Zu den „Leitgedanken“ zur Vorbereitung des 26. Parteitags der DKP

Klarheit über die Lage verschaffen

Zur Vorbereitung auf den 26. Parteitag hat der Parteivorstand der DKP zehn Leitgedanken formuliert, in denen die aktuellen Entwicklungen des Imperialismus und die internationalen Kräfteverhältnisse eingeschätzt werden. Sie dienen der Vorbereitung der Gliederungen auf die Diskussion auf dem Kongress, bilden aber auch die Analyse für die Politikentwicklung der DKP. Diese ist in einem Antrag für eine Handlungsorientierung formuliert, die die Grundlage für die Arbeit der Partei für die kommenden Jahre festlegen soll. Mit den Leitgedanken liegt damit eine marxistisch-leninistische Beurteilung der geopolitischen Entwicklungen vor, die nicht nur der Friedensbewegung helfen kann, die Welt zu verstehen, um sie zu verändern. Das Dokument ist deshalb auch ein Diskussionsangebot an die Menschen, die Kriegsgefahr, Sozial- und Demokratieabbau nicht einfach hinnehmen wollen. Zur Unterstützung der Debatte in den Gliederungen wird UZ in den kommenden Wochen die einzelnen Leitgedanken vorstellen. In dieser Ausgabe beginnt Manfred Sohn mit einem Überblick über das Dokument und ordnet es in die Theorie- und Politikentwicklung der Kommunistinnen und Kommunisten ein. Eine Broschüre mit den Leitgedanken und dem Antrag für eine Handlungsorientierung ist derzeit im Druck. Sie wird einer der kommenden Ausgaben von UZ beiliegen und ist ab Mitte Oktober im UZ-Shop zu beziehen.

Zuweilen sind wir ja ein bisschen stur. Unbeirrt halten die Kommunistinnen und Kommunisten fest am historischen Optimismus. Wir bleiben dabei: Wie schon unsere Eltern und wahrscheinlich auch noch unsere Enkel leben wir in der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus als erster Phase der kommunistischen Gesellschaftsordnung.

Den Grundgedanken der inneren Gesetzmäßigkeit dieses Prozesses hat Karl Marx im Vorwort zur „Kritik der Politischen Ökonomie“ entwickelt: „Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.“

Die Umwälzungen von der Sklavenhaltergesellschaft zum Feudalismus und vom Feudalismus zum Kapitalismus waren quälend lange, Generationen übergreifende Prozesse, die von Verwirrungen und kühner Gedankenklarheit, von Verzweiflung und Hoffnung, von Verzagtheit und Mut, von Feigheit und Aufopferungsbereitschaft, von Kriegen und Sehnsucht nach Ruhe und Frieden, von Dumpfsinn und der Explosion künstlerischer Kreativität gekennzeichnet waren.

Drei Besonderheiten

In einer solchen Epoche leben wir. Und mehr noch: Unsere Zeit unterscheidet sich von früheren Umwälzungen des „ganzen ungeheuren Überbaus“ durch drei Besonderheiten gegenüber allen anderen Übergängen, von denen die erste bereits Karl Marx und Friedrich Engels klar war.

Was am Ende dieser Umwälzung steht, deren Zeugen und Mitgestalter wir sind, ist erstmals nicht die Ablösung einer ausbeutenden Klasse durch eine andere. Es ist das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen selbst. Es ist – mindestens seit Beginn der Ausbeutung am Ende der Urgesellschaft, die zu arm war, um überhaupt ein Mehrprodukt zu erzeugen, das sich einzelne Menschen auf Kosten anderer aneignen konnten – die größte Umwälzung der bisherigen Menschheitsgeschichte. Schon deshalb ist sie langwierig und nur gegen größte Widerstände der ausbeutenden Klassen durchzusetzen.

