Schlange stehen zum Unterschreiben

Markus Bernhardt im Gespräch mit Axel Hopfmann

Axel Hopfmann ist einer der Sprecher des Hamburger Bündnisses für mehr Pflegepersonal im Krankenhaus, das den Kampf der Pflegekräfte mit einer Volksinitiative unterstützt.

 

UZ: Ihre Initiative, der „Hamburger Volksentscheid für mehr Personal und gute Versorgung im Krankenhaus“ wirbt aktuell mit einer gleichnamigen Volks­initiative. Können Sie einmal die Zustände in den Krankenhäusern schildern?

Axel Hopfmann: Wir kennen die Zustände in den Hamburger Krankenhäusern aus zahlreichen Berichten von Patientinnen, Patienten und deren Angehörigen sowie Pflegekräften. Leider haben sie in der Regel zu viel Angst, um ihre Namen nennen zu lassen. Immer wieder hören wir von hilflosen Menschen, die stundenlang in ihren Ausscheidungen liegen, aber wenn sie klingeln ist niemand da, der ihnen helfen könnte. Oft auch, dass Pflegekräfte am Ende ihrer Schicht in Tränen aufgelöst sind, weil sie vollständig überfordert sind. Diese Berichte sind zu häufig, um sie als Einzelfälle abtun zu können.

UZ: Ihre Initiative hat Ende der vergangenen Woche mehr als 20 000 Unterschriften im Hamburger Rathaus abgegeben. Welche Erfahrungen haben Sie beim Unterschriftensammeln gemacht? Haben Sie viel Zuspruch erhalten?

Axel Hopfmann: Wir haben sogar über unsere Erwartungen hinaus mehr als 27 000 Unterschriften bekommen. Und das in drei Wochen. Dabei hätten wir sechs Monate Zeit gehabt für 10 000 Unterschriften, um die Volksinitiative zustande kommen zu lassen. Teilweise standen die Menschen Schlange, um ihre Unterschrift leisten zu können. Wir hatten nicht das Problem, Menschen zu einer Unterschrift zu bewegen, sondern genug Sammlerinnen und Sammler zu haben. Das werden wir in der nächsten Stufe – dem Volksbegehren – in verschärfter Form bekommen: Dann müssen wir in drei Wochen über 60 000 Unterschriften bekommen. Vereinzelt hatten wir vor Krankenhäusern aber auch das Problem, dass Pflegekräfte nicht unterschreiben wollten, aus Angst, Probleme am Arbeitsplatz zu kriegen. In manchen Krankenhäusern gibt es auch so etwas wie ein Klima der Einschüchterung.

UZ: Kritik gab es keine?

Axel Hopfmann: Kritik vor allem aus den Reihen des Senats und der Regierungsfraktionen. Sonst eigentlich nicht. Es wurde gesagt, dass es keine Gesetzgebungskompetenz des Landes gebe, was juristisch mindestens umstritten ist. Unser Rechtsgutachter hat jedenfalls etwas anderes gesagt. Dann wird behauptet, der Bund werde uns mit seinen Initiativen „überholen“. Das glauben wir aber nicht. Auch, dass wir die Steuerzahler belasten würden. Die haben sich jedoch gerade mit ihrer Unterschrift dafür ausgesprochen.

UZ: Sie fordern im Rahmen Ihrer Volksinitiative unter anderem „eine bedarfsgerechte Ausstattung der Krankenhäuser mit Personal“. Was genau wäre denn bedarfsgerecht?

Axel Hopfmann: Der Bedarf muss erst einmal ermittelt werden. Das heißt, wie viel Zeit brauchen die Patientinnen und wie viel Zeit stellt eine Vollkraft in der Pflege zur Verfügung. Dafür gibt es ein bewährtes Instrument: Die Pflegepersonalregelung, die 1992 bis 1995 schon einmal Gesetz war. Diese ist, um einen Teil für besonders aufwändige Patientinnen ergänzt, wesentlicher Bestandteil unseres Gesetzentwurfes.

Die Pflegepersonalregelung wird von vielen Krankenhäusern derzeit verwendet, um das vorhandene Personal auf die Stationen zu verteilen, die ja recht unterschiedlich aufwändige Patienten haben. Das machen die damit, weil es ein Verfahren ist, das leicht anzuwenden ist und den unterschiedlichen Pflegeaufwand verschiedener Stationen gut abbildet. Ein besseres Verfahren wird zwar immer wieder gefordert, ist jedoch derzeit nicht verfügbar.

