SDAJ zum Koalitionsvertrag von SPD, Grüne und FDP

Kein Fortschritt für uns

Zwei Monate nach der Bundestagswahl haben SPD, Grüne und FDP heute ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. „Mehr Fortschritt wagen“ lautet der Titel, Ausbildungsplatzgarantie, Bürgergeld und leichterer Zugang für Bafög werden uns Jugendlichen versprochen. Doch genaueres Hinsehen entlarvt den Etikettenschwindel. Denn stattdessen gibt es Investitionsprogramme für die Monopole, eine Schwächung der gesetzlichen Rente, Angriffe auf das Normalarbeitsverhältnis und mehr Geld für die Bundeswehr.

Hartz IV wird umbenannt, der Niedriglohnsektor ausgeweitet Schon im Wahlkampf tönten SPD und Grüne, sie wollen Hartz-IV abschaffen. Stattdessen benennen sie es nun einfach in „Bürgergeld“ um. Auch beim „Bürgergeld“ soll es weiterhin die sogenannten „Mitwirkungspflichten“ und damit Sanktionen geben können. Das bedeutet, dass der sowieso schon nicht für ein menschenwürdiges Leben ausreichende Bedarfssatz weiterhin gekürzt werden darf. Erhöht werden soll das Arbeitslosengeld kaum – die vom DGB seit Jahren und schon vor den massiven Preissteigerungen der letzten Monate als absolutes Minimum geforderten 600€ werden bei Weitem nicht erreicht werden. Eine Abkehr vom Hartz-IV-System ist also nicht zu erkennen – kaum verwunderlich, schließlich waren es SPD und Grüne, die dieses 2005 eingeführt haben. Das Bürgergeld bedeutet für uns also weiterhin: Armut für mehr als jedes fünfte Kind in deutschen Großstädten, eine größer werdende Schere zwischen Arm und Reich und zunehmender Leistungsdruck und Existenzängste. Eine Kindergrundsicherung wird zwar erwähnt, über die Höhe gibt es bisher aber keinerlei konkrete Aussagen.

„Flexibilisierung“ der Arbeit

Stattdessen soll der Niedriglohnsektor mit der Anhebung der Verdienstgrenzen von Mini- und Midijobs ausgebaut werden. Und dank Hartz IV – äh, „Bürgergeld“ – müssen wir ja jeden Job annehmen. Damit können die Unternehmen hervorragend Sozialabgaben sparen, während wir immer weniger sozialversicherungspflichtige Stellen finden. Laut Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarktforschung sind Minijobs jetzt schon dafür verantwortlich, dass jährlich eine halbe Million sozialversicherungspflichtiger Stellen vernichtet werden. Das bedeutet für uns weniger Rente und schlechteren Kündigungsschutz. Zudem soll der 8-Stunden-Tag, den sich die Arbeiterbewegung in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen erkämpft hat, angegriffen werden und die Tageshöchstarbeitszeit aufgeweicht werden.

Altersarmut eingeplant

Nun könnte man sagen: Zumindest der Mindestlohn wird von den jetzt schon ab dem 1. Juli 2021 geplanten 10,45€ auf 12€ erhöht. Stimmt, endlich. Doch auch diese 12€ reichen kaum aus, um bei steigenden Preisen und Mieten in Großstädten gut über die Runden zu kommen. Und selbst, wer für über 45 Jahre hinweg ohne Krankheit, ohne Arbeitslosigkeit 40 Stunden die Woche für 12€ arbeitet, landet weiterhin in der Altersarmut und hat Anspruch auf den sogenannten Grundrentenzuschlag. Also immer noch kein Einkommen, das zum Leben reicht.

Damit kommen wir direkt zum nächsten Angriff: Statt endlich jedem eine Rente zu garantieren, die zum Leben reicht, will die selbsternannte „Fortschritts“-Koalition stärker als bisher auf private und betriebliche Altersvorsorge setzen und uns „ermöglichen“, länger als bisher im Arbeitsleben verbleiben zu können, weil die gesetzliche Rente sowieso nicht ausreichen wird. Neu eingeführt werden soll zudem, dass mit den Beiträgen der gesetzlichen Rente am Kapitalmarkt spekuliert werden soll – und wenn das schief geht, werden wir mit noch mehr Altersarmut bezahlen müssen.