Zweitens aber – und das hatten die beiden Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus noch nicht auf dem Schirm – vollzog sich diese Umwälzung während der letzten 150 Jahre nicht zuerst in den ökonomisch zu ihren Zeiten fortgeschrittensten Ländern Westeuropas, allen voran Britannien, denen in den Vorstellungen von Marx und Engels dann die anderen Völker der Welt nach einigen Jahren oder Jahrzehnten folgen würden. Weil es den Völkern der damals ökonomisch dynamischsten und militärisch allen anderen überlegenen Staaten nicht gelungen ist, die Umwälzung von der kapitalistischen zur sozialistischen Phase der menschlichen Entwicklung zu erkämpfen, hat sich im 20. Jahrhundert die ökonomische Vereinheitlichung der Welt nicht unter sozialistischer, sondern unter kapitalistischer – und das heißt, wie von Wladimir Iljitsch Lenin analysiert: imperialistischer – Vorherrschaft vollzogen. Sozialismus ist der Zustand eines von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen befreiten Globus gleichberechtigter Völker, welche die frühere dumpfe Abschottung voneinander überwunden haben und sich in ihren unterschiedlichen Kulturen gegenseitig bereichern. Bei Beibehaltung der kapitalistischen Ausbeutung aber wird dieser Traum einer ganzen Menschheit zum Alptraum – Imperialismus ist so gesehen pervertierter Sozialismus.

Die von Marx prognostizierte große Umwälzung ist heute nur als globaler Prozess denkbar und möglich. Kein nationales Ereignis kann verstanden werden ohne Verständnis des Wesens dessen, was weltweit vor sich geht.

Imperialismus als pervertierter Sozialismus heißt drittens auch: Weil die von Marx als Grundlage aller gesellschaftlichen Prozesse entdeckte Entwicklung der Produktivkräfte nicht im Rahmen rationaler gesellschaftlicher Planung, sondern angetrieben durch Profitgier und den Drang nach Ausplünderung der Arbeitskraft ganzer unterdrückter Völker vonstattenging, wuchern die Produktivkräfte immer mehr und immer bedrohlicher als Destruktivkräfte. Während im „Kommunistischen Manifest“ vom Untergang der kämpfenden Klassen auf nationalem Niveau als einer düsteren Möglichkeit des Ausgangs der Kämpfe gesprochen wurde, droht uns heute angesichts der atomaren, biologischen und chemischen Waffen die Vernichtung der ganzen Menschheit.

Nie also war der Weg zur neuen, mit dem Sozialismus beginnenden Gesellschaftsformation von so gefährlichen Klippen gesäumt wie heute. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, sich Klarheit über die Lage zu verschaffen, in der wir uns befinden, sich zu beraten, welchen Kurs wir einschlagen – ansonsten werden wir wie andere politische Kräfte zu Getriebenen der Entwicklungen, statt sie zielgerichtet zu beeinflussen.

Zur Gliederung der „Leitgedanken“

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich und logisch, dass die zehn „Leitgedanken“ zur Vorbereitung unseres nächsten Parteitags mit den „internationalen Verhältnissen“ beginnen und zunächst deren „rasanten, widerspruchsvollen Veränderungsprozess“ in den Blick nehmen. Dies konkretisiert sich im zweiten „Leitgedanken“ in der Analyse der fast wöchentlich anwachsenden Gefahr eines großen Krieges, mit dem der absteigende US-Imperialismus mit seinen Hauptverbündeten – der EU und Japan – versucht, seinen Niedergang noch abzuwenden.

Wir deutschen Kommunistinnen und Kommunisten können weder die Entwicklungen solcher nach Milliarden zählenden Völker wie die Chinas oder Indiens noch die nach hunderten von Millionen zählenden Völker wie die der USA oder Nigerias beeinflussen. Unsere Aufgabe ist schwer genug: Auch wir tragen die historische Verantwortung mit, zu verhindern, dass das deutsche 80-Millionen-Volk zum dritten Mal in der Geschichte der letzten 150 Jahre zum kollektiven Mörder anderer Völker wird und es zu überzeugen, stattdessen die ja vorhandenen revolutionären Traditionslinien des Bauernkriegs, der Revolution von 1848, der Novemberrevolution von 1918 und vor allem der Errichtung der Deutschen Demokratischen Republik 1949 wieder aufzugreifen und einen neuen Anlauf für die Errichtung des Sozialismus auf deutschem Boden zu wagen.