UZ: Sie stehen bundesweiten Personalvorgaben etwas distanziert gegenüber. Aus welchem Grund?

Axel Hopfmann: Im Bund verhandeln auf Grundlage des § 137i des SGB V die Spitzenverbände der Krankenkassen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft über das Thema. Das heißt: Die beiden Organisationen, die an einer bedarfsgerechten Personalbemessung weniger Interesse haben als am Geld. Es sollen sechs „pflegesensitive“ Bereiche verbessert werden. „Pflegesensitiv“ sind die Bereiche, in denen Schäden bei Patienten häufiger sind als sonst. Die schlechtesten 25 Prozent sollen auf das Niveau der restlichen 75 Prozent angehoben werden. Das wird ungefähr 5 800 Stellen für 2 000 Krankenhäuser, das heißt etwa drei Stellen pro Krankenhaus bringen. Das ist erbärmlich.

In der Koalitionsvereinbarung ist zwar festgehalten, dass die Personaluntergrenzen auf alle Bereiche ausgedehnt werden sollen. Aber ein Koalitionsvertrag ist noch kein Gesetz. Zudem ist das Verfahren völlig unklar. Wenn 25 Prozent der Schlechtesten auf den Durchschnitt der restlichen 75 Prozent angehoben werden, ist dieses Verfahren auf 100 Prozent nicht anwendbar. Zu großen Befürchtungen gibt die Haltung des Bundesgesundheitsministers Anlass, der will, dass das in der „betriebswirtschaftlichen Verantwortung“ der Krankenhäuser geregelt werden soll. Nun haben gerade Marktwirtschaft und Wettbewerb unter den Krankenhäusern in die Misere geführt, welche wir erleben.

UZ: Welche Regelungen würden Sie denn bevorzugen?

Axel Hopfmann: Die Pflegepersonalregelung für alle Krankenhäuser bundesweit und eine Abschaffung des DRG-Systems (Diagnosis Related Groups, zu deutsch: diagnosebezogene Fallgruppen, ist das aktuelle, pauschalierte Abrechnungsverfahren der Krankenhausfinanzierung. Die Redaktion). Dieses System erlaubt den Krankenhäusern, Gewinne zu machen – oder auch Verluste. Eine Ersetzung durch ein Kostendeckungsprinzip, bei dem es beides nicht geben könnte, würde die Mechanismen außer Kraft setzen, die zu dem dramatischen Personalabbau geführt haben.

UZ: Zwar wird die Versorgung von erkrankten und betagten Menschen, die gepflegt werden müssen, regelmäßig öffentlich thematisiert. An der Personalsituation und im Vergleich zur Arbeitsleistung viel zu geringen Entlohnung hat sich jedoch bisher nichts Gravierendes geändert. Wer trägt die Verantwortung für den Stillstand?

Axel Hopfmann: Eine Gesundheitspolitik, die Markt und Wettbewerb höher schätzt als das Wohlergehen von Menschen.

UZ: Welche Erwartungen haben Sie in den neuen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)?

Axel Hopfmann: Nur die Schlimmsten.

UZ: Wie könnte der Druck auf die politischen Entscheidungsträger erhöht werden?

Axel Hopfmann: Durch erfolgreiche Volksentscheide in mehreren Bundesländern, über Hamburg und Berlin hinaus. Dazu aber muss auf jeden Fall der Druck aus den Krankenhäusern selber kommen. Arbeitskämpfe um Tarifverträge für Entlastung hat es in Ansätzen schon gegeben, mit dem besonderen Beispiel der Charité in Berlin oder den Warnstreiks wie im Saarland. Aber da muss noch mehr kommen. Volksentscheide können auf Landesebene Gesetze erzwingen, aber die Umsetzung der Gesetze obliegt Behörden, die nicht immer so entschlossen vorgehen, wie wir es uns wünschen. Bundespolitik kann sogar diese Gesetze ganz aushebeln. An streikenden Krankenhausbeschäftigten vorbei zu gehen, wird da schon schwieriger. Die Kombination macht es.

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"Schlange stehen zum Unterschreiben", UZ vom 6. April 2018



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