Friedrich Engels leistete einen wesentlichen Beitrag für die Entwicklung des Marxismus

Keine „zweite Violine“

Am 5. August jährte sich der Todestag von Friedrich Engels zum 125. Mal. Im November werden wir seinen 200. Geburtstag begehen. Artikel und Bücher sind über den engsten Freund und Mitstreiter von Karl Marx erschienen, auch einige Tagungen fanden statt. Die Stadt Wuppertal versucht ihren „großen Sohn“ zu würdigen.

Für einige ist und bleibt Friedrich Engels jedoch immer noch „nur der Mann hinter Karl Marx“. Michael Kräetke schreibt im von ihm 2020 herausgegebenen Buch „Friedrich Engels oder: Wie ein Cotton-Lord den Marxismus erfand“, Engels stehe „bis heute im Schatten seines großen Freundes, er hat die schlechtere Presse. Ist von Engels die Rede, denkt man an Marx; umgekehrt ist das seltener der Fall. Mehr als eine Handvoll Engels-Biografien gibt es bis heute nicht, kein Vergleich mit dem Rummel um Marx und den Konjunkturen der Marx-Industrie. (…) Dass Engels so gewaltig unterschätzt worden ist, daran war er selbst nicht unschuldig. Nach Marx’ Tod hat er seine Rolle stets heruntergespielt: Er habe immer nur ‚das getan, wozu ich gemacht war, nämlich zweite Violine spielen’, schrieb er an seinen alten Freund Johann Philipp Becker.“

Schaut man jedoch auf seinen Lebensweg, die vielen Jahre der Freundschaft und fruchtbaren Zusammenarbeit mit Marx, dessen Äußerungen über seinen Freund, das weitere Wirken nach dem Tod von Marx, dann merkt man schnell, dass das mit der „zweiten Violine“ nicht stimmt. Er war oft genug Stichwortgeber für seinen Freund, aber auch Kritiker und der Systematiker in diesem Freundesbund.

Der rebellische Unternehmersohn

Am 28. November 1820 wurde Engels als Sohn des Textilfabrikanten Friedrich Engels und dessen Frau Elisabeth in Barmen (heute ein Stadtteil von Wuppertal) geboren. Er wuchs als ältestes von neun Kindern auf. Sein Vater stammte aus einer alteingesessenen Familie und stand dem Pietismus nahe. Bis September 1837 besuchte Friedrich Engels das Gymnasium in Wuppertal-Elberfeld. Der sprachbegabte und wissensdurstige Schüler begeisterte sich für humanistische Ideen, geriet zunehmend in Opposition zu seinem Vater. Auf Wunsch seines Vaters musste er ein Jahr vor dem Abitur das Gymnasium verlassen, um in dessen Firma als Handelsgehilfe zu arbeiten. Von 1838 bis 1841 folgte eine kaufmännische Ausbildung in Bremen. Dort kam Friedrich Engels mit der Gruppe „Junges Deutschland“ um Karl Gutzkow und Heinrich Heine in Kontakt. Er begann zu schreiben. Unter dem Pseudonym Friedrich Oswald erschienen seine „Briefe aus dem Wupperthal“ im „Telegraph für Deutschland“. In diesen wandte sich der Achtzehnjährige entschieden gegen den scheinheiligen pietistischen Geist in seiner Heimatstadt. Zugleich machte er auf die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Kinderarbeit aufmerksam und prangerte Elend wie Ausbeutung an.

1841 meldete sich Engels – gegen den Willen des Vaters – als Einjährig-Freiwilliger zum Militärdienst in Berlin. Nebenbei besuchte er in Berlin Philosophie-Vorlesungen an der Universität, erlebte die Antrittsvorlesung von Friedrich Schelling und empörte sich über dessen reaktionäre Altersphilosophie. Engels verteidigte leidenschaftlich die Philosophie Hegels und näherte sich zunächst dem Kreis der „Junghegelianer“ an. Schriften von Feuerbach hatten auf ihn in der Folge jedoch größeren Einfluss. Seit 1842 schrieb Engels für die „Rheinische Zeitung“. Im damals führenden Organ der bürgerlichen Opposition prangerte Engels die reaktionäre preußische Politik an.

1842 übersiedelte Engels nach Manchester (England), um seine kaufmännische Ausbildung in der Baumwollspinnerei Ermen und Engels fortzusetzen. Als genauer Beobachter ließ ihn die Situation der Arbeiter nicht unberührt. Die neuen Erfahrungen beeindruckten ihn nachhaltig und veränderten seine politische Haltung. Ebenso seine Kontakte zu Führern der englischen Arbeiterbewegung und sein Studium sozialkritischer und sozialistischer sowie nationalökonomischer Literatur. In Manchester lernte Engels auch die irischen Arbeiterinnen Mary und Lizzie Burns kennen, mit denen er zeitlebens eng verbunden blieb. Auf Grundlage seiner Erfahrungen und Studien in England entstanden die Arbeiten „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“ (1844) und „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1845), sie zeigen, dass er sich in jener Zeit weiter radikalisierte. Engels beschrieb die Auswirkungen der kapitalistischen Industrialisierung und das Elend der Mehrheit der Arbeitenden sowie ihrer Familien. Er stellte fest: die „zügellose Profitgier“ der englischen Bourgeoisie sei für die Verelendung verantwortlich. Nur die Arbeiter selber könnten ihre eigene Lage ändern.

Freundschaft mit Marx

Karl Marx und Friedrich Engels begegneten sich erstmals 1842 in der Redaktion der „Rheinischen Zeitung“, die Engels auf der Durchreise nach Manchester besuchte. Seit Engels auch für die von Karl Marx und Arnold Ruge in Paris herausgegebenen „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ schrieb, waren beide im Briefkontakt geblieben. Bei seiner Rückreise nach Deutschland, Ende August 1844, besuchte Engels Karl Marx in Paris. Eine lebenslange Freundschaft begann. In der Folge entstanden erste gemeinsame Arbeiten: „Die heilige Familie“ (1845) und „Die deutsche Ideologie“ (1846).

Bereits Anfang 1845 fanden in Elberfeld erste kommunistische Versammlungen statt, bei denen Engels zusammen mit Moses Hess eine Reihe von Vorträgen organisierte. In einem Brief an Marx im Oktober 1844 äußerte er sich fast euphorisch über den sich zu Hause teilweise vollziehenden Stimmungswandel. 1846 zog er mit Marx nach Brüssel, reiste mit ihm nach London und Manchester. In London traten Engels und Marx 1847 dem „Bund der Gerechten“ bei, aus dem 1847 der Bund der Kommunisten hervorging.

Erster Höhepunkt der gemeinsamen Arbeit war das im Auftrag des Bundes der Kommunisten erarbeitete „Manifest der Kommunistischen Partei“. Engels hatte zuvor mit seinen „Grundsätze(n) des Kommunismus“ wichtige begriffliche und inhaltliche Vorarbeiten geleistet. Schon dort wird auch die Vision einer künftigen kommunistischen Gesellschaft entworfen: „Sie wird vor allen Dingen den Betrieb der Industrie und aller Produktionszweige überhaupt aus den Händen der einzelnen, einander Konkurrenz machenden Individuen nehmen und dafür alle diese Produktionszweige durch die ganze Gesellschaft, das  heißt für gemeinschaftliche Rechnung, nach gemeinschaftlichem Plan und unter Beteiligung aller Mitglieder der Gesellschaft, betreiben lassen müssen. Sie wird also die Konkurrenz aufheben und die Assoziation an ihre Stelle setzen.“

Engels nahm an der Revolution 1848/49 teil. Er veröffentlichte in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ und vertrat gemeinsam mit Marx die „Forderungen der kommunistischen Partei in Deutschland“.

Engels unterstützte nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe den Elberfelder Aufstand und kämpfte dann als Adjutant im Willichschen Freikorps in der Pfalz und in Baden für die Revolution. Nach deren Scheitern kehrte er über die Schweiz nach England zurück.

Im Exil

Im englischen Exil arbeitete Engels zunächst als Prokurist in der väterlichen Firma, wurde 1864 Teilhaber. Dadurch konnte er den fast mittellosen Marx und seine Familie unterstützen. Der Briefwechsel der beiden Freunde zeigt ihren regen Austausch.
Nach der Niederlage der Revolution verfassten beide zunächst die „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund“ (1850). Im selben Jahr erschien sein Buch „Der deutsche Bauernkrieg“. Die Artikelserie „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“ verarbeitete entscheidende Erfahrungen der Revolution von 1848/49, sie erschien 1851/52. In Aufsätzen für die „New-York Daily Tribune“ und für das Lexikon „New American Cyclopaedia“ erwarb Engels sich als marxistischer Militärtheoretiker großes Ansehen. 1864 stand er Marx bei der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation (I. Internationale) aktiv zur Seite. 1870 wurde Engels Mitglied des Generalrates der I. Internationale. Wie Marx unterstützte er die Pariser Kommunarden. Auf Engels’ Anregung schrieb Marx die Schrift „Der Bürgerkrieg in Frankreich“, zu dessen Neuausgabe Engels 1891 ein Vorwort verfasste.
Im Oktober 1870 zog Engels mit Lizzie Burns nach London in die Nähe der Marxschen Wohnung.

Anti-Dühring

In den Folgejahren beschäftigte er sich neben der politischen Tätigkeit vor allem mit naturwissenschaftlichen Studien und Forschungen zur Naturdialektik. Seine Absicht war es, eine Gesamtdarstellung der „Dialektik der Natur“ zu schreiben. Es blieb bei vielen Vorarbeiten, sein geplantes Werk blieb unvollendet, denn andere Pflichten riefen. So die Auseinandersetzung mit „Theoretikern“, die die Theorie von Marx und Engels angriffen.