Folgerichtig befasst sich der zweite große Block der „Leitgedanken“ in den Abschnitten 3 bis 7 mit der Analyse des deutschen Imperialismus und des sich gegenwärtig vollziehenden reaktionär-militaristischen Staatsumbaus.

In der Geburtsurkunde aller kommunistischen Parteien, die auf diesem Globus wirken – dem „Kommunistischen Manifest“ –, heißt es, die Bourgeoisie habe durch die von ihr beherrschte Eigentums- und Gesellschaftsordnung diejenigen Menschen „gezeugt“, die letztlich diese Gesellschafts(un)ordnung aufheben werden – „die Proletarier“. Fest in dieser Tradition stehend – „unbeirrt“, wie es im „Leitgedanken“ 10 heißt – befasst sich der dritte große Block der „Leitgedanken“ mit den Kräften des Widerstands gegen den grassierenden Kriegsformierungskurs und folglich vor allem mit dem „Zustand der Arbeitsklasse“. Die „Leitgedanken“ schließen mit der unbeschadet unserer gegenwärtigen Schwäche zentralen Rolle der DKP für die kämpferische, klare Veränderung des Bewusstseins der Arbeiterklasse dieses Landes, damit sie Teil des anfangs dargelegten weltweiten Prozesses des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus werden und dabei vor allem die Gefahr eines dieses Volk in seiner Existenz bedrohenden Krieges abwenden kann.

Traditionen der Parteitagsvorbereitung

Die DKP hat, wie auch die KPD in der Weimarer Republik und – illegal – während des Faschismus und auch wie die SED in der DDR und die SEW in Westberlin, eine lange Tradition der gründlichen ideologischen Parteitagsvorbereitung. Auch darin unterscheidet sie sich fundamental von allen anderen Parteien dieses Landes. Mögen diese ihre Programme und Wahlprogramme vor allem mit dem Ziel schreiben, möglichst viele Wählerstimmen zu „fangen“ – wir schreiben unsere Parteitagsdokumente mit dem Ziel, die Welt zu erkennen und zu verändern.

Die „Leitgedanken“ selbst sollen nicht beschlossen werden. Sie dienen der Entfaltung einer lebhaften, kontroversen Debatte innerhalb einer Partei, die um den unersetzlichen Wert des Widerspruchs als Mittel der Erkenntnisgewinnung weiß. Ob vor 1989 in zum Teil sehr ausführlichen Darlegungen von Willi Gerns und Robert Steigerwald zu Fragen der antimonopolistischen Strategie oder zur Rolle von Revolutionären in nichtrevolutionären Zeiten oder nach 1989 in den maßgeblich von Hans Heinz Holz mitentwickelten „Thesen zur programmatischen Orientierung“ – die DKP hat sich in ruhigeren wie in turbulenteren Phasen ihrer Geschichte vor Parteitagen immer kollektiv und gründlich mit der Frage der internationalen und nationalen Situation, der politischen Kräfteverhältnisse und der sich daraus ergebenden richtigen Schwerpunktsetzung und Strategie befasst. Wir sind kein Wahlverein. Völlig unabhängig von unserer Größe haben wir den Anspruch, als ganze Partei gemeinsam die Wirklichkeit gedanklich zu durchdringen und daraus wissenschaftlich fundierte Handlungen abzuleiten – oder wie Bertolt Brecht schrieb: „Denken ist etwas, das auf Schwierigkeiten folgt und dem Handeln vorausgeht.“ Dies kann im Übrigen, wie Brecht auch betont hat, ein großes Vergnügen bereiten.

In diesem Sinn sei allen Grundeinheiten viel Vergnügen zu wünschen bei der strittigen und lustvollen Diskussion der „Leitgedanken“ – sie sind neben der Aktion auf Straßen und in den Betrieben die beste Art, den 26. Parteitag gut vorzubereiten.

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"Klarheit über die Lage verschaffen", UZ vom 11. Oktober 2024



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