Linkspartei diskutiert Wahlprogramm, Antikriegspositionen in Gefahr

„Nicht hart bleiben wollen“

Die Kriegsgefahr war seit Jahrzehnten nicht so groß wie heute“ heißt es im Vorschlag für das Wahlprogramm der Linkspartei, welches die ehemaligen Vorsitzender Riexinger und Kipping im Februar vorstellten. Dort wird auf Seite 89 ausgeführt: „USA und EU versuchen, ihre Vormachtstellung gegen Russland und China durchzusetzen. In Strategiepapieren der NATO und EU werden Russland und China als Feindbilder beschrieben, das lehnen wir ab. Das droht, in einen neuen Kalten Krieg zu eskalieren.“.

Mindestens in der Führungsetagen der linken Sozialdemokratie ist dieser kalte Krieg jedoch schon lange angekommen. Kipping selber stellte beispielsweise vor zwei Jahre im Berliner Babylon-Kino mit Paul Mason dessen Buch „Klare, lichte Zukunft – Eine radikale Verteidigung des Humanismus“ vor. An diesem Abend war dann auch von einem „Bürgerkrieg seit der Wahl Donald Trumps“ die Rede. Diesem Aggressor setzt Mason in seinem Buch einen gefährlicheren Konterpart entgegen: „die Ablehnung der ‚Ideen‘ von Xi Jinping ist keine untergeordnete Frage. In China muss so wie in den westlichen Ländern das menschliche Wesen radikal verteidigt werden“. Mason lässt keine Interpretation zu, gegen wen „wir“ im Zweifel einstehen sollen: „China verfolgt unter Xis Führung das umfassendste antihumanistische Vorhaben der Welt“. – So klingt die Mobilmachung, die Kipping begeistert in kürzester Zeit gelesen habe, wie sie an dem Abend sagte.

Harri Grünberg, Vertreter der parteiinternen Arbeitsgemeinschaft „Cuba Si“, urteilte kürzlich öffentlich über den zuerst von Kipping und Riexinger vorgestellten Wahlprogramm-Entwurf der Linkspartei: „Nimmt man den vorliegenden Wahlprogramm Entwurf der Linken zur Grundlage, dann dürfte wohl auch künftig nicht mit einer klaren Positionierung in dieser Frage zu rechnen sein. In diesem favorisiert man lieber die Äquidistanz, ohne dass die Verursacher der gegenwärtig zugespitzten Weltlage benannt werden.“ Der Internationalist, der auf dem kürzlich abgehaltenen Parteitag nicht mehr in den Vorstand gewählt wurde dankte deswegen der DKP dafür, „dass sie zum diesjährigen Ostermarsch die Forderung nach Frieden mit Russland und China einbrachte“.

Doch was steht drin im Wahlprogramm-Entwurf? Ein sechs Seiten starkes Friedenskapitel spricht sich gegen Waffenexporte und für Abrüstung, für den Stopp von Rüstungsexporten und gegen Drohnen und Atomwaffen aus. Doch aktuelle Debatten ihrer Führungskräfte drohen die Linkspartei als „Friedenspartei und verlässliche Stimme der Friedensbewegung im Bundestag“ zu schwächen. Zwar heißt es unmissverständlich im Entwurf: „An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, werden wir uns nicht beteiligen.“ (S.89) Doch Bundesgeschäftsführer Höhn, der in der Fraktion für Sicherheitspolitik zuständig ist, wusste davon unabhängig gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ mitzuteilen: „Die Vereinten Nationen müssen gestärkt werden. Sie sind die Alternative zum Recht des Stärkeren. Einen kategorischen Ausschluss jedweder deutschen Hilfe bei friedenserhaltenden UN-Missionen halte ich darum nicht für richtig.“ Im Erfurter Programm von 2011 hieß es noch: „Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden“.

Dass sich Fraktionsleute vor die Partei stellen, kennt nicht nur die Linkspartei. Dass solche Leute aber für einen Platz auf der Regierungsbank versuchen, der Partei die Orientierung gegen Krieg und Imperialismus zu nehmen, das hat die Linkspartei bisher vor allem bei den Grünen beobachten können. Achtet man auf die Aussagen und Zwischentöne ihres Führungspersonals, lassen sich deutliche Parallelen nachzeichnen. So zeigt das vorgelegt Wahlprogramm und die Debatte darum eine deutliche Anpassung an den Mainstream auf.

Im Verhältnis von Krieg und Frieden scheint es keinen Imperialismus zu geben, nur falsche Politik. Ein Systemzusammenhang von Profitlogik und gewalttätiger Expansion wird nicht aufgezeigt. Ein grundsätzliches Klasseninteresse in der Politik der Herrschenden scheint nicht wahrgenommen zu werden. Im Rahmen imperialistischer „Entwicklungszusammenarbeit“ fordert das Wahlprogramm: „ausländischen Friedenskräften wollen wir die Möglichkeit eröffnen, ihre Ausbildung in Deutschland zu absolvieren. Entsprechende Hochschulen und Ausbildungsstätten wollen wir auch im Ausland aufbauen“ (S. 93).
Obwohl im Entwurf der Austritt Deutschlands aus der NATO und deren Auflösung gefordert wird, haben linke Spitzenpolitiker seit Gregor Gysi immer wieder betont, dass sie in der Frage nicht hart bleiben wollen. Vor dem Hintergrund solcher Debatten hat der Ältestenrat der Linkspartei letzte Woche gemahnt: „Die Rolle Deutschlands in der NATO als Anfang für Vermittlung zu bewerten, geht an der Realität vorbei. Wenn 80 Jahre nach dem Überfall des faschistischen Deutschlands auf die Sowjetunion wieder deutsche Panzer an der Grenze Russlands mit einer ‚Bündnispflicht‘ der NATO stehen, kann von einem Vermittlungsauftrag wohl kaum eine Rede sein.“

Nachdem der Wahlprogramm-Entwurf ausführlich im neugewählten Parteivorstand diskutiert und mit einer Gegenstimme verabschiedet wurde, so dass ihn die neuen Vorsitzenden Hennig-Wellsow und Wissler letzte Woche erneut der Öffentlichkeit präsentierten konnten, äußerte sich noch einmal der 20-köpfige Ältestenrat: „Die Linke will mitregieren, weil sie für einen Politikwechsel steht. Bislang gibt es keine belastbare innerparteiliche Debatte über inhaltliche Zielvorstellungen und Partner eines Parteien- und Regierungsbündnisses.“

Das Wahlprogramm trägt an vielen Stellen eine andere Handschrift als das noch gültige Erfurter Parteiprogramm. Beschlossen werden soll der 120 Seiten starke Text auf einem Parteitag am 19. und 20. Juni. Dann wird sich zeigen, ob die Basis der Bewegungspartei mitzieht.

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"„Nicht hart bleiben wollen“", UZ vom 23. April 2021



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