EU und Euro-Austritt: Setzt die Linkspartei wieder auf „Plan A“?

Riexingers dritter Plan

Von Pablo Graubner

Was haben Oskar Lafontaine in Deutschland und Jean-Luc Mélenchon in Frankreich gemeinsam? Sie sind prominente Vertreter einer Strömung innerhalb der linken und grünen Parteien Europas, die derzeit eine „Renaissance“ erlebt, wie selbst Kritiker zugestehen. Gemeint ist die „Plan B“-Initiative, deren Kern insbesondere skandinavische und südeuropäische Parteien bilden und die einen „Plan A“, also eine soziale und demokratische Reform von EU und Euro, nicht mehr für möglich halten.

Wie kommen die auf sowas? Das ist einfach erklärt. Wollte man zum Beispiel die Rolle der schier allmächtigen Europäischen Zentralbank verändern, so müsste die in den EU-Verträgen festgelegte Wirtschafts- und Währungsordnung grundlegend neu gestaltet werden. Das wäre aber nur möglich, wenn sich alle 28 Mitgliedsstaaten einvernehmlich darauf einigten. Man stelle sich das vor: Die Staats- und Regierungschefs kämen im Europäischen Rat zusammen und beschlössen ohne Gegenstimme eine soziale und demokratische Reform der Währungsunion, die die Investitionsbedingungen und die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere des deutschen Finanzkapitals erheblich einschränken würde.

Man muss kein Marxist sein um zu sehen, dass dieses fiktive Szenario das direkte Gegenteil von dem ist, was wir in der jüngeren Vergangenheit erlebt haben. Viel wahrscheinlicher ist anzunehmen, dass sich das politische Kräfteverhältnis nicht in ganz Europa zugleich, sondern in einzelnen Ländern verändert. Den progressiven Kräften in diesen Ländern bleiben dann nach Stand der Dinge zwei Alternativen: Entweder den rasanten Abstieg der griechischen Syriza von einer sozialen Protestpartei zur Mehrheitsbeschafferin für Troika-Auflagen nachzuahmen – oder aus dem Euro auszusteigen, zumindest in Perspektive.

Die deutsche Partei „Die Linke“ stand in dieser Debatte bislang auffällig abseits, was nicht verwunderlich ist, wenn man sich die Position ihres Ko-Vorsitzenden Bernd Riexinger anschaut. Dieser argumentierte im Neuen Deutschland vom 29. Oktober vehement gegen einen linken EU-Austritt. Es sei eine Illusion, dass das gegenwärtige Kräfteverhältnis – gemeint ist sowohl die Position der Staaten innerhalb der kapitalistischen Weltwirtschaft als auch das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit auf dem Weltmarkt – primär an der Bruchstelle des Währungssystems verändert werden könne. Die Euro-Kritiker beschritten damit einen „gefährlichen Irrweg“, so Riexinger, denn „eindeutig rechts dominierte Austrittskampagnen“ – wie zum Beispiel in Großbritannien – „lassen sich nicht links besetzen“. Statt der Nationalstaaten gehöre „die Klassenfrage in den Vordergrund“, womit Riexinger sagen will, linke Parteien sollten statt einem linken Exit eine radikale Umverteilung des Reichtums auf Kosten der Superreichen, Vermögenden und Banken, kurz: eine radikale Transformation der EU fordern.

Nun steht die Sache aber so, dass Klassenfragen nicht auf rein ökonomische Verteilungsfragen reduziert werden können. Am Beispiel Großbritanniens: Viele der Menschen, die für den Brexit gestimmt haben, haben das aus Angst um ihre Jobs getan, aus Sorge um öffentliche Dienstleistungen und ihre demokratische Souveränität, schätzte der Generalsekretär der KP Britanniens Robert Griffiths unlängst ein. „Sie spüren, dass Globalisierung, Privatisierung und freie Märkte, die von multinationalen Konzernen dominiert werden, nicht im Interesse der arbeitenden Menschen und ihrer Familien durchgesetzt werden“. Und es sei eine traurige Tatsache, dass ein großer Teil der politischen Linken die Arbeiterklasse und die Menschen in der Brexit-Kampagne aufgegeben habe.

Unabhängig vom Wollen und Wünschen der Menschen wäre es nun tatsächlich fahrlässig, sich allein aus der Lösung der Währungsfrage „größere Verteilungsspielräume für eine soziale Politik“ (Riexinger) zu erhoffen. Solche Spielräume werden durch das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit geprägt, nicht im globalen Rahmen, wie Riexinger behauptet, sondern in allererster Linie im nationalen Rahmen.

Und trotzdem stecken in Währungsfragen auch Klassenfragen. Während der Eurokrise wurde die sogenannte „interne Abwertung“ durchweg praktiziert, d.h eine drastische Lohnsenkung quer durch die ganze Volkswirtschaft inklusive dramatischer wirtschaftlicher und sozialer Konsequenzen. Das schützt das ausländische Finanzkapital vor Verlusten, birgt weniger Risiko für das inländische Finanzkapital und wälzt die Kosten auf die Arbeiterklasse ab. Die Abwertung einer nationalen Währung lässt die Löhne hingegen zunächst unangetastet, sie verteuert aber Güter- und Kapitalimporte. Sie verschiebt damit das Verlustrisiko von der Arbeiterklasse zum Finanzkapital. Es ist daher kein Wunder, dass bürgerliche Medien diesen legitimen wirtschaftspolitischen Mechanismus mitunter als „Wiederkehr des Nationalismus“ brandmarken. Riexinger stößt mit seiner Argumentation in dasselbe Horn. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sein Programm derzeit vor allem darin besteht, einen „Plan B“ zu verhindern. Denn sein „Plan C“, der Verschiebung des globalen Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit, ist so unangreifbar wie metaphysisch. Es ist fraglich, ob dabei etwas Anderes als ein neuer „Plan A“ herauskommt.

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"Riexingers dritter Plan", UZ vom 6. Januar 2017



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