Mit Macht zurück

„Die Arbeiterklasse ist zurück! Wir werden nicht weggehen, wir werden dieses Land verändern!“ so Mick Lynch, Generalsekretär der Transportarbeitergewerkschaft „National Union of Rail, Maritime and Transport Workers“ (RMT). Deren Mitglieder haben das Land den ganzen Sommer über immer wieder lahmgelegt mit Streiks für einen Lohn, der menschenwürdiges Leben ermöglicht. Aber am vergangen Samstag – dem Tag, an dem die Energiepreise erhöht wurden – ging es um mehr als nur einen Streik in einer Branche:

Mehr als 100.000 Menschen gingen in ganz Britannien auf die Straße, um gegen die Lebenshaltungskostenkrise zu protestieren – es waren die größten Proteste, die Britannien seit Jahren gesehen hat.

Die von der Kampagne „Enough is Enough“ (Genug ist genug) organisierten Kundgebungen fanden in über 50 Städten statt, darunter London, Glasgow, Brighton, Nottingham, Manchester, Liverpool, Cardiff und Aberdeen. Post- und Bahnangestellte hatten an dem landesweiten Aktionstag einen weiteren Streiktag eingelegt. In London versammelten sich die Demonstranten vor dem Bahnhof King‘s Cross, um die streikenden Eisenbahner zu unterstützen. Der Stellvertretende Generalsekretär der RMT, Eddie Dempsey, stellte in seiner Rede fest: „Wir leben in einem Land, in dem … die Energiekonzerne uns Milliarden abnehmen und diese Regierung ihnen weitere 150 Milliarden Pfund zukommen lässt.“ Ihre angekündigten Steuersenkungen für Reiche musste die Tory-Premierministerin Liz Truss am vergangenen Montag fallen lassen – auch auf Druck aus den eigenen Reihen. Zumindest in Teilen der Tories scheint noch ein wenig Realitätssinn über die Stimmung im Land vorhanden zu sein.

Die von Gewerkschaften und lokalen Organisationen ins Leben gerufenen Kampagne „Enough is Enough“ fordert Lohnerhöhungen, Senkung der Energiepreise, Verstaatlichung der Schlüsselunternehmen der Daseinsvorsorge und eine Besteuerung von Vermögen und hohen Einkommen ein. An den Protesten beteiligt hatte sich auch das Bündnis „Don’t pay UK“, das dazu aufruft, Energierechnungen nicht zu zahlen und Daueraufträge zu kündigen. Auf den Kundgebungen wurden Stromrechnungen verbrannt. Die angestellten der „Royal Mail“ und die Eisenbahner sorgten am Samstag für ein Novum: Sie besetzten die Streikposten im gesamten Land gemeinsam – Postler vor Bahnhöfen, Eisenbahner vor Postfilialen. Und damit ist die Streikwelle nicht zu Ende. Am Dienstag traten an mehr als 20 Hochschulen Dozenten in Streik, um ihren Kampf für eine gerechte Bezahlung fortzusetzen. Die Mitglieder der University and College Union (UCU) einen Ausstand zunächst bis zum 18. Oktober angekündigt.

Der vergangene Samstag war der erste Tag, an dem die Arbeitskämpfe verschiedener Branchen aus dem „Sommer der Unzufriedenheit“ mit den Protesten der Bevölkerung gegen Inflation, Energie- und Lebenmittelarmut zusammengeführt wurden. Der Aktionstag kann nur der Anfang gewesen sein. Mick Lynch endete seine Rede mit der er zu den Protesten aufgerufen hatte damit, für wen dieser Kampf entscheiden werden muss: „Für unsere Leute – und für unsere Klasse!“ Sie haben eine Welt zu gewinnen.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Mit Macht zurück", UZ vom 7. Oktober 2022



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