Der Hafenarbeiter und Betriebsrat Malte Klingforth kandidiert für die DKP zur EU-Wahl

„Von wegen alternativlos“

Die DKP tritt zur EU-Wahl an – als einzige Partei in Deutschland, die den Kampf um Frieden und gegen Waffenlieferungen, gegen NATO-Politik, Hochrüstung und Wirtschaftskrieg in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellt. Malte Klingforth aus Hamburg kandidiert auf Platz 7 der DKP-Liste. UZ sprach mit ihm über seine Arbeit im Hamburger Hafen, die Sorgen seiner Kollegen und Arbeitszeitverkürzung.

UZ: Du arbeitest beim Hamburger Gesamthafenbetrieb. Wie sieht ein Arbeitstag von dir aus?

Malte Klingforth: Am Tag vorher melde ich mich bei uns in der Einteilung. Die teilen mir dann mit, wo ich eingesetzt werde und in welcher Funktion. Tags darauf fahre ich morgens da hin und melde mich zum Schichtbeginn. Dann arbeite ich ganz normal die Schicht, so wie die Festen das auch tun würden.

UZ: Also arbeitest du bei einer Leiharbeitsfirma?

Malte Klingforth: Nein. Wir sind zwar Leiharbeiter, fallen aber nicht unter Arbeitnehmerüberlassung. Wir arbeiten nämlich auf Grundlage des Gesamthafengesetzes von 1950. Das ist geschaffen worden zu einer Zeit, als es keine Leiharbeit in Deutschland gab. Die war damals verboten und sittenwidrig. Aber die Hafenwirtschaft hat besondere Anforderungen, weil es deutliche Arbeitsschwankungen gibt – je nachdem, ob ein Schiff da ist. Deshalb ist dieses Gesetz geschaffen worden, als Ausnahme für diese Branche. Allerdings mit der Besonderheit, dass, wenn es einen Gesamthafen gibt, jede andere Form von Leiharbeit im Hafen verboten ist. Und wir arbeiten, abgesehen von gewissen haustariflichen Unterschieden, grundsätzlich zu den gleichen Tarifbedingungen. Wir höhlen also nicht die Tariflandschaft aus, sondern stützen sie.

UZ: Welche Tätigkeiten übst du konkret aus?

Malte Klingforth: Laut meinem Arbeitsvertrag „alle anfallenden Tätigkeiten“, sofern das Hafenarbeit ist und ich dafür qualifiziert bin. Containerbrücke ist zwar mein Hauptpatent, aber ich bin von Beruf, da lege ich Wert drauf, nicht Containerbrückenfahrer, sondern Hafenarbeiter. Ich fahre schon mal Gabelstapler in einer Halle, manchmal reinige ich Frachträume.

UZ: Belädst du auch Frachter, die Rüstungsgüter transportieren?

Malte Klingforth: Ja. Wir wissen aber nicht, wann wir Rüstungsgüter verladen. Das Problem liegt im Containerumschlag: Wir sehen nur die Boxen von außen und haben keine Ahnung, was drin ist. Was wir ab und zu sehen, ist, dass es sich bei einem Container um Gefahrgut handelt. Aber darin kann alles Mögliche sein. Ob das Silvesterkracher oder Munition ist, steht nicht drauf.

UZ: Ist das im Kollegenkreis ab und an mal Gesprächsthema, was man da so alles durch die Weltgeschichte schickt?

Malte Klingforth: Das ist nicht Thema. Die Arbeit ist so entfremdet, dass es überhaupt keinen Bezug mehr dazu gibt, was man da verlädt. Bei Stückgut oder Schwergut, wenn man große Maschinenteile oder so verlädt, ist das anders, weil man das dann sieht. Es gibt ja zigtausende von problematischen Sachen, die man verladen könnte. Bei den Millionen Containern, die wir jedes Jahr umschlagen, fragt man sich das nicht mehr. Es ist bedauerlicherweise kein Thema, aber das ist wahrscheinlich auch eine Folge der Entpolitisierung der Belegschaften.

