… und das Volk Argentiniens ist auf der Straße

Macri tanzt in New York

Von Claudio Ottone

Am 24. September tanzte Mauricio Macri, der Staatspräsident Argentiniens, mit der Vizedirektorin des „Atlantic Council“, der Macri  wegen „seines Engagements zur Umsetzung der Reformen“ auszeichnete. Innige Zuneigung auch zu Christine Lagarde, der IWF-Chefin: „Ich hoffe, dass sich auch das Land verliebt.“

Macri geht es darum, dass der Internationale Währungsfonds mehr Dollars ausspuckt für eine Regierung, die im letzten halben Jahr die Flucht von 16,676 Milliarden US-Dollar ermöglichte, was fast die Summe ist, die der IWF im April aushändigte.

8 000 Kilometer südlich gab es am gleichen Tag eine Massenmobilisierung durch das ganze Land. Epizentrum war Buenos Aires, wo allein eine halbe Million Menschen zusammenkamen. Aufgerufen hatten die beiden gleichnamigen Gewerkschaftsdachverbände CTA; danach kam auch die größere CGT mit einem Generalstreik dazu. Während Macri also auf der Suche nach Schmierstoff für die Finanzmaschine war, trat Zentralbankchef Nicolás Caputo zurück, nachdem bekannt geworden war, dass der IWF nur fünf statt der gewünschten 20 Milliarden Dollar gewähren würde.

Das brachte das von der Zentralbank in den letzten Tagen angestrebte Gleichgewicht zwischen Zinsen (immer noch jenseits von 60 Prozent) und dem US-Dollar in Gefahr. Der Dollar treibt die Preise, speziell der Produkte, die von den wirtschaftlich schwächsten Sektoren gebraucht werden. Aber der Staatschef bestätigte die irrationale Zielstellung eines Nulldefizits, weshalb weitere Sparmaßnahmen und Übergabe wirtschaftlicher, finanzieller und politischer Souveränität an den IWF anstehen.

Im Jahr 2018 verlor der Peso die Hälfte seines Werts, bei Einkommen, die auf dem Stand von 2017 eingefroren sind. Die Überschuldung, die in weniger als zwei Jahren auf 160 Milliarden Dollar anstieg, kam zur Deregulierung der Kapitalströme, angetrieben von Carry-Trade-Geschäften (Währungsspekulation), genauso hinzu wie die Liberalisierung des Devisenkaufs, die Argentinien im selben Zeitraum zum Abfluss von 55 Milliarden Dollar trieb. Die nicht res­tringierten Importe und die Autorisierung dafür, dass Exportdollar nicht in den Wirtschaftskreislauf des Landes fließen müssen, taten ihr Übriges. Diese auf dem Dreizack Überschuldung-Spekulation-Kapitalflucht basierende Strategie führt zu einer Dollarisierung von allem – außer den Löhnen. Alles, das meint auch die Treibstoffe und Dienstleistungspreise, die unweigerlich andere Preise in der Wirtschaft ansteigen lassen.

Deshalb ist die Inflation in der Regierungszeit Macris um 120 Prozent gestiegen und die Abwertung erreicht 300 Prozent. Allein in den ersten sieben Monaten liegt das akkumulierte Defizit bei 6 Milliarden US-Dollar, und die Arbeitslosigkeit bei über 10 Prozent. Der Mindestlohn fiel von umgerechnet 573 auf 256 Dollar, und die Mindestrente von 441 auf 177. Beim Nationaleinkommen sanken die untersten zwanzig Prozent von 4,9 auf 4,6 Prozent ab, während sich die oberen zehn Prozent von 30,3 auf 32,2 Prozent verbesserten.

Wovon aber redet dann die Regierung, wenn es um ein Nulldefizit geht? Das Haushaltsprojekt für den Kongress sieht 598 Milliarden Pesos zur Schuldentilgung vor, was dreimal so viel ist wie der Etat für Wissenschaft und Technik, viermal so viel wie der für Gesundheit und das 2,6fache des Bildungsetats. Wegen der Schuldenfestlegung in US-Dollar, sinkt entsprechend der Pesowert und in der Folge die Sparpolitik. Während sich Macri also in Lagarde verliebt, ist es in Argentinien anders; in Macris Präsidentschaft wich die Ängstlichkeit der offenen Zustimmung zu gewerkschaftlichen Aktivitäten. Die Mobilisierung und der Streik in Argentinien erklären sich mit dem Angriff des Machttandems gegen das Volk, aber noch mehr wegen des Drucks, den die Klassenbasis mit gemeinsamen Aktionen für den Aufbau eines Koordinierungsraums macht.

Macri flog in die USA, um zu unterstreichen, dass sein „Kulturwechsel“ vorankommt, also die regressive Reichtumsverschiebung und die Zerstörung der Arbeits-, Sozial, Bürger- und Menschenrechte. Auch um darzulegen, dass er bereit ist, dies in Gesetzesform zu gießen.

Vor allem aber um klarzumachen, dass der Klassenblick seiner Regierung in geostrategischen, geoökonomischen und geopolitischen Termini mit dem übereinstimmt, was das Finanzkapital für Argentinien vorgesehen hat – eine neuerliche Primärwirtschaft, offen für die industrielle Abwanderung und den Kapitalfluss. Das heißt: Ein Land, das mehr als eine Hälfte der Einwohner zuviel hat.

Während der jetzigen Regierungszeit gab es vier Generalstreiks; alle waren mehr zur Druckentlastung der gesellschaftlichen Stimmung nützlich, aber weniger zur Schaffung einer kritischen Masse, um ein Regierungsprojekt anzugehen, das ernsthaft droht, nach den Präsidentschaftswahlen 2019 weiterzugehen, unabhängig vom Wahlergebnis. Dieses Mal war die Aktion rund, aber klar ist auch, dass es gilt, einen Kampfplan aufzustellen und eine nichtkapitalistische Perspektive anzustreben, denn ein Blick auf immer mehr Konflikte zeigt doch, dass es genug Mittel zum Aufbau der kritischen Masse gibt.

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"Macri tanzt in New York", UZ vom 5. Oktober 2018



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