Krankenhäuser nutzen die Krise für sich – für den Profit, gegen die Beschäftigten

Ob Ruhe oder Sturm

Seit Einführung der Fallpauschalen ab 2004 und dem damit verbundenen Stellenabbau in der Pflege und nahezu allen anderen nichtärztlichen Berufen im Krankenhaus hat sich die Arbeitssituation der Beschäftigten kontinuierlich verschlechtert. Nach der Arbeit zu Hause angekommen, war die Antwort auf die Frage „Wie war deine Schicht?“ standardmäßig ein resigniertes „Frag nicht“ oder ein genervtes „Weißt du doch, der gleiche Wahnsinn wie jeden Tag“. Auch die gesetzlich eingeführten Personaluntergrenzen für wenige Bereiche sowie die erstreikten Tarifverträge für Entlastung in 17 Krankenhäusern konnten für die Mehrheit der Beschäftigten daran nichts ändern.

Dementsprechend groß war die Sorge des Krankenhauspersonals vor einer Zunahme der Covid-19-Patientinnen und -Patienten wie in Italien oder Spanien. Die Berichte vom tagelangen Durcharbeiten mit provisorischer Schutzausrüstung, dem Anstieg der Sterbezahlen, ohne dass man noch etwas dagegen tun kann, und nicht zuletzt die Sorge vor eigener Ansteckung prägten den Blick auf das Kommende in deutschen Krankenhäusern. Die Aussagen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der beharrlich äußerte, dass das Gesundheitssystem in Deutschland gut vorbereitet sei, führten zu Unverständnis und Wut in den Belegschaften. Wenn schon der normale Betriebsablauf es nicht ermöglicht, die Patienten bedarfsgerecht und menschlich zu versorgen, wie sollte es dann in der erwartbaren Ausnahmesituation sein?

Hand in Hand bereiteten politisch Verantwortliche und Unternehmen sich und die Bevölkerung auf die Ausnahmesituation vor: Während die Eingriffe in die unternehmerische Freiheit klein waren, wurden die Schutzrechte für die Beschäftigten frontal angegangen. Zuerst wurden sämtliche Personaluntergrenzen ausgesetzt, dann das Arbeitszeitgesetz massiv ausgehöhlt. Jetzt sind 12-Stunden-Schichten und eine Wochenarbeitszeit von 60 Stunden möglich. Die Arbeitgeberverbände versuchen die Umsetzung einer Forderung, die sie seit Jahren durchsetzen wollen, nicht allzu frohlockend zu bejubeln. Mit dem angemessenen Ernst verkaufen sie das als Notwendigkeit zur Krisenbekämpfung.

Wenn man sich die aktuelle Situation in den Krankenhäusern anschaut, waren diese Maßnahmen bisher nicht notwendig. Die Anzahl der Covid-19-Patienten ist nicht so sprunghaft angestiegen wie befürchtet. Nachdem die politisch Verantwortlichen den Krankenhäusern zugesichert haben, dass es nicht ihr finanzieller Schaden sein wird, wenn sie nichtnotwendige Operationen absagen und die Patientenanzahl deutlich reduzieren, haben wir in vielen Kliniken genau die umgekehrte Situation: Es sind deutlich weniger Patienten da, die von so viel Personal versorgt werden können, wie es sich die Beschäftigten in den letzten Jahren nur erträumen konnten.

Die Antwort der Arbeitgeber folgte auf dem Fuß: Wenn die Ruhe vor dem Sturm so lange dauert oder es sogar bei der „etwas windigen“ Ruhe bleibt, bieten sich viele Möglichkeiten, die Corona-Krise aus betriebswirtschaftlicher Sicht positiv zu nutzen. Beschäftigte werden in Urlaube gedrängt und Überstunden müssen abgebaut werden, so der Weg der eher sozialpartnerschaftlich aufgestellten Geschäftsführungen, die es mancherorts noch gibt. Bei Fortbestehen dieser Belegungssituation und insbesondere bei den privaten Konzernen wird die Gangart deutlich härter: Die Beschäftigten werden mit weniger Stunden ins sogenannte „Minus“ geplant, damit sie, wenn es die Krise oder der profitorientierte Wille des Arbeitgebers erfordern, dazu verpflichtet werden können, deutlich mehr zu arbeiten als eigentlich arbeitsvertraglich verabredet ist.

Der Gipfel der Unverschämtheit ist, dass jetzt Kliniken Kurzarbeit anmelden und sich so des aus ihrer Sicht überflüssigen Personals auf Staatskosten entledigen, das anderswo dringend gebraucht wird. Denn natürlich gibt es auch diese Bereiche: Einzelne Kliniken mit überproportional vielen Covid-19-Patienten oder spezialisierte Notaufnahmen und Stationen, wo deutlich mehr Personal notwendig wäre. Aber solange es keine gesellschaftliche Planung und Kontrolle im Gesundheitssystem gibt, werden die Krankenhauskonzerne in jedem denkbaren weiteren Verlauf der Krise ihr Handeln am Profit und gegen die Beschäftigten ausrichten. Umso notwendiger ist es, dass sich die Gewerkschaften dem klar entgegenstellen und auch in dieser besonderen Situation für die Forderungen der Werktätigen kämpfen, nicht nur im Gesundheitswesen. Der sich nähernde 1. Mai 2020 ist dafür eine gute Gelegenheit, hier braucht es Protest – nicht nur im Internet!

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"Ob Ruhe oder Sturm", UZ vom 17. April 2020



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