Wolfgang Bittners Satire-Buch „Die Abschaffung der Demokratie“

Scharf gewürzt

Von Harry Popow

scharf gewuerzt - Scharf gewürzt - Rezensionen / Annotationen - Kultur

Wolfgang Bittner

„Die Abschaffung der Demokratie“

Westend Verlag, Frankfurt am Main 2017

ISBN 978–3-86489–167-0

224 Seiten, 16,- Euro.

Wenn unser noch amtierender oberster Staatshäuptling Deutschland vollmundig als die beste Demokratie in der Geschichte preist, kann man sich nur an den Kopf fassen. Deshalb werden sich viele Leser gern darauf einlassen, wenn eine derart unreflektierte Schönfärberei entlarvt wird und der Kaiser plötzlich ohne Kleider dasteht.

Das passiert in Wolfgang Bittners Buch „Die Abschaffung der Demokratie“, einer kräftig gewürzten satirischen Attacke auf die Unwägbarkeiten der Postdemokratie und auf die Machenschaften der Kapitaleliten. Damit steht Bittner in der Tradition Tucholskys und Kästners, die die Warnzeichen ihrer Zeit ins Visier genommen haben.

In meist kurzen, zupackenden Polemiken, Glossen und satirischen Texten führt der Autor den Lesern die Schwächen und Widersprüche des Daseins in Zeiten der Vorbereitung neuer Kriege vor Augen. Ebenso scharfkantig weist er auf inhumane Verhältnisse, in denen die Gattung Mensch zu ersticken droht, trotz Vernebelung, Beschwichtigungen und gelegentlicher Zückerli, die das Establishment stets parat hat, um das Volk bei Konsumfreude und – wenn es beliebt – bei Kriegslaune zu halten.

Das Buch besteht aus insgesamt über 200 politisch scharfsinnigen, immer eine Überraschung bereithaltenden Beiträgen. Oft nur ironisch andeutend, dann wieder in überspitzter und damit wirkungsvoller Weise, kommt der Autor zum Wesentlichen. Das macht das Buch zu einem Lesevergnügen, wie es bei diesem profilierten Schriftsteller nicht anders zu erwarten war.

Gleich zu Anfang des Buches steht eine Eloge auf die US-Eliten als vermeintliche Friedensstifter, weil sie die Kapital- und Energiemärkte und den zwischenstaatlichen Warenaustausch regulieren und uns militärisch schützen. Zugespitzt heißt es: „Vielleicht gelingt es mithilfe unserer Freunde demnächst ja doch noch, die Schmach von Stalingrad zu tilgen.“

Mitunter ist es schwer, bei ernsthaften politischen Themen das entlarvende Gegenargument anzubringen, denn Lächerlichkeit zu inszenieren will gekonnt sein. Aber das gelingt dem Autor auf vielfältige Weise. Wenn er die Formulierung „laut Aussagen von …“ benutzt, ist Aufmerksamkeit geboten. Manchmal heißt es auch: „Wie aus ungewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet …“ Dann geht es zur Sache. Originell ist auch die Satire über die Wiedergeburt habgieriger Manager oder korrupter Politiker, in der zum Beispiel die Betreiber riskanter Ölförderanlagen nach ihrem Ableben als „ölfressende Bakterien“ ihre Sünden abarbeiten müssen (S. 19).

Mit spitzer Feder nimmt der Autor die Schwächen und Unvorhersehbarkeiten menschlichen Daseins aufs Korn, die dem marktwirtschaftlichen und globalisierten Neoliberalismus geschuldet sind. Nachdem er auf die Verbrüderung der Schafe mit den Wölfen eingeht, prangert er die Auswirkungen dieser untauglichen Vereinigung an. Er parodiert die Welle der Privatisierungen auf immer mehr Gebieten, die zunehmende Überwachung und Kontrolle sowie die zahlreichen Bestrebungen, aus den Bürgern höhere Steuern herauszupressen. Der „Fürsorgestaat“, der keine Grenzen kennt, erlegt – dem Vernehmen nach – Autofahrern und sogar Fußgängern eine Schutzhelmpflicht auf. Und in der Satire „Unternehmensberatung für Jungunternehmer“ empfiehlt Bittner aufstrebenden Profiteuren, sich mit den Honoratioren der Stadt zu verbrüdern, sich bei Einladungen und Partys nicht lumpen zu lassen und die eigene Kreditwürdigkeit durch Transaktionen von einem Konto aufs andere zu steigern. Dazu gehört, Medien zu beeinflussen, Konkurrenten auszuschalten und schließlich den Mitarbeitern vorzutäuschen, allen gehöre alles zu gleichen Teilen. Wichtig dabei: „Schulabschlüsse, Ausbildung, eventuelle Studien sind sekundär, auf den Willen kommt es an.“

Eine Breitseite bekommt die vom Markt gesteuerte „Persönlichkeitsentwicklung“ ab: der Wahn des Shoppens. Hin und wieder fällt das Wort „gehobene Verdienstklasse“, zu der jene gehören, die sich mit materiellem Besitz brüsten und so ihren „menschlichen Wert“ bezeugen wollen.

Anspruch und Wirklichkeit klaffen im Zuge der Manipulationstechniken immer mehr auseinander. Leidtragende sind die Menschen, die dem Konsum erliegen, vereinsamen oder sozial auf der Strecke bleiben, die von Mitbestimmung ausgenommen sind oder davon gar nichts wissen wollen. Das wird in vielen dieser Geschichten deutlich.

Für Leser, die sich von pfiffigen Ideen, listigen Übertreibungen, angriffslustiger Polemik angesprochen fühlen, ist dieses Satirebuch ein Erkenntnis-Erlebnis. Wenn manche sich in ihrem Denken und Verhalten wiederfinden, so liegt das in der Absicht des Autors, weist er doch vollen Ernstes und mit viel Fabulierspaß nach, dass Demokratie in die Binsen geht.

Wie aus ungewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, soll dieses scharf gewürzte Buch der Seitenhiebe auf eine überlebte Gesellschaft nach der nächsten Bundestagswahl als Anregung und offizielle Vorlage für neue Regierungsvisionen zur Verfügung stehen. Bis dahin herrscht allerdings darüber ein Redeverbot.

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"Scharf gewürzt", UZ vom 10. Februar 2017



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