Uli Brockmeyer zur Libyen-Konferenz

Scherbenhaufen

Als Ende des Jahres 2010 in der arabischen Welt ein „Frühling“ ausbrach, waren die westlichen Regierungen und deren Medien recht schnell voll des Lobes. Versprach man sich doch durch die Aufstände gegen die bestehende Ordnung in Tunesien, Ägypten, Algerien, Bahrain, Jordanien und anderen Ländern, vor allem aber in Libyen und in Syrien,völlig neue Einflussmöglichkeiten, also gewissermaßen eine erneute Neuaufteilung zumindest der arabischen Welt.

Beim Gieren nach mehr Einfluss in der Region Nordafrika ging es in erster Linie und auf kurze Sicht um die Beherrschung und möglichst profitable Ausbeutung der umfangreichen Öl- und Gas-Lagerstätten, aber auch um die Beseitigung unliebsamer Staatschefs, die dem Profitstreben des Westens nicht untätig zuschauen wollten. In Tunesien und Ägypten schien das zunächst zu funktionieren und von den „Tahrir“-Plätzen wehte plötzlich ein „Hauch der Freiheit“ um die Welt. Dass der ganze Spuk zumindest in Ägypten recht schnell vorbei war, ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass eine Mehrheit der Aufständischen nicht nur das bestehende Regime stürzen, sondern sich gleichzeitig gegen den Griff des Westens nach den Ressourcen des Landes zur Wehr setzen wollte. Im Ergebnis wurde in Kairo ein neues Regime installiert, das sich vom alten vor allem durch die Namen der Chefs unterschied.

In Tunesien ist die „Revolution“ auch nicht lange gut gegangen, echte Veränderungen gab es nicht und noch heute sind grundlegende Fragen nicht geklärt. In keinem Land der arabischen Welt ist es zu Veränderungen gekommen, die sich positiv auf das Leben der Bevölkerung ausgewirkt hätten. Die Proteste gegen tatsächliche Missstände in Syrien führten letztlich sogar zu einem veritablen Krieg, in dem Islamisten mit den verschiedensten religiösen und politischen Hintergründen versuchten, einen „Islamischen Staat“ zu errichten.

Besonders schwerwiegend war jedoch die westliche Unterstützung bewaffneter „Rebellen“ gegen den Staatschef Libyens, Muammar al-Gaddafi, die im Februar 2011 in Bengasi ihren Aufstand inszenierten. Gaddafi stand auf der Unbeliebtheitsliste der USA, der NATO und der EU ganz weit oben, und so ergriff man die Gelegenheit, gemeinsam mit den reaktionären Golf­monarchien ein militärisches Bündnis samt Luftwaffe aus mehreren NATO-Staaten gegen Tripolis in Marsch zu setzen. Innerhalb weniger Wochen war der libysche Staat völlig zusammengebrochen und am 20. Oktober wurde Gaddafi von „Rebellen“ aufgegriffen und mit mittelalterlichen Methoden gefoltert und ermordet.

Dem folgte nicht nur ein totales politisches und wirtschaftliches Chaos im Land, in dem sich die verschiedenen Gruppierungen um die Beute stritten und jegliche staatliche Strukturen zu existieren aufhörten, sondern auch das offensichtliche Unvermögen des Westens, einen neuen Staat zu errichten. Aus Libyen verschwanden Zehntausende Waffen, darunter tragbare Luftabwehrraketen, die seitdem auf den Kriegsschauplätzen im Nahen Osten und in der Sahel-Zone eingesetzt wurden und werden.

Der Krieg gegen Gaddafi destabilisierte die gesamte Region und der anhaltende Krieg um die Vorherrschaft in Libyen lässt die Hauptmächte des Westens immer mehr um die Möglichkeiten der Aufteilung der Bodenschätze, aber auch um die Abschottung der Fluchtwege bangen, auf denen sich Opfer der Kriege und der damit im Zusammenhang stehenden Krisen in Richtung Europa zu retten versuchen. Die „Friedenskonferenz“, die am vergangenen Sonntag in Berlin stattfand, dient nicht dazu, Frieden zu bringen – sie diente vor allem dem Abstecken der Claims in der Region.

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"Scherbenhaufen", UZ vom 24. Januar 2020



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