Saisonarbeiter schuften wieder auf deutschen Höfen – Agrarlobby gegen Erhöhung des Mindestlohns

Regional, Bio und verdammt unfair

Gemüse und Salat, am besten „bio“ und aus „regionalem Anbau“ sind hipp, gesund, gut fürs Klima und fürs Tierwohl sowieso, von den prekären Arbeitsbedingungen auf den Schlachthöfen ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass das urbane liberal-ökologische Klientel selbstgefällig bis überheblich auf die Proleten an der Currywurstbude schaut. Die zum Teil skandalösen Arbeits- und Unterkunftsbedingungen der rund 275.000 Saisonarbeiter in der Landwirtschaft werden beim veganen Brunch hingegen gerne ignoriert. Dabei haben Gewerkschaften diese in der Vergangenheit immer wieder aufgedeckt und skandalisiert.

Um die Politik endlich zum Handeln zu bewegen, haben der Deutsche Gewerkschaftsbund, das Projekt „Faire Mobilität“ und die IG BAU gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung am 15. März zur Fachkonferenz „Arbeitsbedingungen in der saisonalen Landwirtschaft fair gestalten“ eingeladen. Neben den vorherrschenden Arbeitsbedingungen für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft soll auf dieser Fachkonferenz auch die Perspektive der Herkunftsländer in den Blick genommen und durch wissenschaftliche Expertise und Berichte aus der Praxis Probleme und Regelungsdefizite aufgezeigt werden. Der Ankündigungstext ist die höfliche Umschreibung von tausendfachem Arbeitsunrecht und übelster Ausbeutung. Die Situation von rumänischen Erntehelfern, die für ihre Arbeit auf einem Gemüsehof in Brandenburg einen Hungerlohn von 70 Cent pro Kilo geerntetem Spargel erhielten, ist nur ein Beispiel: Hygienevorschriften wurden nicht eingehalten. Die Verpflegung war unzureichend, minderwertig und mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum. Reise- und Unterbringungskosten wurden den Saisonarbeitern in Rechnung gestellt.

Die Covid-19-Pandemie hat die Situation der Saisonarbeiter nicht zuletzt durch zahlreiche Corona-Ausbrüche weiter verschärft. Zugleich wurde die Landwirtschaft von der Politik als systemrelevant eingestuft und eine Reihe von Sonderregelungen für Saisonarbeiter eingeführt. Hierzu gehört die Ausweitung der Regelung der geringfügigen Beschäftigung, die es im vergangenen Jahr ermöglichte, Saisonarbeiter bis zu 102 Tage sozialversicherungsfrei zu beschäftigen. Die Betroffenen hatten dann weder eine Kranken- noch Arbeitslosenversicherung, geschweige denn Rentenansprüche. Was bei der Einführung eigentlich als Ausnahmeregel für Ferien- und Studierendenjobs vorgesehen war, wird von den Agrar-Unternehmern jedoch gezielt ausgenutzt, um Menschen aus anderen Ländern zu miesen Bedingungen, ohne sozialen Schutz und für wenig Geld zu beschäftigen.

Geht es nach dem Willen der Agrarlobby wird sich an den Hungerlöhnen nichts ändern  – auch nicht nach der angekündigten Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Die Erhöhung ab 1. Oktober 2022 wird sowohl vom Deutschen Bauernverband, dem Gesamtverband der deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA) als auch vom Zentralverband Gartenbau (ZVG) kategorisch abgelehnt.

Die Argumentationslinien sind die gleichen, die man seit der Einführung des Mindestlohns auch von anderen Kapitalvertretern kennt. Die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen sei gefährdet, wird beispielsweise vom Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, behauptet. Dieser fordert daher eine „zeitliche Verschiebung der Anhebung und einen gestaffelten Übergang“. Martin Empl, Präsident des GLFA, greift noch tiefer in die neoliberale Mottenkiste und bezeichnet die Mindestlohnanhebung als staatlichen Eingriff in die Tarifautonomie. Dass er die massenhaft praktizierte Tarifflucht deutscher Unternehmer als Eingriff in die Tarifautonomie ebenfalls kritisiert hätte, ist nicht bekannt.

Neben der Angst vor „staatlich verordneter Lohnerhöhung“ kommen auf die leidgeplagten Agrarunternehmer mit dem Ukrainekrieg weitere Sorgen hinzu. „Saisonarbeitskräfte aus der Ukraine werden fehlen“, berichtete der NDR am 1. März. Tausende Saisonarbeiter aus dem Land an der Schwarzmeerküste arbeiteten jedes Jahr als Erntehelfer auf den Spargel- und Erdbeerfeldern. Im Moment verbietet die Selenski-Regierung ukrainischen Männern im kampffähigen Alter ab 18 Jahren, das Land zu verlassen. Dabei sind Saisonarbeiter aus dem Ausland für die Agrarunternehmer in Deutschland doch unverzichtbar. Es sieht so aus, als ob wir alle Opfer für den (Wirtschafts-)Krieg von NATO und EU gegen Russland bringen müssen. Die Arbeiterklasse darf aufgrund steigender Energiepreise wahlweise hungern oder frieren – und für die Oberschicht wird der Spargel teurer.

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"Regional, Bio und verdammt unfair", UZ vom 18. März 2022



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