Zu den Hauptakteuren gehörte Eugen Dühring, ein Privatdozent an der Berliner Universität, der zudem seinen eigenen „wahren“ Sozialismus verkündete. Wilhelm Liebknecht, einer der führenden Köpfe der deutschen Sozialdemokratie, drängte, die „Alten in London“ einzugreifen. Engels‘ Buch „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, („Anti-Dühring“, 1876/78) wurde zu einem der bedeutendsten Werke des Marxismus, weil darin zum ersten Mal die Entwicklung der Ideen und die Erkenntnisse des Marxismus umfassend dargestellt wurden. Am 3. Januar 1877 begann der „Vorwärts“, das Zentralorgan der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, mit dem Abdruck. 1880 folgte die populäre Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“, die den Marxismus für breitere Kreise unter den Arbeiterinnen und Arbeitern erschloss.

Nach dem Tod von Marx 1883 sorgte er für die Veröffentlichung der Bände 2 und 3 des „Kapital“ und des Buchs „Das Elend der Philosophie“. Er schrieb Bücher wie „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ (1884), „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“ (1888), leistete mit seinen Schriften und Briefen für die Arbeiterbewegung theoretische Hilfe, gab aber auch politische Orientierung für die internationale Arbeiterbewegung, vor allem die deutsche Sozialdemokratie und deren Erfurter Programm (1891). Fast bis zu seinem Tode blieb er unermüdlich tätig.


„Es ist ganz außergewöhnlich, wie er die Arbeit mit der Herausgabe von Williams’ Werken (William war ein Pseudonym von Karl Marx – NH) und die umfangreiche Korrespondenz mit fast allen Ländern Europas und Amerikas bewältigt. Ich weiß nicht, ob er Ihnen russisch schreibt, er liest es fließend und hat die Angewohnheit, immer in der Sprache desjenigen zu korrespondieren, an den er schreibt. Er kennt nicht nur die Literatursprachen, sondern auch die Dialekte, wie den Isländischen, und alte Sprachen, wie das Provenzalische und das Katalonische.

Seine Sprachkenntnisse sind keineswegs oberflächlich. – Und E[ngels] ist ein wunderbarer Mensch, ich bin niemals einem Menschen begegnet, der geistig so jung und so beweglich ist und ein derart enzyklopädisches Wissen besitzt. Wenn man bedenkt, dass er 20 Jahre in Manchester in einem Handelshaus leitend tätig war, so fragt man sich, woher er die Zeit genommen hat, um alles, was er weiß, in seinem Kopf aufzuspeichern.“

Aus einem Brief von Paul Lafargue an Nikolai Franzewitsch Danielson


Von seinen Freunden hat Engels einst im Scherz den Beinamen General erhalten und ihn auch später behalten. Aber er war ein General, ein wirklicher Heerführer. Er war ein Wegweiser und ein Wegführer, ein Vorkämpfer und ein Mitkämpfer, Theorie und Praxis waren in ihm vereinigt. Er stand als geistiger Leiter an unserer Spitze und in seinem Denken und Fühlen in der Aktion in unserer Mitte.

Wir trauern um Dich, wie wir um Karl Marx getrauert – aber wir verzehren uns nicht in untätiger Trauer! Wir setzen Dir und Euch beiden kein Denkmal von Erz und Stein. Ihr seid zu groß für ein solches Denkmal. Und Ihr seid nicht tot. Ihr lebt in uns, und die ungeheure Schuld der Dankbarkeit, die wir an Euch beide haben, können wir nur abtragen, indem wir Eure Lehre in die Tat umsetzen. Wir werden Euren Willen vollstrecken! Das geloben wir hier an Deinem Sarg, Friedrich Engels.

Trauerrede von Wilhelm Liebknecht


Das Streben des weiblichen Geschlechts nach voller Gleichberechtigung ward von dem Philistertum vor allem mit dem Hinweis bekämpft auf die Unvereinbarkeit des vollen Menschseins der Frau mit dem Wesen der Familie und den Pflichten ihr gegenüber. Und die auf der Sklaverei der Frau beruhende vaterrechtliche Familie galt dem Philistertum als die Familie an und für sich, als die einzig mögliche sittliche, wirtschaftliche, soziale Norm des Zusammenlebens der Geschlechter bis in alle Ewigkeit.

Engels aber war es vorbehalten, Spießbürgers Köhlerglauben an den ewigen Bestand der vaterrechtlichen Familie für immer zu zertrümmern. Im Anschluss an die Arbeiten Morgans und Bachofens, die er erweiterte, vertiefte, als Bausteine eines wunderbar logischen und klaren Gefüges ordnete, wies er wissenschaftlich unanfechtbar nach, dass die Familie wie jedes andere soziale Gebilde unter der treibenden Kraft der Wirtschafts- und Eigentumsverhältnisse wächst und sich verändert, dass ihre Formen ein stetes Werden und Vergehen erfahren.

Aus dem Nachruf von Clara Zetkin

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Keine „zweite Violine“", UZ vom 4. September 2020



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