Trumps Abgang. Deutsche Bourgeoisie erhofft Auferstehung des Transatlantismus

Nicht aus Liebe zur Demokratie

Das althergebrachte indirekte US-Wahlsystem soll die Oligarchie sichern. Alexander Hamilton, ein Gründervater, dessen Porträt die 10-Dollar-Note ziert, erklärte es: „Alle Gemeinschaften unterteilen sich in die Wenigen und die Vielen. Erstere sind die reich und wohl Geborenen, die anderen die Masse des Volkes (…) Das Volk ist turbulent und veränderlich; es urteilt und beschließt selten richtig. Gebt deshalb der ersten Klasse einen eindeutigen, dauerhaften Anteil an der Regierung.“ Das funktioniert, auch wenn die Oligarchie nicht mehr aus Finanz- und Handelskapitalisten, Reedern, Landspekulanten und Sklavenhaltern besteht, sondern aus Großeigentümern und Lenkern von Konzernen, Banken, Fonds und Medien. Für den teuersten Wahlkampf aller Zeiten spendeten hunderte Milliardäre – „die meisten für Joe Biden, um Präsident Trump loszuwerden“ (Managermagazin 3. 11. 20).

Beate Landefeld
Beate Landefeld

Berlin und die dominierenden Medien hoffen seit 2016 auf Trumps Ablösung. Vordergründig geben sie sich besorgt um die US-Demokratie. Als „Angriff auf das Innerste der Demokratie“ wurde Trumps Verlangen nach einem Stopp der Auszählung in der „Tagesschau“ kommentiert. Die komplette Auszählung gehöre zur Demokratie, so Olaf Scholz. Wer erinnert sich da nicht an die Wahl von Evo Morales in Bolivien im Oktober 2019? Damals nahmen Regierungen und Medien des Westens eine Verzögerung der Auszählung in Gebieten der indigenen Landbevölkerung zum Vorwand, um Morales Wahlfälschung vorzuwerfen. Trump-Regierung, OAS, EU, Heiko Maas, alle zogen die komplette Auszählung in Zweifel und begrüßten es, als Morales vom Militär zum Rücktritt genötigt wurde. Trump wendet den Regime-Change-Trick im Inland an. Ein Putsch droht in diesem Fall nicht, da das US-Militär nicht hinter Trump steht.

Nicht aus Liebe zur Demokratie war die deutsche Bourgeoisie über Trump entsetzt, sondern weil er die Konkurrenz über die gemeinsamen Ziele des imperialistischen Bündnisses stellte. Er drohte mit höheren Zöllen auf deutsche Exportüberschüsse, begrüßte den Brexit, kündigte internationale Abkommen, die im Interesse der EU lagen. Deutschland drängte er, mehr Lasten in der NATO zu übernehmen. Sein Rassismus, die Ermunterung faschistischer Banden, die Verbindungen zu evangelikalen Sekten konterkarierten das Narrativ der westlichen Wertegemeinschaft, aus dem sie ihren Anspruch ableitet, die Regeln in der Welt zu bestimmen. Trumps „disruptive Entscheidungen“ (Kramp-Karrenbauer) düpierten die NATO-Partner. Von Bidens Sieg erhoffen sie eine Auferstehung des Transatlantismus.

Am 4. November erklärte BDI-Chef Kempf: „Unabhängig davon, wer zukünftiger US-Präsident wird, wünscht sich die deutsche Industrie einen Neustart in den transatlantischen Beziehungen.“ Am 8. November nannte Bundespräsident Steinmeier drei Chancen, die Bidens Wahl biete:

Erstens trete wieder in den Vordergrund, was über den Atlantik verbinde: „Wenn uns nichts sonst verbinden würde, dann wären wir, Deutsche und Amerikaner, immer noch Demokraten. Das verbindet uns, sicherlich mehr als mit jeder anderen Region der Welt, gewiss enger als mit China oder Russland.“

Zweitens gebe es wieder ein „Amerika, das seine Macht nicht allein als Macht über andere versteht, sondern als Macht zum Erreichen gemeinsamer Ziele.“

Drittens gebe es wieder einen US-Präsidenten, der die EU schätze, obwohl das Gravitationszentrum in Asien liege. Gegen „amerikanische Spaltungsversuche“ sei „europäische Einheit nicht zu gestalten“. Aber nur „ein Europa, das sich selbst glaubwürdig schützen will und kann, wird die USA in der Allianz halten können“ („FAZ“ 8.11.20).

Einigkeit im Feindbild, Multilateralismus, eigene militärische Stärke erhofft unsere Bourgeoisie. Wir freuen uns mit der Mehrheit der US-Bürger, dass sie Trump los werden. Das verdanken sie nicht Biden, sondern den Streiks der Gewerkschaften, den Aktionen von Black Lives Matter und anderen sozialen Bewegungen gegen Rassismus, Polizeigewalt, für soziale Rechte, Gesundheitsvorsorge und die Bekämpfung von Covid-19, ein Kampf, der auch unter Biden nötig bleibt.

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Über die Autorin

Beate Landefeld (Jahrgang 1944) ist Hotelfachfrau und Autorin.

Landefeld studierte ab 1968 Literaturwissenschaft und Soziologie an der Universität Hamburg, war Vorsitzende des Allgemeinen Studentenausschusses, Mitbegründerin des MSB Spartakus. 1971-1990 war sie im Parteivorstand der DKP, 1977-1979 Bundesvorsitzende des MSB Spartakus, später auf Bezirks- und Bundesebene Funktionärin der DKP.

Landefeld ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter. 2017 veröffentlichte sie bei PapyRossa in der Reihe Basiswissen das Buch „Revolution“.

Für die UZ schreibt Landefeld eine monatliche Kolumne.

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"Nicht aus Liebe zur Demokratie", UZ vom 13. November 2020



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