Unterkünfte für Obdachlose und Asylsuchende

Not als Standard

Von BG

Der Qualitäts-Standard für Notunterkünfte bewegt sich auf sehr niedrigem Niveau: „Die Notunterkunft gewährleistet ein vorübergehendes Unterkommen einfacher Art; sie bietet Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse; die an eine Normalwohnung zu stellenden Anforderungen bezüglich Lage, Größe, Einrichtung und sonstiger Verhältnisse brauchen nicht erfüllt zu sein. Es besteht weder ein Anspruch auf Räume bestimmter Art, Lage oder Größe oder für eine bestimmte Zeitdauer noch ein Anspruch auf Raum für berufliche Arbeit, sonstige Beschäftigung oder zur Unterbringung von Haustieren …“ beschreibt Willy Kronberger von der Koordination Wohnungslosenhilfe Nord- und Südbayern in einem Leitfaden zu Thema Obdachlosigkeit.

Mit anderen Worten: Es gibt keine Qualitätsstandards. Und genauso sehen die Unterkünfte für Obdachlose und Asylsuchende auch aus. Und genau deshalb ist es auch möglich, Menschen in Container-Anlagen, Massenunterkünften oder gar Zelten unterzubringen.

„Wir haben keine Flüchtlingskrise,

sondern eine sozialpolitische Krise“

Diese Massenunterkünfte werden zunehmend als absolut alternativlos dargestellt. Aber ganz so alternativlos sind sie nicht, denn laut geltendem Recht gibt es auch die Möglichkeit, leerstehende Gebäude, Wohnungen oder Flächen zu beschlagnahmen. Das geht nur zeitlich begrenzt und mit finanzieller Entschädigung der Eigentümer, aber es geht.

Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer brachte diese Möglichkeit schon vor Monaten ins Gespräch. Im Januar wurde das Gebäude des Kolpingwerks in Arnsberg beschlagnahmt, mittlerweile auch ein Hotel in Olpe, eine Kaserne im Main-Tauber-Kreis sowie die ehemalige Zentrale der Berliner Sparkasse.

Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow („Die Linke“) rief die thüringische Bevölkerung auf, leerstehende Gebäude an die Staatskanzlei zu melden, damit „ohne Blockade“ die Möglichkeit der Unterbringung von Flüchtlingen darin geprüft werden könne.

Die Partei „Die Linke“ Hamburg fordert seit langem, leerstehende Bürohäuser und Wohngebäude zu Wohnraum umzufunktionieren – notfalls mittels Beschlagnahmung. Erst Anfang September stelle die Linksfraktion in der hamburgischen Bürgerschaft einen entsprechenden Antrag.

Der flüchtlingspolitische Sprecher der Fraktion „Die Linke“ in der Bezirksversammlung Altona, Horst Schneider, fordert eine „Lex Menschenwürde“: Leerstehende Gebäude sollen im Rahmen geltenden Rechts beschlagnahmt und zu Wohnraum umfunktioniert werden.

„Die Lage auf dem Hamburger Wohnungsmarkt ist seit Jahren katastrophal“, erläutert der Lokalpolitiker gegenüber der UZ. „Der Senat und die sieben Bezirksverwaltungen haben in der Vergangenheit versäumt, sich um den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus zu kümmern.“ Ein Ergebnis dessen sei, so Schneider, dass immer mehr Menschen auf der verzweifelten Suche nach bezahlbarem Wohnraum seien, und derzeit Zelte aufgestellt werden, um Flüchtlinge unterzubringen. „Andererseits gibt es mehr als 1,2 Mio. qm Büroleerstand plus leerstehende Wohnhäuser und nicht genutzten Wohnungen, u. a. 80 Wohnungen der Wohnungsgesellschaft SAGA.“

Allein in der Zentralen Erstaufnahmestelle (ZEA) in der Schnackenburgs­allee im Bezirk Altona leben mehr als 1 300 Menschen in Containern und Zelten. 16 Menschen sind in einem 25qm Zelt eingepfercht, 12-qm-Container werden mit 3 oder 4 Personen belegt, Toilettenkabinen aufgestellt statt vernünftige sanitäre Anlagen zu errichten.

In den in ihrem Schweden-Style nett anzuschauenden Containerdörfern, die auch im Bezirk Altona zu finden sind, werden Obdachlose und Asylbewerber einquartiert. Alle Containeranlagen sind hoffnungslos überbelegt. Trotz des schönen äußeren Scheins: Die Menschen müssen dort unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. In den hastig errichteten Zelten zur Massenunterbringung von Menschen brechen ansteckende Krankheiten wie z. B. die Krätze aus.

„Es gebe eine ‚Flüchtlingskrise‘ heißt es als Erklärung dazu. Nein, wir haben keine Flüchtlingskrise, sondern eine sozialpolitische Krise“, stellt Schneider in einer Pressemitteilung klar. „Seit Jahrzehnten wurde in der Hansestadt Hamburg, und auch im Bezirk Altona, die Entwicklung von sozialem Wohnungsbau versäumt.“

Auch im Bezirk Altona stehen Bürogebäude, Wohnhäuser und Flächen leer, die z. T. mit einigen Umbauten als Wohnraum genutzt, bzw. auf denen Wohnungen gebaut werden könnten. Als Beispiel nennt Schneider u. a. einen ehemaligen Bürokomplex gegenüber der Trabrennbahn Bahrenfeld, wo Tausende qm Raum ungenutzt bleibt, während wenige Straßen weiter eine Containeranlage errichtet werden soll. „Menschen gehören nicht in Container, und schon gar nicht in Zelte. Jeder Mensch braucht ein Zuhause, das ihm oder ihr Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten garantiert“, so Schneider. „Wir fordern den Bezirk auf, endlich alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um für eine adäquate Unterbringung von Menschen zu sorgen. Es gibt ausreichend Leerstand, was fehlt, ist der politische Wille.“

Als seinerzeit die Hausbesitzer in Neuenfelde sich weigerten, ihre Grundstücke dem EADS-Konzern zum Ausbau der Landebahn des werkseigenen Flughafen von Airbus zur Verfügung zu stellen, war der damalige Senat unter Bürgermeister Ole von Beust (CDU) nicht so zimperlich und erließ eine „Lex Airbus“, ein Sondergesetz zur Ermöglichung der Enteignung der Eigentümer.

In dem im Jahr 2002 erlassenen und letztlich gescheiterten Gesetz wurden die Interessen eines Konzerns für „gemeinnützig“ erklärt, um die Enteignung von Grund und Boden von Familien, die zum Teil seit vielen Generationen dort ansässig waren, durchsetzen zu können. „Im Gegensatz dazu halten wir die Schaffung von menschenwürdigen Wohnraum für alle Menschen für eine Angelegenheit von höchstem öffentlichen Interesse“, betonte Schneider. „Zumal bei der von uns vorgeschlagenen Beschlagnahmung niemand Verluste hinnehmen muss. Im Gegenteil, viele Gebäude könnten so vor dem Zerfall gerettet werden. Wir fordern eine ‚Lex Menschenwürde‘ statt Finanzierung von Prestigeprojekten wie die Elbphilharmonie oder die kostenintensive Bewerbung für Olympia 2024.“

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"Not als Standard", UZ vom 18. September 2015



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