solidarität von so vielen Menschen zu erleben – von Genossen, von Freunden und von Leuten, die ich überhaupt nicht kenne. Das zeigt mir, dass es doch ein verbreitetes Unwohlsein mit diesen staatlichen Maßnahmen gibt, vor allen Dingen auch mit der Unterstützung der Ukraine in diesem Stellvertreterkrieg gegen Russland.

Deshalb: Danke an dieser Stelle an alle, die das mittragen und denen auch klar ist, dass ich bloß das austauschbare Ziel einer staatlichen Strafmaßnahme bin, die uns alle treffen soll. Also alle, die noch für zwei Pfennig selber denken und nicht den massenmedialen Unfug nachbeten.

UZ: Du wehrst dich mit juristischen Mitteln gegen die Strafe. Wie geht es jetzt weiter? Wird es einen Gerichtstermin geben?

Kay Strathus: Das weiß man noch nicht. Mein Anwalt wird versuchen, eine Einstellung zu erreichen. Das würde unter Umständen dazu führen, dass ich ein Stück weit in Sack und Asche gehen müsste und auf den Anwalts- und Gerichtskosten sitzen bleibe. Das ist eine Möglichkeit, die vermutlich von dem Richter abhängt, der das zu entscheiden hat. Die andere Möglichkeit ist, dass sich nicht nur der Staatsanwalt, sondern auch der Richter in der Rolle sieht, diesen staatlichen Hoheitsanspruch über den Meinungsraum herzustellen und abweichende Standpunkte zu verfolgen. Das ist durchaus möglich.

Ein Facebook-Freund von mir, der ehemals Strafverteidiger in Leipzig war, Alexej Danckwardt, hat kürzlich auf „RT“ einen interessanten Artikel verfasst. Er beschreibt, wie sich die Justiz in Deutschland in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Mit einer nachwachsenden Generation von Richtern, die sich nur noch als Erfüllungsgehilfen der Staatsmacht sehen und im vollen Bewusstsein ihrer Überzeugung die Ansprüche des Staates durchsetzen. Er schreibt sinngemäß, dass es in den siebziger und achtziger Jahren, vor der Konterrevolution in der DDR, noch Richter in Westdeutschland gab, die ein Verständnis dafür hatten, dass Verfassung und Gesetz auch dafür da sind, Meinungen zu schützen. Die haben sich als Mittler gesehen: Auf der einen Seite der Staat, auf der anderen Seite der Bürger. Heute sind die Richter auf der Seite des Staates und diese geballte Staatsmacht steht dem Bürger gegenüber, vor allem dann, wenn er vom vorgegebenen Narrativ abweicht. Das ist aus meiner Sicht auch ein Schritt in Richtung Faschisierung, die ich meine beobachten zu können in diesem Land. Und auch das ist wieder Grund genug für mich, dagegen aufzustehen und meine Stimme zu erheben.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"„Ich werde nicht zahlen!“", UZ vom 25. August 2023



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