UZ: Du bist Betriebsrat. Mit welchen Fragen und Sorgen kommen deine Kollegen zu dir?

Malte Klingforth: Aktuell haben wir das Problem, dass die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), die unser größter Kunde ist, ein Programm namens CTX aufgelegt hat. Mit viel Automatisierung, Digitalisierung und interner Umstrukturierung soll die HHLA damit in den nächsten Jahren umgebaut werden. Für uns bedeutet das, dass wir viel weniger gefragt sein werden. Das wurde schon angekündigt. Weil wir als Gesamthafenbetrieb nicht sagen können, na, dann arbeiten wir halt nicht für die HHLA, sondern machen was anderes, sind wir voraussichtlich mehr als 100 Kollegen zu viel. Wir verhandeln jetzt mit dem Arbeitgeber, wie wir mit freiwilligen Maßnahmen unsere Belegschaftsgröße reduziert kriegen. Das bekommen die Kollegen draußen natürlich mit. Sie haben schon im Vorfeld viele Sorgen geäußert: Habe ich in zehn Jahren überhaupt noch einen Job? Wird meine Funktion wegrationalisiert? Da werden wir als Betriebsräte regelmäßig angesprochen.

UZ: Wie hoch ist der Organisationsgrad bei euch?

Malte Klingforth: Etwa 90 Prozent. Das ist branchenüblich.

UZ: Du kandidierst zur EU-Wahl. Die Hafenarbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Welche Rolle spielt die EU dabei?

Malte Klingforth: Das ist eher ökonomisch bedingt. Dass Container sich so massiv durchgesetzt haben, ist keine staatliche oder suprastaatliche Entscheidung gewesen, sondern auf privatwirtschaftlicher Ebene entschieden worden. In Hamburg kam das erste Containerschiff 1968 an. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis sich das durchgesetzt hat. Die Rahmenbedingungen, unter denen wir arbeiten, da hat die EU natürlich eine ganze Menge mit zu tun. Die EU hat Anfang der 2000er Jahre versucht, das sogenannte Port Package durchzusetzen. Das ist die Liberalisierung der Hafendienstleistungen, also Lotsen, Schlepper, Festmacher und so weiter. Das ist damals erfolgreich abgewehrt worden mit massiven Hafenarbeiterdemos in Brüssel. Dafür sind Kollegen aus ganz Europa angereist. Als ich 2008 angefangen habe, war das noch stark im kollektiven Bewusstsein verankert: Die haben Port Package versucht, wir haben es niedergekämpft. Die werden es wieder versuchen, wir werden es wieder niederkämpfen. Seitdem hat es solch offene Versuche nicht mehr gegeben. Jetzt hat man eher eine Salamitaktik: Hier mal ein bisschen, da mal ein bisschen.

UZ: Was hat dich zu deiner Kandidatur bewogen?

Malte Klingforth: Ich wurde gefragt (lacht). Klar haben wir keine Chance, ins Europaparlament zu kommen. Das finde ich aber auch nicht relevant. Mir ist wichtig, deutlich zu machen, dass es eine Alternative gibt zum Kapitalismus. Von wegen „alternativlos“, wie Merkel behauptet hat. Es gibt eine Alternative zum gegenwärtigen Kurs und ab und zu ist es sinnvoll, dass wir auch mal auf einem Wahlzettel auftauchen.

UZ: Hast du ein Schwerpunktthema, mit dem du in den Wahlkampf ziehst?

