Gedanken zur historischen Entwicklung des Internationalen Frauentags

Rosen, Brot und Frieden

Das Recht zu wählen. Das Recht zu arbeiten. Das Recht, für diese Arbeit auch den gleichen Lohn zu erhalten. Das Recht, selbst über den eigenen Körper zu bestimmen – Frauenrechte sind vielfältig, keines davon wurde uns jemals geschenkt.

Und auch wenn man uns anderes weismachen möchte, auch in der entwickelten Industrienation Deutschland sind Frauenrechte Mangelware. Formal mögen wir gleichgestellt sein, doch wer leistet denn die Arbeit, die sich aus einer im Kapitalismus eh nur rudimentär vorgesehenen und nun mehr und mehr zerstörten Daseinsvorsorge ergeben? Wer leistet die Pflege, wenn es nicht genügend Plätze in Altenheimen oder genügend Betten in Krankenhäusern gibt? Frauen. Wer kümmert sich um die Kinder, wenn die Kita wegen Personalmangel schließt? Frauen. Wer fristet ein Dasein in Altersarmut? Frauen. Daran ändert das Hohelied der Gleichberechtigung nichts, wenn es von den Frauen der herrschenden Klasse gesungen wird.

Im Gegenteil: Frauenrechte werden in diesem Land missbraucht. Die deutsche Außenministerin nennt ihre imperialistische Politik „feministisch“. Passt ein Land nicht in die geopolitischen Pläne des Kapitals, werden die Rechte der Frau in diesem Land wichtig, ist das Land genehm, ist die Rolle der Frau egal. Oder hat man Anna­lena Baerbock aufschreien gehört, als in Polen Frauen starben, weil ihnen Schwangerschaftsabbrüche verweigert wurden? Oder als Saudi-Arabien Frauen für Jahrzehnte wegsperrte, weil sie für ihre Rechte kämpften? Der Frauenrechtsimperialismus ist der Menschenrechtsimperialismus dieser Jahre.

Dabei war Internationale Frauentag – und damit auch der Kampf um Frauenrechte – immer eng verbunden mit dem Kampf gegen den Krieg. 1917 – nach dem Julianischen Kalender am 23. Februar, heute der 8. März – gingen im russischen Petrograd Frauen – Arbeiterinnen, Soldatenfrauen und Bäuerinnen – gemeinsam gegen Krieg und Hunger auf die Straße. Sie lösten damit die Februarrevolution aus. Im August 1910 tagte die „Zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz“ in Kopenhagen. Beherrschendes Thema der Konferenz war die Gefahr des Krieges zwischen den Großmächten und die Gegenwehr der Arbeiterbewegung. Auf Antrag von Clara Zetkin und Käte Duncker wurde ein Antrag zur Einrichtung eines Kampftags für Frauenrechte beschlossen: „Im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats in ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient. Die Forderung muss in ihrem Zusammenhang mit der ganzen Frauenfrage der sozialistischen Auffassung gemäß beleuchtet werden. Der Frauentag muss einen internationalen Charakter tragen und ist sorgfältig vorzubereiten.“

1911 feierte die Arbeiterbewegung den ersten Frauentag in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz am 19. März. Mit dem Datum nahmen sie Bezug auf die Revolution von 1848 und die Pariser Kommune. In den folgenden Jahren entwickelte sich der Frauentag zu einem wichtigen Kampftag der Sozialdemokratie. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs rückte die Friedensfrage ins Zentrum des Frauentags. Der sozialdemokratische Parteivorstand verbot den Mitgliedern der SPD, an der Internationalen Frauenkonferenz 1915 in Bern teilzunehmen; Clara Zetkin wurde wegen ihrer Teilnahme verhaftet.

Auf der „Zweiten Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen“ 1921 in Moskau wurde der 8. März als Datum für den Frauentag festgelegt. Der Kampf um den Frieden blieb ein beherrschendes Thema des Frauentags – auch nachdem die Novemberrevolution nicht nur das Ende des Krieges, sondern auch das Wahlrecht für Frauen gebracht hatte.

In den Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg kamen als zentrale Themen für den Internationalen Frauentag der Schutz von Schwangeren und Müttern sowie der Kampf um die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs hinzu. Allein 1931 waren in Deutschland rund 44.000 Frauen an den Folgen illegaler Abtreibungen gestorben. Auch die anderen Forderungen zum Frauentag sind uns heute nicht unbekannt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, Schulspeisungen – kurz: Existenzsicherung in Zeiten der großen Wirtschaftskrise mit dem am Horizont drohenden neuen großen Krieg.

Auch nach der Niederlage des deutschen Faschismus blieb der Kampf um den Frieden Teil des Internationalen Frauentags: es gab Manifestationen gegen den Vietnam-Krieg, Solidarität mit dem Volk von Chile, in Westdeutschland Aktionen gegen Aufrüstung und die Stationierung von US-Raketen. 1975 begingen die Vereinten Nationen den Internationalen Frauentag das erste Mal, 1977 forderte die UN-Generalversammlung mit einer Resolution alle Staaten dazu auf, einen Tag im Jahr zum „Tag für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ zu erklären.

Über lange Strecken haben sich beim Kampf um die Frauenrechte die Forderungen der bürgerlichen Feministinnen mit denen der proletarischen Frauenbewegung überschnitten. Grundsätzlich wollen sie aber Unterschiedliches. Alexandra Kollontai erklärte das 1913 so: „Was ist das Ziel der Feministinnen? Sie setzen sich für dieselben Vorteile und dieselbe Machtfülle innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft ein, wie sie ihre Ehemänner, Väter und Brüder besitzen. Was aber ist das Ziel der Arbeiterinnen? Ihnen geht es um die Beseitigung jeglicher Privilegien, die sich aus Geburt oder Reichtum ergeben. Der arbeitenden Frau ist es egal, ob ihr Chef ein Mann oder eine Frau ist.“

Eine Aufsichtsrätin mehr oder weniger macht keinen Unterschied. Sie schafft uns im Kapitalismus weder gleichen Lohn, noch Kindergartenplätze, noch ein Ende der doppelten Ausbeutung. Vor allem aber schafft sie keinen Frieden in der Welt. Im Gegenteil.

„Die Wege“, schrieb Kollontai, „haben sich deshalb schon vor langer Zeit getrennt. Es besteht ein enormer Unterschied zwischen arbeitenden Frauen und den besitzenden Ladys, zwischen einer Dienerin und ihrer Herrin.“

Deswegen brauchen wir auch heute den Internationalen Frauentag als Kampftag für unsere Rechte, für Selbstbestimmung, gleichen Lohn, für Heizung, Brot und Frieden. Gegen den Frauenrechtsimperialismus und die Kriegstreiber, die im Jahr 2024 auch weiblichen Geschlechts sind.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Rosen, Brot und Frieden", UZ vom 8. März 2024



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