Bemerkungen zum US-Regierungswechsel

Kriegsverbrecher im Weißen Haus

Die Leser werden wieder einmal mehr wissen als der Autor. Sollte der Himmel nicht eingestürzt sein, wird der neue Präsident Joseph Biden heißen und Donald Trump wird sich nach zwei erfolglosen Impeachment-Verfahren aus dem Weißen Haus verabschieden. Die Kartellmedien werden sich überschlagen vor Genugtuung. Und auch bei den Vasallen in Europa wird eitel Freude und Zufriedenheit sein.

Um es klar zu sagen: Selbstverständlich gehörte Donald Trump seines Amtes enthoben. Aber nicht wegen der beiden belanglosen Tweets, die er am 6. Januar abgesetzt hat. Donald Trump hat tausende Unschuldige auf dem nicht vorhandenen Gewissen. Wegen der endlosen Kriege, der unzähligen Drohnenmorde, der mörderischen Sanktionskriege gegen die venezolanische, kubanische, iranische, syrische Bevölkerung, wegen des furchtbaren Kriegs in Jemen, in Syrien und Afghanistan, wegen der Morde an den Palästinensern und wegen vielem anderen mehr. Und da ist noch die Klimakatastrophe, die Flüchtlingstragödie, die Millionen Hungertoten und so weiter und so weiter. Aber da sind auch die Millionen US-Bürger, die ihre Arbeit, ihre Existenz verloren haben, hunderttausende Pleiten, Millionen, die vor dem Hinauswurf aus ihren Wohnungen, aus ihren Häusern stehen. Alles nur, damit die Ultrareichen in der Krise noch um Billionen Dollar reicher werden konnten. Es gibt reichlich Gründe, Donald Trump aus dem Weißen Haus zu werfen. Allerdings, das Gleiche galt uneingeschränkt auch für Barack Obama, George W. Bush, William Clinton, George H. W. Bush, Ronald Reagan und so ziemlich jeden US-Präsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg. Und in Kürze natürlich auch für Mr. Biden.

Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Seit klar ist, dass die Marke Trump kein Erfolgslabel und keine Profitgarantie mehr ist, sondern zu einem geschäftsschädigenden Stigma zu werden droht, sind die Absetzbewegungen unübersehbar geworden. Wendehälse gibt es nicht nur im Osten Deutschlands. Joseph Biden wird als die neue Lichtgestalt gefeiert werden. Als die Lösung der tiefgreifenden Strukturprobleme, in denen das Imperium steckt. Donald Trump wird zum neuen Gottseibeiuns, zur Inkarnation des Übels, zur Personifizierung aller Sünden der Vergangenheit.

Dass keiner dieser Kriegsverbrecher, die in den letzten Jahrzehnten das Weiße Haus bewohnt haben, wegen einer der Monstrositäten, für die er politisch und in der Regel auch persönlich verantwortlich ist, zur Rechenschaft gezogen wurde – auch Richard Nixon nicht –, macht deutlich, dass es im US-Establishment bei allem Wahlkampfgetöse und Kongress-Hickhack in den wesentlichen innenpolitischen, außenpolitischen und sozialökonomischen Fragen keine substantiellen Differenzen und keine Alternative gibt. Beide Fraktionen der im Grunde vereinten großbourgeoisen Kartellpartei, die seit langem uneingeschränkt die Schalthebel der Macht in der Bundeshauptstadt beherrscht, unterscheiden sich nur im Kleingedruckten, in den Details der imperialen Machtausübung. Ihre medial aufgeblasenen Showkämpfe sind Teil der US-amerikanischen Politikinszenierung, die, wie beim Wrestling, den Guten und den Bösen braucht und die ergreifende Story des Sieges des Helden über die Mächte der Finsternis.

Der nüchterne Blick auf die imperiale Wirklichkeit ist natürlich nicht gerade erbaulich. Daher wurde aus dem korrupten Kriegsverbrecher und Law-and-Order-Mann Joseph Biden Jesus Christ Superstar. Aber auch das nicht sehr überzeugend. 74 Millionen US-Bürger haben Donald Trump wiedergewählt. Einen aufschneiderischen, bombastischen Multimilliardär. Und niemand fragt: Warum? Kleiner Tipp: es war nicht deshalb, weil es allen so gut geht und weil die Kartellmedien so überzeugend und glaubwürdig waren.

Die neoliberale Offensive hat große Teile des Imperiums in ein Armenhaus verwandelt. Etwa jeder sechste US-Bürger kann sich nur durch Lebensmittelunterstützung über Wasser halten. Je weiter der Neoliberalismus den Kapitalismus in Reinform restrukturierte, umso dysfunktionaler wurde er. Selbst die elementaren gesellschaftlichen Funktionen wie Gesundheitsvorsorge, Infrastruktur, ausreichend bezahlte, qualifizierte, sichere Beschäftigung, qualifizierte Ausbildung können nicht oder nicht in der benötigten Menge bereitgestellt und gesichert werden. Kapitalismus ist nur etwas für Superreiche. Sie bekommen immer reichlich dazu. Da wurde mangels Alternative selbst ein Donald Trump zu einem Hoffnungsträger für ein gutes Drittel der US-Bevölkerung.

Sind die Reklametafeln abgeräumt, so wird sich zeigen, dass es mit Biden fast unverändert weitergeht. Die Ziele von Big Money, Big Tech, Big Oil, Big Pharma und der US-Kriegsmaschine haben sich ja nicht geändert. Mit Biden werden die nächsten Profitbillionen erwartet. Die Kurse im größten Casino der Welt liegen im Allzeithoch. Biden, das bedeutet Profit. Und Bürgerkriegspolizei. Und Krieg.

Millionen US-Bürger haben verstanden: Das Parteienkartell des Kongresses bietet keine Lösung. Das ist schon viel. Was sie noch lernen müssen: Es gibt überhaupt keine Lösung von oben. Weder von Mr. Trump noch von Mr. Biden noch von den sonstigen Figuren, die ihnen als Heilsbringer vorgegaukelt werden. Wirkliche Veränderung kann man nur selbst erkämpfen. In Krisen vollziehen sich die gesellschaftlichen Prozesse im D-Zug-Tempo. So gesehen eine Chance für die „Verdammten dieser Erde“.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Kriegsverbrecher im Weißen Haus", UZ vom 22. Januar 2021



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit