In Krankenhäusern und Seniorenzentren fehlen die Masken

Pflegepersonal braucht Schutz

Angela Münch

Die stetige Absenkung der Schutzmaßnahmen für das medizinische Personal in der aktuellen Situation ist ein Riesenskandal. Nach Recherchen der „tagesschau“ vom 16. April waren etwa 6.400 Ärzte und Pflegekräfte in Deutschland mit dem Coronavirus infiziert, acht davon bereits gestorben. Von diesen Infizierten sind drei von vier weiblich, das Durchschnittsalter beträgt 42 Jahre nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI).

Das Statistische Bundesamt zählt 5,7 Millionen Beschäftigte im Gesundheitswesen, davon sind 41 Prozent mindestens 51 Jahre alt, mehr als ein Viertel (31 Prozent) der niedergelassenen Ärzte sind sogar 60 Jahre und älter und gehören dementsprechend zur Hochrisikogruppe.

Auch Pflegekräfte und Mediziner haben chronische Lungenerkrankungen, Diabetes mellitus, sind übergewichtig oder haben Bluthochdruck. Außerdem schwächen Schicht- und Nachtarbeit, Überstunden und Personalmangel das Immunsystem massiv. 10 bis 15 Prozent der Infizierten in Spanien und Italien sind Mitarbeiter des Gesundheitswesens.
Angesichts dieser Zahlen muss doch absolut klar sein, dass der Schutz des medizinischen Personals maximal sein muss und Priorität hat. Abgesehen davon, dass es zu lebensgefährlichen Situationen mit Todesfolge kommen kann, bringt das auch die Versorgung der Bevölkerung in Gefahr. Spahn und Co. erwähnen immer wieder, wie wichtig ihnen der Schutz für das Personal ist – doch Worte und Ergebnisse liegen hier unfassbar weit auseinander. Die Schutzmaßnahmen wurden in den letzten vier Wochen sukzessive abgesenkt.

Schutzmaßnahmen heruntergefahren

In der Medizin ist es üblich, nach Leitlinien zu therapieren, wenn nicht, drohen eventuell sogar strafrechtliche Konsequenzen. Vor der Corona-Krise galten Hygieneleitlinien zum Schutz des Personals (AWMF-Leitlinie für Krankenhaus- und Praxishygiene), die gesetzlich vom Arbeitgeber gewährleistet werden mussten. Hierin heißt es klipp und klar, dass Personal wie auch Besucher schon beim Betreten des Zimmers eines Patienten mit einer SARS-Infektion eine FFP3-Maske oder einen Respirator zu tragen haben. Außerdem sind ein flüssigkeitsdichter Schutzkittel, eine Schutzhaube, eine Schutzbrille und Handschuhe zu benutzen. Die Masken sollen aus hygienischen Gründen nach einmaligem Tragen entsorgt werden. Sie sind auch vom Hersteller als Einmalartikel ausgewiesen.

Das RKI empfiehlt aktuell unter „Hygienemaßnahmen bei der Behandlung und Pflege von Covid-19-Patienten/B persönliche Schutzausrüstung“, bevorzugt eine FFP2-Maske zu tragen. Wenn diese nicht vorhanden ist, heißt es lapidar, soll ein Mund-Nasen-Schutz verwendet werden. Ein Mund-Nasen-Schutz ist bei SARS-Infektion in einer pflegerischen Situation genau Null Prozent Schutz für den Beschäftigten. Eine Haube wird nur bei starker Exposition empfohlen.

Um die FFP2-Masken unter normaler Exposition im Klinikalltag zu rechtfertigen, wird vorgebracht, dass die Viren ja nicht alleine durch die Luft schweben, sondern sich an Aerosole (Gemisch aus festen oder flüssigen Schwebeteilchen. Die Redaktion) binden. Ein Tröpfchen dieser Aerosole ist größer als das Virus selbst und kann durch FFP2-Masken ausreichend gut gefiltert werden. Die Dokumente, die auf den RKI-Seiten hierzu angegeben werden, beziehen sich letztlich aber immer auf Aerosole in Verbindung mit Influenzaviren. Die meisten Influenza-A- und -B-Viren werden vom Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe in die Risikogruppe 2 eingestuft. Nur das Vogelgrippevirus und das Gänsepestvirus werden genauso wie das SARS-Coronavirus in die Risikogruppe 3 eingestuft. Risikogruppe 3 bedeutet, dass eine schwere Krankheit und eine ernste Gefahr für Beschäftigte bestehen können. In der Fußnote dieser genannten Risikogruppe-3-Viren werden unmissverständlich FFP3-Masken empfohlen.

Auch vom RKI wird auf Arbeitsschutzmaßnahmen bei längerem Tragen der FFP2- und FFP3-Masken hingewiesen, wie zum Beispiel 30 Minuten Pause nach Stunden arbeiten mit Maske. Sehr fraglich, wo und wie diese Regelung Anwendung findet. In Industrie und Handwerk gibt es eine Erschwerniszulage, wenn mit diesen Masken gearbeitet wird – für die Beschäftigten im Gesundheitswesen gibt es so eine Zulage bisher nicht.

Durchfeuchtete Masken

Vom ersten Krisentag an, ab dem 13. März, als die Krankenhäuser Platz schaffen sollten für Corona-Patienten, wurden „Maßnahmen zum ressourcenschonenden Einsatz von MNS- und FFP-Masken in Einrichtungen des Gesundheitswesens bei Lieferengpässen“ vom RKI, abgestimmt mit dem Bundesgesundheitsministerium, veröffentlicht. Seither werden Trainingsvideos für das Personal für das korrekte An- und Ablegen der Schutzkleidung erstellt und die Devise lautet: Einmal-Masken nicht wegschmeißen, sondern über eine Schicht von acht Stunden wiederverwenden. In dieser und auch in anderen Stellungnahmen des Bundes taucht auf, dass selbstverständlich bei Kontamination oder Durchfeuchtung die Masken verworfen werden sollen. Ab wann eine Maske aber „durchfeuchtet“ ist – dazu gibt es keinerlei Empfehlung. In der Praxis ist die Maske eben nach acht Stunden „durchfeuchtet“. Die Perspiratio insensibilis (unsichtbarer Wasserverlust über Haut und Lunge) beträgt normalerweise beim Gesunden etwa 10 ml/kg pro 24 Stunden oder 300 bis 1.000 ml in 24 Stunden. Der unsichtbare Wasserverlust über Haut und Lunge beträgt also bei 70 Kilogramm Körpergewicht circa 700 Milliliter in 24 Stunden oder circa 30 ml/Stunde. Bei körperlicher Betätigung kann das deutlich mehr sein. Ab wann ist eine Einmal-FFP-Maske also durchfeuchtet? Es ist aktuell eine rein subjektive Einschätzung bei so einer wichtigen Frage. Die Mitarbeiter bekommen teilweise nur eine einzige Maske pro Schicht ausgehändigt. Der (kleine) Vorrat wird verschlossen aufbewahrt.

Also werden die Masken auch acht Stunden getragen. Anstatt dass das RKI zu erklären versucht, ab wann eine Maske durchfeuchtet ist und damit verworfen werden sollte, wurde in der Aktualisierung der Stellungnahme zum ressourcenschonenden Einsatz der Masken vom 14. April einfach der Punkt der Durchfeuchtung ersatzlos gestrichen.
Nachdem der Standard der Schutz­ausrüstung direkt von Anfang an erst einmal generell abgesenkt wurde, dann eine Wiederverwendung am gleichen Arbeitstag eingeführt wurde, ist ab der dritten Woche der Krise, seit offiziell 1. April, das Sammeln der Einmal-Masken zur Wiederaufbereitung durch Dekontamination durch trockene Hitzeeinwirkung von 65 bis 70° Celsius (zum Beispiel in Trockenschränken über 30 Minuten) für die Zeit der Pandemie erlaubt. Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer empfindet diese Maßnahme als Zumutung, wie im Deutschen Ärzteblatt zu lesen ist. Der Skandal kennt keine Grenzen mehr.

Pflegekräfte gefährdet

Die Deutsche Gesellschaft für Sterilgutversorgung (DGSV) beschreibt eine solche Maßnahme als „Ultima ratio“. Sie antwortet auf die Maßnahmen des RKI: Trockene Hitze ist auch für diese besondere Situation keine praktikable, hygienische und gesicherte Methode. Die Konvektion innerhalb des porösen Materials sei nicht bekannt, die lange Ausgleichszeit sei seit Jahren ein grundlegendes Problem, die Wärmeleitung des Maskenmaterials sei extrem behindert – deswegen werde das Coronavirus nach 30 Minuten selbst bei 70° Celsius trockener Hitze nicht sicher deaktiviert.

Weiter heißt es: Die Masken sind nach Benutzung in der Regel feucht und sollen deshalb nicht in geschlossenen Gebinden zwischengelagert werden. Die Lagerung in offenen Gebinden ist aber aus hygienischer Sicht auch als problematisch einzustufen. Eine Weiterverbreitung von pathogenen Viren und gegebenenfalls sonstigen Mikroorganismen in andere Klinikbereiche ist hygienisch äußerst bedenklich. Es soll keine Wiederverwendung beziehungsweise Weiterverwendung von Masken nach Tätigkeiten an infektiösen Patienten mit ausgeprägter Exposition durch Aerosole beziehungsweise bei Durchfeuchtung der Atemmaske stattfinden. Die Masken müssen personenbezogen gekennzeichnet, gesammelt und wiederverwendet werden, da nicht alle Keime sicher abgetötet werden können. Wir freuen uns schon alle auf unsere „dekontaminierten“ Masken. Die Frage ist, wie lange wir noch unter diesen Bedingungen Corona-Patienten versorgen können. Schließlich ist man nicht zur Hilfe verpflichtet, wenn man sich selbst dafür in Gefahr begeben muss.

Was gebraucht wird

40 Millionen Masken werden bestellt, damit die Menschen sehen können, wie viel unternommen wird, wie engagiert die Herren Minister sind. Weil der „Schutz des Personals“ ja ganz oben steht. Die Situation sei „unübersichtlich“, beschweren sich Verantwortliche im „Ärzteblatt“.

Daimler kam durch die Spende von 10.000 Schutzmasken in die Schlagzeilen. Rechnen wir den Bedarf selbst aus: Ein Corona-Patient in einem Isolierzimmer wird mindestens drei Mal pro Schicht (in acht Stunden) von der Pflege und mindestens einmal vom Arzt besucht, dazu kommen Lagerungstherapien, bei denen mindestens drei Mitarbeiter beteiligt sind. Also, wenn nichts Außergewöhnliches passiert, sind in acht Stunden sieben Masken notwendig und in 24 Stunden 21 Stück – das ist die kleinste anzunehmende Menge.

In Stuttgart gibt es zum Beispiel derzeit relativ stabil circa 25 beatmete Patienten, das wären 525 Masken am Tag. Die Spende von Daimler würde in Stuttgart dann nur für diese Beatmungspatienten, ohne die Patienten auf den peripheren Stationen, geschweige denn für Patienten in Altenheimen, etwa 19 Tage ausreichen.

Die Bundesregierung hätte dafür sorgen können – oder kann immer noch jetzt sofort dafür sorgen –, dass die Industrie ihr Vorräte in dieser besonderen Pandemie-Situation abgeben muss. Wenn ein Betrieb jetzt nach der vierten Woche der Krise ankommt und Masken „spendet“, dann gehört da kein Applaus hin, sondern eine Klage wegen unterlassener Hilfeleistung.

Nach der vierten Woche der Krise sollte man auch annehmen, dass eine Produktion im eigenen Land endlich funktioniert. Denn wo auf dieser Welt, wenn nicht hier in Deutschland, kann eine eigene Produktion für Masken besser funktionieren? So wie es aussieht, bringt die Maskenproduktion einfach nicht genügend Gewinne. Einmal mehr stehen sich Wirtschaft und Gesundheit in dieser Krise diametral gegenüber und man muss sich für eine Seite entscheiden.
Herr Spahn lässt verlauten, dass ab Mitte August (!) die Lieferung der Masken aus inländischer Produktion gesichert sein wird – ganze sechs Monate nach Krisenbeginn. „Ich bin dadurch sehr viel zuversichtlicher bei diesem Thema“, meint Spahn dazu in einem Bericht in der „Welt“. Das übersteigt wirklich alles. Wie viele Mitarbeiter werden sich bis dahin infiziert haben und wie viele gestorben sein?


Die Autorin ist Notfallmedizinerin und Ärztin auf einer Intensivstation in Stuttgart. Sie verfasste diesen Beitrag am 19. April 2020.

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"Pflegepersonal braucht Schutz", UZ vom 1. Mai 2020



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