Ukraine: Staatschef in Berlin, Aufrüstung forciert

Poroschenkos Perspektive

Von ZLV

Angela Merkel hatte die Präsidenten Frankreichs und der Ukraine, François Hollande und Petro Poroschenko, für den vergangenen Montag zum Krisentreffen nach Berlin geladen. Das Berliner Treffen fällt mit dem Tag der Unabhängigkeit der Ukraine zusammen. Am 24. August 1991 hatte der Oberste Sowjet der damaligen Ukrainischen Sowjetrepublik eine Unabhängigkeitserklärung verabschiedet. Obwohl die Ukraine danach noch vier Monate lang Teil der Sowjetunion war, gilt der 24. August als „Tag der Entstehung der neuen Ukraine“.

Offiziell war das Ziel der Gespräche, „den ein halbes Jahr alten Friedensvereinbarungen von Minsk zur Geltung zu verhelfen.“ Dennoch wurden weder Vertreter Russlands noch der ostukrainischen Aufständischen eingeladen. Russland hatte den Westen aufgefordert, den Druck auf die Ukraine zu erhöhen, damit das Land einen Dialog mit den Aufständischen für einen Ausweg aus der Krise beginnt.

Im ostukrainischen Kriegsgebiet geht inzwischen das Blutvergießen weiter. Das ukrainische Militär klagte am Sonntag über einen getöteten sowie mehrere verletzte Soldaten – und verweist erneut einseitig auf „die prorussischen Separatisten“ als Schuldige.

Zum „Tag der Staatsflagge“ am Sonntag forderte Regierungschef Arseni Jazenjuk, dass jeder Ukrainer künftig einen Eid auf die Treue zu seinem Land ablegen solle. Staatschef Poroschenko stattete das Militär am Wochenende mit neuen schweren Waffen aus. Er übergab auf dem Truppenübungsplatz Tschuhujiw im Gebiet Charkiw unter anderem Panzer, Panzerabwehrwaffen und Luftabwehrraketen. Vor dem Treffen in Berlin machte Poroschenko wenig Hoffnung auf eine rasche Lösung des Konflikts. „Die militärische Bedrohung aus dem Osten ist die Perspektive für das kommende Jahrzehnt“, warnte er.

Die Ukraine bezeichnet Russland als „Aggressor“. Es sei vorrangig für die Ukraine, das Militär zu modernisieren und mit neuen Waffen auszustatten, betonte Poroschenko. Die Ukraine hofft auf weitere Waffenlieferungen des Westens. Nach Angaben aus Kiew haben einige Staaten bereits Waffen geliefert. Allerdings nennt die Führung die Länder nicht namentlich. Poroschenko verwies aber darauf, dass Kiew 500 Einheiten Spezialtechnik aus dem Ausland erhalten habe. Zudem sind in der Ukraine Hunderte westliche Militärausbilder im Einsatz, um die Soldaten für den weiteren Krieg zu trainieren.

US-Präsident Barack Obama machte deutlich, dass die Unterstützung aus den USA weitergehen werde. Er gratulierte der Ukraine zum „Tag der Unabhängigkeit“ und sicherte in einem Schreiben an Staatschef Poroschenko weitere Unterstützung zu. „Unsere beiden Nationen arbeiten zusammen, um das Recht des ukrainischen Volkes auf freie Wahl seines Weges zu unterstützen und zu verteidigen“, zitierte Poroschenkos Presseamt aus Obamas Schreiben. Obama habe Poroschenkos „entscheidende Reformen trotz der russischen Aggression im Osten und der Besatzung der Krim“ gelobt. „Die Vereinigten Staaten werden auch weiterhin die Ukraine unterstützen.“

Seit Tagen graben sich die ukrainischen Soldaten immer weiter ein. An der Donbass-Front habe die Armee auf 600 Kilometern ein dichtes System von Gräben und Bunkern weitgehend errichtet, teilt das Kriegsministerium in Kiew mit.

Darüber hinaus sorgt ein weiterer Großbau für Aufsehen: der sogenannte „Europäische Wall“. An der fast 2000 Kilometer langen Grenze will die prowestliche Führung um Regierungschef Arseni Jazenjuk Zäune hochziehen. 180 Kilometer Panzergräben sowie Hindernisse, Unterstände und Drahtverhaue auf fast 550 Kilometern seien in den Gebieten Tschernigow und Charkow bereits fertig, sagt Vizegrenzschutzchef Wassili Serwatjuk. Umgerechnet 5,8 Millionen Euro hat die pleitebedrohte Ukraine Serwatjuk zufolge dafür dieses Jahr ausgegeben. Weitere 6,7 Millionen sollen folgen, und für 2016 sind 7 Millionen Euro eingeplant. „Wir werden alles tun, um uns vom Aggressorstaat, der die Russische Föderation ist, abzuzäunen“, sagt Jazenjuk.

Die Stimmung zwischen der Ukraine und Russland bleibt aufgeheizt. „Es gibt keine Brudervölker im Krieg“, sagte Poroschenko zuletzt an Putin gerichtet, der Ukrainer und Russen als eine Familie betrachtet. Auch an der Front sehen Experten keine Entwarnung. „Man braucht sich keinen Illusionen hinzugeben, dass alles abflaut und Ruhe eintritt. Die derzeitige relative Stille kann man als Vorspiel für weitere Provokationen zum Augustende betrachten“, meinte unlängst Michail Paschkow vom Kiewer Rasumkow-Zentrum in der Zeitung „Segodnja“ („Heute“).

Durch die Minsker Abkommen hat die ukrainische Regierung laut Poroschenko Zeit gewonnen, um die Armee zu stärken. „Die Minsker Abkommen, auch wenn sie kritisiert werden, haben uns einen Vorsprung verschafft. Sie haben uns Zeit gegeben, um die ukrainische Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Sie haben uns geholfen, den militärisch-technischen Rückstand hinter Russland abzubauen“, sagte Poroschenko am Samstag bei einem Treffen mit Soldaten nahe Charkow.

Der diesjährige Rüstungsetat der Ukraine sei auf Rekordhoch, so Poroschenko weiter. Die „Verteidigungsfähigkeit“ der Truppen sei jetzt „deutlich höher als im vergangenen Jahr. Noch in diesem Jahr würden die Truppen mehr als 300 Panzer, 400 Fahrzeuge, 30 000 Raketen, Geschosse und Handfeuerwaffen bekommen, versprach der Staatschef.

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"Poroschenkos Perspektive", UZ vom 28. August 2015



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