Erkenntnis durch Science Fiction

Marxist Space Invader

141302 rocket 03 - Marxist Space Invader - Dietmar Dath, Literatur - Kultur

Vor einigen Jahren überreichte mir ein Genosse auf meiner Geburtstagsparty ein Paket mit den Worten: „Ich dachte, mal was Nützliches.“ Darin waren eine Flasche Wein, eine Schachtel Zigaretten und Dietmar Daths „Maschinenwinter“.

Ein paar Tage später sitze ich mit einem Glas von dem Wein und der „Streitschrift“ auf dem Sofa und denke, da hat er recht, der Genosse. Der, der sie geschrieben hat, und der, der sie nützlich nannte. Es geht darin um, wie der Untertitel verrät, „Wissen, Technik, Sozialismus“, es geht um Lebenserleichterung, Technikfeindlichkeit und geplante Wirtschaft.

Kluge und gut formulierte politische Essays sind aber nicht das Einzige, was Dietmar Dath drauf hat. Haupt- und – ich behaupte jetzt einfach – auch Lieblingsbeschäftigung des Marxisten, der im Brotjob Redakteur im Feuilleton der „FAZ“ ist, ist das Schreiben von Romanen. Und was für welcher.
Da begegnen wir 17-jährigen Messerwerferinnen, weiblichen Stalins, Zombotikern, sprechenden Löwen, kommunistischen Großvätern, Nazi-Zombies, KIs, Keramikerinnen, Mathematikerinnen, Außerirdischen, die humanoid sind, und anderen, die „extremophil“, planetenartig sind, und tausend weiteren berührenden, abstoßenden oder wunderbaren Figuren – und dann ist da noch die geheimnisvolle, krasse, großartige Cordula Späth, die da auftaucht, wo man sie nicht unbedingt erwartet, wo man sie aber braucht, unabhängig davon, in welchem Jahrtausend oder auf welchem Planeten wir sind.

Um die 40 Bücher hat Dath bis heute geschrieben, er findet, viel zu wenig, ich finde, auch da hat er recht. Dazu kommen Essays, Gedichte, Hörspiele und Theaterstücke. Nachzuzählen, wie viele Veröffentlichungen es genau sind, lohnt sich nicht. Bis dieser Artikel erscheint, ist die Zahl eh überholt.
In seinen Romanen entwirft Dath Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch alle Fortschritt reflektieren, technisch wie gesellschaftlich.

So spielt „Die Abschaffung der Arten“ auf einer Jahrtausende entfernten Erde, auf der die „Gente“, die wie Tiere aussehen und doch so viel mehr als Menschen sind, durch Pheromone kommunizieren, und „Neptunation“ in unserer Zeit – nur wussten wir nicht, dass kurz vor der Konterrevolution noch ein Raumschiff mit einer gemischten UdSSR-DDR-Besatzung ins All düste, um dort in einem Asteroidengürtel und auf dem Neptun eine neue Gesellschaft aufzubauen. Daths technische und physikalische Imagination beschert uns schwerelose Transportwege aus „schwarzem Eis“ auf der Venus, seine gesellschaftliche Vorstellungskraft „Neukörper“, die aus Programmiersprache und „schwarzem Eis“ keine Kriege machen, sondern sie nutzen, um fröhlich und frei zu leben und zu lieben, die sich Fell und Flügel wachsen lassen und sich mit der langweiligen Frage, ob Männ- oder Weiblein, gar nicht mehr beschäftigen. Oder er lässt uns künstliche Intelligenzen kennenlernen, die die Sklaverei überwinden, ohne selbst zu Unterdrückern zu werden.

Dabei schreibt er Sätze, die einem auf ewig im Gedächtnis bleiben werden, weil sie nicht nur dem Inhalt nach, sondern auch in der Sprache schön sind. In „Venus siegt“ sitzen zum Beispiel ein „D/“ und ein Mensch in der Kneipe und trinken auf die Zukunft, „wenn die Maschinen berauscht sein werden und die Menschen endlich nüchtern“.

Dath stellt in seinen Büchern nicht nur die Frage danach, wie die Welt sein könnte, sondern auch danach, wie sie sein sollte. Das betrifft dann nicht nur die Möglichkeiten, die wir haben werden, wenn der wissenschaftlich-technische und der gesellschaftliche Fortschritt es zulassen, sondern auch die Probleme, vor denen wir unter den neuen Umständen stehen könnten.

Kritiker werfen Dath oft einen Stakkatostil vor, seine Romane seien zu vollgestopft mit zu vielen Themen. Mir bleibt da der Eindruck, dass es nicht die Vielzahl an Themen ist, sondern die Auswahl der Themen, die eigentlich kritisiert wird. Sozialismuswerbung zu betreiben, und sei es im Weltall, ist heute ein bisschen sehr aus der Mode geraten. Wo kämen wir denn da hin, hinterher kommt noch einer auf revolutionäre Ideen. Vor allem, wenn der Weg zu einer Gesellschaft, wie wir sie wollen, so schonungslos und doch einladend beschrieben wird wie von Dietmar Dath. Wenn der Autor dann auch noch bekennender Kommunist ist, bekommen Kritikerinnen und Kritiker schon mal Schluckauf und den Deutschen Buchpreis lieber andere.

Klar, es scheint auf den ersten Blick ein bisschen „aus der Zeit gefallen“, wenn Kommunistinnen und Kommunisten im Jahr 2019 den Neptun unsicher machen, aber wenn unsere Albträume so fucking real sind wie im Moment, warum sollte das nicht auch für unsere Träume gelten?

Dietmar Dath gibt in seinen Romanen unseren Träumen Raum, lässt uns reisen zu fremden Sternen, wo noch nie ein Mensch war, lässt uns dabei mehr über Physik, Mathematik, Musik, Dialektik, Naturgesetze, Geschlechterverhältnisse und Popkultur lernen, als wir je vergessen können, und macht uns sprachlos mit der Art, wie er Fragen formuliert: „Während die Pelze der Dachse vor Hitze knisterten und die Schuppenhäute der Leguane schimmerten, als ob darunter Sterne steckten, fragten viele: Wieso war den Menschen passiert, was ihnen passiert war?“ („Die Abschaffung der Arten“).

Wenn ein Science-Fiction-Roman die bahnfahrende Leserin mit Hilfe spannender Charaktere auf eine Reise ins Unbekannte nimmt und sie damit vergessen macht, dass die Mitreisenden im Zug Ärsche sind und die Deutsche Bahn mal wieder ihrem Ruf alle Ehre macht, dann ist das ein Vergnügen. Wenn dieser Roman einen – nachts um 12 dann endlich doch noch zu Hause angekommen – die Treppe hochstürmen lässt, um den Lenin aus dem Regal zu nehmen, um nachzuschlagen, nachzulesen und nachzudenken, wie wir sie bauen können, die „Welt, wie sie sein sollte“, dann ist das ein großes Glück.

Das macht die Science Fiction Dietmar Daths. Dafür herzlichen Dank und: Happy Birthday, Dietmar.

PS: Wer auch immer „Pulsarnacht“ und die Originalausgabe von „Venus siegt“ von mir ausgeliehen hat, möge sie bitte zurückgeben. Sie fehlen mir.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Marxist Space Invader", UZ vom 3. April 2020



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