Sondierungsgespräche mit Kompromissen

Kein „prima Klima“

Von Nina Hager

Am Montag dieser Woche war wieder alles „in bester Ordnung“. Der Krach vom Donnerstag der vorigen Woche schien vergessen, als die Partner einer möglichen Jamaika-Koalition stundenlang verhandelt hatten und sich in die Haare gerieten: In wesentlichen Fragen der Klimapolitik und in der Flüchtlingspolitik sind sich die anderen mit den Grünen uneinig.

An diesem Tag beharrten die Vertreter der Grünen bei den Sondierungsgesprächen darauf, dass zumindest die selbstgestellten staatlichen Klimaziele eingehalten werden müssen – die FDP erklärt zwar, zum Pariser Klimaabkommen zu stehen, will aber keine fixen Vorgaben auf nationaler Ebene. Die Grünen blieben bei ihrer Forderung nach dem Kohleausstieg, d. h. der Abschaltung aller Kohlekraftwerke. Für die anderen ist das so nicht hinnehmbar. Die FDP lehnt eine staatliche Regulierung der Industrie grundsätzlich ab. Doch auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, Verhandlungsführer der CDU für den Bereich Energie und Klima, hatte zuvor öffentlich erhebliche Bedenken geäußert. „Klimaschutz ist wichtig“, hatte er vor dem Treffen am vorigen Donnerstag gegenüber der „Rheinischen Post“ erklärt. Aber nur, wenn durch ihn der Industriestandort Deutschland und Tausende Arbeitsplätze nicht gefährdet seien. In diesem Fall werde es keine Koalition geben. „Spiegel-Online“ hatte an diesem Tag darauf verwiesen, dass erste Kandidaten für eine Stilllegung die mehr als 40 Jahre alten Meiler Neurath A und Weisweiler G in NRW wären. Ohnehin gäbe es in Laschets Bundesland besonders viele Braunkohlekraftwerke. „Hinzu kommen der Braunkohletagebau im Rheinischen Revier und eine Reihe Unternehmen, die besonders viel Elektrizität verbrauchen und daher auf niedrige Strompreise angewiesen sind.“

Die Grünen lehnten bei den Verhandlungen an diesem Tag vor allem aber auch die von den Unionsparteien geforderte Limitierung der Flüchtlingszahlen, also die Obergrenze, ab. Die Unionsparteien beharren darauf. Und die Grünen blieben bei ihrer Forderung nach Familiennachzug. CSU-Landesgruppenchef Dobrindt hatte vor den Gesprächen im Deutschlandfunk erklärt, bei der Zuwanderung gelte das Regelwerk der Unionsparteien. Hier könne es keine Bewegung geben. Man brauche Entscheidungs- und Rückführungszen­tren sowie ein weiteres Aussetzen des Familiennachzugs der subsidiär Geschützten. Maximal 200000 Flüchtlinge könnten jährlich aufgenommen werden. Das müssten auch die Grünen akzeptieren.

Die Stimmung war am Ende „im Keller“, hieß es nach den Sondierungsgesprächen am Donnerstag.

Doch am Sonntagabend geschah wohl „ein Wunder“. Nach dem Spitzentreffen der Parteien in der bayerischen Landesvertretung gab es am Montag bei den Sondierungsgesprächen nicht nur eine bessere Stimmung, sondern in einigen Fragen Übereinstimmung. Alle Partner wollen in den folgenden Jahren mehr Geld für Bildung und Forschung ausgeben. Die Digitalisierung soll vorangetrieben werden. Doch darin stimmte man schon vorher überein. Einig ist man sich inzwischen auch in einigen Fragen der „inneren Sicherheit“, will „unsere Demokratie und den Rechtsstaat“ stärken, Polizei sowie Justiz stärken, im Kampf gegen Terrorismus die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern verbessern usw. Unklar ist, ob und wie Persönlichkeitsrechte geschützt werden sollen und ob es Abmachungen über die Ausweitung der Überwachungen im öffentlichen Raum gibt. Einig ist man sich wohl, das an sogenannten Kriminalitätsschwerpunkten zu tun.

Allgemein blieben auch die bisher bekannt gewordenen Vereinbarungen zu Arbeit, Soziales, Rente, Gesundheit, Pflege. Kurz vor den Gesprächen am Montag hatte CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn gefordert, die Rente mit 63 abzuschaffen. Vor allem die Gewerkschaften, aber auch die SPD, hatten das entschieden abgelehnt. Die Rede ist nach den Verhandlungen von Montag jetzt von mehr „Flexibilität“ in der Rente, die mit 63 aber soll bleiben. Völlig unklar ist bei all dem, wie die Grünen ihr Ziel der Unterstützung von Geringverdienern und Alleinerziehenden erreichen wollen.

Die für den Abend des Tages geplante Zwischenbilanz der Verhandlungen fiel mager aus. Es gebe noch großen Diskussionsbedarf, verkündeten die Generalsekretäre der Parteien. Nun aber wolle man wieder in kons­truktiver Atmosphäre arbeiten.

Mal sehen, wie lang diese Stimmung anhält. Oder kommt es zu Kompromissen in den wesentlichen Streitfragen? So wie bei der Vermögenssteuer, auf die die Grünen verzichteten und damit klar machten, dass auch sie die bisherige Steuer- und Finanzpolitik im Wesentlichen fortführen wollen? Dann aber müssten die Grünen von Grundpositionen ablassen: Am Donnerstag dieser Woche ging es wieder um die Streitthemen Klima und Flüchtlingspolitik.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Kein „prima Klima“", UZ vom 3. November 2017



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