Bundeswehr hat Schwierigkeiten, Personal zu finden

Immer mehr Minderjährige

So viele waren es noch nie seit der Aussetzung der Wehrpflicht: 1.773 Minderjährige hat die Bundeswehr im Jahr 2022 zum Dienst an der Waffe rekrutiert. Das entspricht 9,4 Prozent aller Rekruten. 2022 rekrutierte die Bundeswehr somit 43 Prozent mehr Minderjährige als im Jahr davor.

Die Zahlen gehen aus der Antwort des Bundesministeriums der Verteidigung vom 13. Januar 2023 auf eine Schriftliche Anfrage des Bundestagsabgeordneten Ali Al-Dailami (Partei „Die Linke“) hervor. Der Verteidigungspolitische Sprecher der Linkspartei-Fraktion hält das für eine besorgniserregende Entwicklung: „Für Jugendliche und Heranwachsende ist die Ausbildung im Militär gefährlich und gesundheitsschädigend.“ Das Risiko psychischer Verletzungen sei für minderjährige Rekruten besonders hoch, wie auch die Gefahr sexueller Belästigungen und Übergriffe. Al-Dailami kritisiert, die Bundesregierung halte weiter an „dieser unverantwortlichen Praxis“ fest entgegen einer Aufforderung des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes, das Mindestalter für Bundeswehr-Rekruten auf 18 Jahre anzuheben.

Die UN-Kinderrechtskonvention schreibt ein Mindestalter für Streitkräfte von 18 Jahren vor. Die Bundeswehr greift auf eine Ausnahmeregelung zurück, die maßgeblich auf Betreiben Deutschlands, Britanniens und der USA geschaffen wurde. Sie erlaubt die „freiwillige Rekrutierung“ von Jugendlichen ab 16 Jahren. Organisationen wie das Kinderhilfswerk Terre des Hommes kritisieren, die Unterscheidung zwischen freiwilliger und Zwangsrekrutierung sei oft schwierig. Terre des Hommes hat zusammen mit der DFG-VK, IPPNW, GEW und anderen die Kampagne „Unter 18 nie!“ ins Leben gerufen mit dem Ziel, die Rekrutierung Minderjähriger zu unterbinden. Die Kampagnesteller verweisen darauf, dass Minderjährige die Konsequenzen einer Verpflichtung bei der Bundeswehr nicht in vollem Umfang überblicken. Viele der jugendlichen Rekruten stellen schnell fest, dass die harte Realität des Militärdienstes nicht ihren Erwartungen entspricht. Zwischen 2017 und 2019 haben im Schnitt 27 Prozent von ihnen während der Probezeit gekündigt, bei den volljährigen Rekruten hingegen „nur“ 19 Prozent. Nach Ablauf der sechsmonatigen Probezeit können Rekruten den Dienst nicht mehr quittieren. Wollen sie das Militär danach verlassen, müssen sie einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen und riskieren, die Kosten ihrer bis dahin in Anspruch genommenen Ausbildung erstatten zu müssen.

Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, Ausbildung und Dienst an der Waffe solle volljährigen Soldaten vorbehalten bleiben. Schritte in diese Richtung hat die Bundesregierung bislang nicht unternommen. Im Bericht der Wehrbeauftragten für 2021 heißt es, die Einstellung Minderjähriger sei „aufgrund ihrer erhöhten Schutzbedürftigkeit kritisch zu sehen“ und müsse die Ausnahme bleiben. Erst seit 2009 erhebt die Bundesregierung die Zahl minderjähriger Rekruten in der Bundeswehr. Sie steigt seitdem kontinuierlich: 2017 erreichte die Zahl Minderjähriger mit 2.128 den bisherigen Höchststand.

Die Zahl der minderjährigen Soldaten in Deutschland wächst auch deshalb, weil die Bundeswehr Werbekampagnen bewusst an Jugendliche richtet. In diesen Kampagnen stellt das Militär Bezüge zu Abenteuerfilmen und Videospielen her und glorifiziert das Morden für den deutschen Imperialismus. Dabei nutzt man gezielt die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher aus und spricht gezielt Migranten oder Menschen ohne Schulabschluss an.

Laut der Antwort des Ministeriums beschäftigte die Bundeswehr am Stichtag, dem 30. November 2022, 183.235 Soldaten. Mittelfristig strebt das Verteidigungsministerium an, deren Zahl auf 203.000 zu erhöhen. Trotz teurer Werbekampagnen, Anreizen für Seiteneinsteiger und Prämien für Zeitsoldaten, die ihren Vertrag verlängern, hat die Bundeswehr große Schwierigkeiten, dieses Ziel zu erreichen. Das Kriegsgetrommel der Bundesregierung schreckt das potentielle Kanonenfutter ab: 951 Soldaten haben im Jahr 2022 einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt, fast fünf Mal so viele wie im Jahr davor. So viele waren es noch nie seit der Aussetzung der Wehrpflicht.

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"Immer mehr Minderjährige", UZ vom 10. Februar 2023



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