Kinderschreck

Für Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gehen aufregende Tage zu Ende. Sein milliardenschweres Steuergeschenk für Großkonzerne verzögert sich und sein Lieblingskollege im Verkehrsministerium hat möglicherweise ein kleines Korruptionsproblem mit seinen Abteilungsleitern. Zum Glück steht ja die Kabinettsklausur in Schloss Meseberg an, wo ein gut sortierter Weinkeller zum gepflegten Verweilen lädt, bis den Koalitionären die Ampel angeht.

Doch erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Und Arbeit, das heißt für einen neoliberalen Finanzminister in Kriegszeiten, den Armen mitzuteilen, dass sie erstens gar nicht arm, zweitens gar nicht deutsch und drittens selbst dran schuld seien. Beim Tag der Offenen Tür der Bundesregierung sprach Lindner über die heiß umstrittene Kindergrundsicherung, die er für völlig falsch hält. Zwar sei die Kinderarmut in Deutschland „vergleichsweise indiskutabel hoch“, doch das liege an „Familien, die seit 2015 neu nach Deutschland eingewandert sind“. Bei den „ursprünglich deutschen Familien“ sei die Kinderarmut hingegen „ganz, ganz deutlich spürbar zurückgegangen“.

Man möchte zwar nicht annehmen, dass ein Mann, der über so viel Charme und Haargel verfügt, die Unwahrheit sprechen könnte: Doch Lindners Ausführungen sind erstunken und erlogen. Von einem „Taschenspielertrick“ sprach Armutsforscher Christoph Butterwegge gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk. Lindner betrachte nur Bürgergeldbezieher als arm. Tatsächlich seien 500.000 Kinder aus dem Bürgergeldbezug gefallen – dank statistischer Tricks der Bundesregierung, dank Wohngeld und Kinderzuschlag. Arm seien die Familien immer noch, doch liegen sie ein paar Euro über der Bürgergeld-Einkommensgrenze.

Dass eine Kindergrundsicherung vielen Kindern helfen würde, ist unter Sozialexperten unumstritten. Lindner will die Betroffenen spalten, den Druck zur Ausbeutung erhöhen und den verständlichen Frust über die Verhältnisse mit rassistischer Jauche bedecken. Das tut er jedoch nicht für sich selbst, sondern für den Kriegshaushalt. Irgendwer muss ja die die Mordwerkzeuge bezahlen, mit denen Kinder weltweit in die Heimat- und Mittellosigkeit gebombt werden. Schwer zu glauben, dass er darauf in Meseberg alleine anstoßen muss.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"Kinderschreck", UZ vom 25. August 2023



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