Malte Klingforth: Der Hamburger Senat will die halbstaatliche HHLA weitgehend an MSC verkaufen. MSC soll eine Minderheitenbeteiligung von 49,9 Prozent bekommen, aber allen ist klar, dass es dabei nicht bleiben wird und MSC da selbst in der Minderheit die Hosen anhaben wird. Die Stadt wäre dann als Gegengewicht weitgehend raus. Damit droht die Privatisierung der HHLA weiterzugehen – und das ist ein massiver Angriff auf unsere Tariflandschaft, auf unsere Arbeitsbedingungen. Es soll zu Arbeitszeitverdichtungen kommen, und die Einzelbetriebsbeschäftigten müssten „flexibler“ werden. Generell ist die Privatisierung öffentlicher Unternehmen ein Schwerpunktthema für uns geworden. Was mir am Herzen liegt: Wir haben vor einer Weile entschieden, dass wir im Hafen tariflich eine 30-Stunden-Woche durchsetzen wollen. Das ist leider durch die MSC-Geschichte sehr ins Stocken gekommen, weil die sich wie Mehltau über alles gelegt hat. Man muss sich jetzt damit beschäftigen, um das abzuwehren.

UZ: Arbeitszeitverkürzung drängt sich ja auf, wenn Personalabbau droht.

Malte Klingforth: Genau. Das ist explizit der Gedanke dabei. Einerseits unsere Arbeitsplätze zu schützen, wenn die Arbeitgeber sagen, so, wir automatisieren jetzt. Das können sie gerne tun, es spricht ja nichts dagegen, uns die Arbeit zu erleichtern. Aber die erhöhte Produktivität muss natürlich mit einer entsprechenden Arbeitszeitverkürzung einhergehen. Bei vollem Lohn- und Personalausgleich natürlich, damit wir nicht die Leidtragenden sind. Zweitens ist Arbeitszeitverkürzung generell wichtig. Meiner Ansicht nach ist die Erkämpfung der 35-Stunden-Woche in den 1980er Jahren einer der größten gewerkschaftlichen Erfolge in diesem Land. Und die war in den 80ern mit der Produktivität der 80er Jahre möglich. Jetzt sind wir 40 Jahre weiter. In dieser Richtung hat sich aber nichts mehr getan. Die gewerkschaftlichen Kämpfe oder generell die Arbeitskämpfe der letzten 150 Jahre haben ja immer beide Komponenten: Die Verfügung über die Freizeit und die Höhe des Lohns. In den letzten 40 Jahren sind wir bei der ersten Geschichte nicht weitergekommen. Schlimmer noch, die Tendenz geht ja in die andere Richtung: Man muss wieder mehr arbeiten ohne entsprechende Lohnerhöhung. Wir haben gesagt, da müssen wir jetzt mal ran und diesen Kampf wieder in Angriff nehmen. Wir brauchen mehr Freizeit und mehr Verfügungsgewalt über die Frage, wann wir diese Freizeit in Anspruch nehmen können.

Am 9. Juni 2024 wird ein neues EU-Parlament gewählt. Auch die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) stellt sich zur Wahl. Sie ist für alle eine Wahlalternative, die gegen das Abwälzen der Krisenlasten und der Kriegskosten auf die kleinen Leute sind. Auf Platz 1 der Liste der DKP kandidiert Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP. Auf Platz 2 steht Andrea Hornung, Bundesvorsitzende der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ). Auf den Plätzen 3 und 4 finden sich Manaf Saleh mit palästinensischen Wurzeln und die gebürtige Iranerin Shabnam Shariatpanahi. Gemeinsam mit dem SDAJ-Mitglied Nikolaos Papadopoulos, der Friedensaktivistin Barbara ­Majd-­Amin, dem Hafenarbeiter Malte Klingforth, der Pflegerin Meike Siefker und dem Kraftfahrer Gerd Brucks führen sie die Liste der 43 Kandidatinnen und Kandidaten der DKP an.
Weitere Interviews mit unseren Kandidatinnen und Kandidaten gibt es im UZ-Dossier zur EU-Wahl.

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"„Von wegen alternativlos“", UZ vom 26. April 2024



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