Soziale Maßnahmen bei Bafög, Pflege und Wohnungen? Und auch weitere angeblich soziale Maßnahmen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Tropfen auf den heißen Stein: Bafög soll elternunabhängiger werden, damit aber weiterhin elternabhängig bleiben und nicht erhöht werden, obwohl ein Studium damit kaum zu finanzieren ist. Zwar sollen 400.000 Wohnungen gebaut werden, davon aber nur 100.000 öffentlich gefördert und ohne Deckelung für die Mietpreise. Gemessen an den laut Hans-Böckler-Stiftung knapp 2 Millionen fehlenden bezahlbaren Wohnungen in deutschen Großstädten werden die wenigsten davon profitieren. Die Ausbildungsplatzgarantie ist bisher nicht mehr als eine hohle Phrase ohne konkrete Pläne. Sie soll zudem auch rein schulische Ausbildungen umfassen, also Ausbildungen, bei denen sich die Unternehmen nicht mal an den Kosten beteiligen und wir kein Gehalt und keine Übernahme bekommen. Und für die Pflege soll es zwar erneut einen kleinen Bonus geben, die Personalbemessung wird aber nicht mal angesprochen und das profitorientierte Fallpauschalensystem bleibt unangetastet. Die Situation für Beschäftigte im Gesundheitsbereich wird sich also nicht verbessern, die Behandlung in Krankenhäusern weiterhin auf schlechtem Niveau bleiben.

Geld für Monopole und Bundeswehr

Die Schuldenbremse soll weiterhin bleiben, die das Argument liefert, warum der Staat kein Geld für Gesundheit, Bildung und Soziales hat. Gleichzeitig soll es aber riesige Investitionsprogramme für die deutsche Wirtschaft geben, so zum Beispiel unter dem Titel „Klima- und Transformationsfonds“. Damit zahlen wir die Kosten für Klimaschutz und „Transformation“, obwohl das 1,5 Grad-Ziel mit den Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag nicht mal eingehalten wird – dafür sind auch den Grünen die deutsche Automobilindustrie und die Profite der großen Unternehmen viel zu wichtig. Obwohl SPD, Grüne und FDP verbal zur Abrüstung auffordern, wollen sie den Kriegshaushalt weiter erhöhen, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr erhöhen, mehr Drohnen einsetzen und weitere Schritte in Richtung EU-Armee gehen. Konkret ist eine stärkere Zusammenarbeit der nationalen Armeen innerhalb der EU, eine gemeinsame Kommandostruktur und ein gemeinsames „zivil-militärisches“ Hauptquartier geplant. Es geht um die „Sicherung“ von Rohstoff und Absatzmärkte für die großen Banken und Konzerne im engen Bündnis mit Frankreich und NATO und darum, Russland und China im „Systemwettbewerb“ weiter einzukreisen.

Für die Jugend ist nichts drin

Ein „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ ist die Ampelkoalition für uns nicht. Darüber kann auch die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre, die geplante Abschaffung des Paragraphen 129a („Werbe“verbot für Schwangerschaftsabbrüche) und die Legalisierung von Cannabis nicht hinwegtäuschen. Für uns wird keines unserer Probleme gelöst: Hartz IV und absolute Armut bleibt für viele von uns Jugendlichen traurige Realität, der Bildungserfolg wird weiterhin vom Geldbeutel unserer Eltern abhängen, dank Ausbau des Niedriglohnsektors steigt der Leistungsdruck in der Schule weiter. Statt sicheren Jobs bekommen wir eine Erhöhung der Arbeitszeit und eine Verschiebung des Renteneintrittsalters durch die Hintertür und statt einem Ende des Sanierungsstaus an Schulen gibt’s mehr Geld für Krieg. Statt Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bedeutet der Koalitionsvertrag für uns Perspektivlosigkeit, Armut, weiteres Fortschreiten des Klimawandels und zunehmende Angst vor Krieg. Kein Fortschritt und keine Zukunft für uns.

Die Ampel steht für uns also immer noch auf Rot- Was uns bleibt ist nach wie vor die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Wir dürfen uns von keinen Täuschungsmanövern der Politik oder der Banken und Konzerne ausbremsen lassen. Wir müssen uns organisieren und gemeinsam für unsre Rechte einsetzen. Auf der Straße, in der Schule und im Betrieb!



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