Vivantes setzt Tarifvertrag nicht um

Risiken und Nebenwirkungen

Heiko Schmidt

Am 27. April standen wieder einmal Beschäftigte von Vivantes zum Protest vor ihrer Konzernzentrale. Immer noch sind wesentliche Teile der Tarifabschlüsse für die verschiedenen Bereiche nicht wirksam. In den konzerneigenen Tochterfirmen steht die vereinbarte Lohnsteigerung aus. Tatsächlich werden dort viele Beschäftigte seit Jahresanfang einfach niedriger eingruppiert. Das führt zu Lohneinbußen statt zu einer Annäherung an den Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD).
Für die Pflege wurde im Oktober erstmals ein Entlastungstarifvertrag erkämpft. Dieser umfasst ein Regelwerk zur Begrenzung von Belastungen, in dem maximale Patientenzahlen pro Pflegefachkraft festgelegt sind. Überschreitungen sollen mit Freizeitausgleich vergolten werden.

Doch auch hier ist kaum etwas umgesetzt worden. Vivantes behauptet, es gebe Probleme mit der notwendigen Software. Die tatsächlichen Personalbesetzungen und die Fallzahlen in den Abteilungen werden immer noch nicht erfasst.

Natürlich ist von Anfang an klar gewesen, dass die Umsetzung der Entlastungsmaßnahmen Zeit braucht, aber der Tarifvertrag ist seit dem 1. Januar in Kraft. Seitdem gab es von Seiten der Geschäftsführung kaum Bewegung hin zu einer raschen Verwirklichung der neuen Regularien. Erfahrungen aus anderen Kliniken, die Entlastungen erkämpft hatten, haben gezeigt, dass nur auf diesem Wege Pflegepersonal längerfristig gehalten und auch wieder zurückgewonnen werden kann. Diese Effekte erzielt zum Beispiel die Uniklinik Mainz seit 2017. Sie war innerhalb weniger Jahre damit erfolgreich.

Zeitgleich mit Vivantes erkämpften die Beschäftigten der Charité einen Entlastungstarifvertrag. Dieser baut auf dem bereits 2016 errungenen auf – es war der erste überhaupt. Er wurde aber nicht umgesetzt. Nun ist die Charité dabei, das Regelwerk endlich zu implementieren. Die Charité-Geschäftsführung zeigt sich kooperativ. Die Gründe liegen in der besseren Finanzausstattung der Unikliniken als Maximalversorger, aber auch in der Kampftradition der Belegschaft, die sich im Laufe der Jahre entwickelt hat.

Vivantes ist zwar ebenfalls Landeseigentum, aber vor allem für die stationäre Grundversorgung vieler Stadtteile zuständig. Die als GmbH privatwirtschaftlich organisierten Vivantes-Kliniken erhalten kaum Forschungsgelder und sind weniger profitabel. Das Land Berlin hat sich weitgehend aus der eigentlich vorgeschriebenen Erstattung der Investitionskosten von Kliniken zurückgezogen.

Die politisch gemachten Rahmenbedingungen erklären die Härte der Auseinandersetzung bei Vivantes. Die Geschäftsführung zeigt keine Eile, Verbesserungen für ihre Beschäftigten zu realisieren. In Krankenhäusern sind Personalkosten stets der größte Posten unter den Ausgaben. Die Fallpauschalen (DRGs) als Instrument zur Klinikfinanzierung bilden als System von Festpreisen niemals den tatsächlichen personellen Aufwand pflegerischer Leistungen ab. Darum wiegt der Charakter des Personals als Kostenfaktor weitaus schwerer als die Aussicht auf Rückgewinnung von Fachkräften.

Vivantes hat in der Vergangenheit Servicegesellschaften ausgegründet und will diese möglichst lange im Lohndumping halten. Dort geht es für die Betroffenen um Mindestlöhne, um existenzsichernde Löhne. Weil ihre Chefs ihnen das durch faule Tricks verweigern, haben die Beschäftigten der Tochterfirmen eine Petition initiiert und am 27. April vor der Aufsichtsratssitzung an Gesundheitssenatorin Gote und Finanzsenator Wesener übergeben.

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"Risiken und Nebenwirkungen", UZ vom 6. Mai 2022



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