Olaf Matthes über Virus, Profit und Solidarität

Markt und Möglichkeiten

„In welcher Welt, in welcher Gesellschaft wir leben werden“ – nach der Coronapandemie –, „hängt von uns ab“, gab Bundespräsident Steinmeier am Montag zum Besten. In was für einer Gesellschaft wir heute leben, lässt die Pandemie deutlich werden.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich die Qualität des Gesundheitssystems und die Zahl der Krankenhausbetten danach richten, ob Klinikkonzerne damit Profit machen können. Natürlich sind die Regeln, nach denen Krankenhäuser Geld für ihre Leistungen bekommen, politisch festgelegt – den freien Markt, den Lehrer und Professoren anpreisen, gibt es in Wirklichkeit schließlich nicht. Die Regeln, die die Regierung festgelegt hat, simulieren einen Markt: Geld gibt es als Fallpauschale, als Vergütung für Behandlungen, die durch das DRG-System gemessen werden.

Nun zeigt sich: Wir haben Glück gehabt, dass die Bertelsmann-Forderung, die Hälfte aller Krankenhäuser zu schließen, noch nicht verwirklicht worden ist. Noch ist die Zahl der Erkrankten gering. Doch schon jetzt stellt sich die Frage, wer die Patienten betreuen soll, wenn mehr Menschen auf stationäre Behandlung und Beatmung auf der Intensivstation angewiesen sind. Das System der Fallpauschalen hat öffentliche und private Häuser dazu gebracht, die Beschäftigten unter einen solchen Druck zu setzen, dass viele ihren Beruf aufgegeben haben. Die, die weitermachen, sagen, dass mit so wenig Personal eine angemessene Versorgung und die nötige Hygiene nicht zu machen sind. Das Virus zu bekämpfen und die Erkrankten zu versorgen, ist die dringendste Aufgabe der Krankenhäuser. Das System der Fallpauschalen legt ihnen das Gegenteil nahe: Covid-19-Patienten bringen weniger Geld ein als andere. Um die Versorgung so zu steuern, dass es den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht, ist dieses System hinderlich. Um die Versorgung so zuzurichten, dass Klinikkonzerne Profit machen können, ist es nützlich.

Nun appellieren die Regierungspolitiker an die Solidarität der Bevölkerung und rufen zur gegenseitigen Hilfe auf. Sie geben damit indirekt zu, dass unsere Gesellschaft in ihren stärksten Triebkräften eben nicht auf Solidarität aufgebaut ist. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Wenigen die Vielen ausbeuten, um einen kleinen Vorsprung in der Jagd um Profit zu erringen. Der Bundespräsident hat recht: Ob wir einmal in einer Gesellschaft leben, die die Solidarität als Grundprinzip lebt und nicht im Ausnahmezustand entdeckt, hängt von uns ab.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Markt und Möglichkeiten", UZ vom 20. März 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flugzeug.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit