Asklepios will Betriebsrätin loswerden, weil sie über katastrophale Zustände in Kliniken spricht. Kolleginnen und Kollegen solidarisieren sich

Maulkorb für Pflegerin

Von Marie Schmidt

Ende des Jahres häuften sich in den Medien die Berichte über die unmenschlichen Zustände in den Krankenhäusern und Pflegeheimen unseres Landes. Ärztinnen und Ärzte müssen entscheiden, wer einen Beatmungsplatz bekommt, Menschen werden beim Sterben allein gelassen. Pflegekräfte betreuen mehr als 20 Covid-Patientinnen und -Patienten, auf Intensivstationen sind es oft drei bis vier. Das sind Situationen, die Angst und Alpträume auslösen.

Der Personalmangel im Gesundheitswesen ist nicht neu, aber er hat sich mit Covid-19 drastisch zugespitzt. „Ich dachte nicht, dass es noch schlimmer werden kann“, heißt es von Pflegekräften. Regierung und Klinikbetreiber behaupten regelmäßig, sie wollten ja einstellen, aber es gebe keine Fachkräfte. Doch der Personalmangel ist selbstgemacht. 600.000 Pflegekräfte arbeiten nicht mehr in ihrem erlernten Beruf, krank machende Arbeitsbedingungen zwingen zur Flucht aus dem Beruf. Das Verheizen der Beschäftigten in der Pandemie wird diesen Trend weiter verstärken.

Berichte über die Zustände in Kliniken und auf Intensivstationen sind unerwünscht. Der Krankenhauskonzern Asklepios versucht aktuell eine Pflegekraft zu kündigen, die als Sprecherin der Hamburger Krankenhausbewegung auf die Missstände hingewiesen hatte. Doch die ver.di-Betriebsrätin Romana Knezevic kann auf die Solidarität ihrer Kolleginnen und Kollegen zählen. Nachdem sie von einem Chefarzt öffentlich der Lüge bezichtigt wurde, traten viele weitere Kolleginnen und Kollegen vor die Kamera. Die Wut ist sehr viel größer als die Angst.

Die Forderungen in der Pandemie sind klar: Einbeziehung aller Berufsgruppen in die Krisenstäbe, konsequente Test- und Hygienekonzepte, Aufstockung des Personals in allen Bereichen. Und nicht zuletzt die Zahlung einer Corona-Prämie für alle Beschäftigten in allen Kliniken.

Bemerkenswert ist die Einbettung dieser Forderungen in den längerfristigen Kampf für eine gesetzlich verbindliche Personalbemessung, die durch spürbare Sanktionen bei Nichteinhaltung gesichert werden muss, die Abschaffung der Fallpauschalen und die Wiedereingliederung ausgelagerter Servicebereiche als Grundlage für eine bessere und würdigere Gesundheitsversorgung.

Die Pandemie lässt die grundlegenden Probleme eines kapitalistisch organisierten Gesundheitswesens noch offener zu Tage treten. Es zeigt sich, für wen das Fallpauschalensystem ein Gewinn ist. Private Kliniken haben sich im „Sommerloch“ die normale unterdurchschnittliche Auslastung überdurchschnittlich durch Freihaltepauschalen bezahlen lassen. Als im Herbst für freigehaltene Betten nur noch die Kosten erstattet werden sollten, wurde fleißig weiter operiert. Während mit Steuermitteln Beatmungsgeräte gekauft wurden, für die es kein Personal gibt, fordern Intensivpflegekräfte von Klinikleitungen vergeblich vernetzte Monitoranlagen für die Stationen. Hilfsweise setzen sie privat mitgebrachte Babyfons ein, um die Alarme in anderen Zimmern hören zu können.

China und Kuba haben gezeigt, wie unter sozialistischen Vorzeichen eine Pandemie bekämpft werden kann. Statt einer wissenschaftlich basierten Entwicklung und Durchsetzung von Maßnahmen wird in der BRD mal so, mal so gehandelt. Zur Bekämpfung der Pandemie braucht es Kontaktbeschränkungen, aber diese sind so lange absurd, wie Kinder in überfüllten Klassenzimmern und lohnabhängig Beschäftigte auf dem Weg zur Arbeit in ebenso vollen Bahnen und Bussen sitzen. Während es Milliarden-Rettungsschirme für Unternehmen gibt, werden Krankenhäuser mitten in der Pandemie geschlossen, weil sie rote Zahlen schreiben. Große Teile der lohnabhängig Beschäftigten finden das verrückt, trotzdem können die Schließungen bislang noch ohne größere Probleme vollzogen werden. Was wir brauchen, ist besser organisierter und stärkerer Widerstand gegen ihre Angriffe auf unser Leben.

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"Maulkorb für Pflegerin", UZ vom 8. Januar 2021



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