Countdown für Entlastung

Werner Sarbok im Gespräch mit Michael Quetting, ver.di-Sekretär in der Region Saar Trier

UZ: Die starke Abordnung der saarländischen Kolleginnen und Kollegen ist am 20. Juni mit großem Beifall der anderen Demonstranten gegrüßt worden. Was hat dieser Tag bewirkt, wie schätzt du ihn ein?

Michael Quetting ist verantwortlicher ver.di-Sekretär in der Region Saar Trier.

Michael Quetting ist verantwortlicher ver.di-Sekretär in der Region Saar Trier.

( Peter Klein)

Michael Quetting: Die streikenden Kolleginnen und Kollegen von der Uniklinik Homburg waren am 20. Juni in Düsseldorf ja während ihres Streiks nach Düsseldorf gefahren. Wir sind in einer eigenen Demo von den Rheinwiesen auf die Streikenden von Düsseldorf und Essen gestoßen. Allein schon das war ein tolles Erlebnis, der Rhein ist halt ein wenig breiter als die Saar.

Wir kennen ja vom Saarland schon große Demonstrationen, so letztes Jahr mit 5 000 Krankenhausbeschäftigten und davor schon einmal mit 4 500. Aber trotzdem war das jetzt etwas anders. „Da haben wir endlich gespürt, dass wir mit unserem Anliegen nicht allein sind.“ So eine Kollegin von der Intensivstation im begeisterten Gespräch mit mir. Zwei Kolleginnen haben die Gelegenheit der Anwesenheit der saarländischen Ministerin Bachmann genutzt, um sie an die versprochenen 1 000 Pflegestellen zu erinnern. Eine hat für die Uniklinik gleich mal 250 eingefordert und sie gefragt, warum man uns den Streik verbieten wollte, indem man in Berlin vor ein Arbeitsgericht zog. Eine andere Kollegin brachte ihren Unmut direkt auch gegenüber dem Bundesgesundheitsminister zum Ausdruck und ließ sich von ihm nicht einschüchtern.

Unsere Kolleginnen hatten wenig Illusionen, was den Auftritt der Minister anbelangt, für uns war wichtig, sich mit den Streikenden aus Düsseldorf zu treffen, wir haben dann auch Streikende aus Essen eingeladen, die dann auf unserer Mitternachtskundgebung am 22. Juni in Homburg zum Ende des Ultimatums sprachen, wir hatten mit den Kolleginnen der Charité eine kurze Verständigung und wir lernten die Kolleginnen aus Jena kennen, die jetzt auch ein Ultimatum gestellt haben. Das finden wir erheiternd, weil der Personalchef von Jena vorher in Homburg Personalchef war und da durch uns schon zweimal ein Ultimatum erleben durfte. Wo er auch hinkommt, ver.di ist schon da.

UZ: Erlebst du im Kampf um Entlastung in der Pflege Zustimmung und Solidarität aus anderen gesellschaftlichen Gruppen und aus anderen DGB-Gewerkschaften? Überlastung wirkt sich im Pflegebereich ja besonders dramatisch aus, aber in vielen anderen Branchen erleben die Kolleginnen und Kollegen ebenfalls eine unzumutbare Arbeitsverdichtung.

Michael Quetting: Wir haben ein breites Bündnis, den Saarbrücker Appell. Die setzen sich für die Akzeptanz in der Zivilgesellschaft ein. Die DGB-Gewerkschaften haben mit den Pflegekräften schon im Herbst 2016 einen Pflegepakt gegründet und jetzt sind wir gerade in der Phase einer speziellen Initiative für mehr Personal an den Unikliniken in Homburg. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen, insbesondere auch aus der SPD, aus der Partei „Die Linke“, aus der DKP, aus katholischen Kreisen haben ihre Unterstützung zugesagt. Wir haben jetzt ein Plakat hergestellt, um die Solidarität im gesamten Kreis sichtbar werden zu lassen.

Nach dem Bekanntwerden des Versuchs der Uniklinik, unseren Streik zu verbieten, haben wir eine Protestkundgebung im Unigelände durchgeführt. Da haben die Kolleginnen mit großer Genugtuung wahrgenommen, dass auch andere gesellschaftliche Kräfte ihre Solidarität bekundeten. Besonders viel Beifall erhielten die Redner von der IG Metall und vom DGB.

UZ: Die Beschäftigten der Uniklinik Homburg haben am 19. und 20. Juni einen befristeten zweitägigen Warnstreik erfolgreich durchgeführt. Die Klinikleitung hat es auch weiterhin versäumt, Maßnahmen zur Entlastung des Personals einzuleiten. Warum bewegen sich die Arbeitgeber deiner Meinung nach nicht?

Michael Quetting: Diesen Warnstreik führten wir kurz vor dem Ende des Ultimatums durch. Im Vorfeld galt es eine Notdienstvereinbarung durchzusetzen, die uns den Streik überhaupt erst ermöglicht. Wir können ja nicht einfach das Gelände verlassen und die Patienten allein lassen. Streikwillige schrieben Briefe an Aufsichtsrat, Leitungen, Gewerkschaft und an die Parteien im Landtag. Sie besuchten die Abgeordneten im saarländischen Landtag. „Die Linke“ bot ihnen Gelegenheit in der Fraktionssitzung zu sprechen, es kam zu Begegnungen mit der SPD und auch der CDU. Alle setzten sich dafür ein, dass es zu einer Notdienstvereinbarung kam.

Die Ministerin versprach öffentlich in der Landtagsdebatte, dass sie sich für die Notdienstvereinbarung einsetze. Sie beendete ihre Rede im Landtag mit einem Schröderschen Basta. Wir verhandelten acht Stunden, dann hatten wir eine Vereinbarung, die Stationsschließungen und Bettenschließungen ermöglichte. Wir konnten 152 Betten abmelden, das sind 12 Prozent der Gesamtbettenzahl, wir haben eine ganze Station in der Frauenklinik geschlossen. Das ist ein schöner Anfang. Deswegen konnten zwei Mal 200 Pflegekräfte streiken. Die OP-Kapazität war zu 50 Prozent eingeschränkt. Insgesamt verfügen jetzt ca. 50 Prozent aller Bereiche über Teamdelegierte.

Unsere Klinikleitung bewegt sich nicht, weil sie dazu keine Erlaubnis der Staatskanzlei erhält. Wir reden hier ja auch nicht über irgendein harmloses Tarifproblemchen. Wir reden hier über eine Kernfrage des Gesundheitssystems und der Frage, ob wir verhindern können, dass dieser Bereich völlig der Profitlogik untergeordnet wird. Letztlich geht der Kampf darum, ob es gelingen kann, unter den aktuellen Bedingungen einen Erfolg zu erringen, der es uns ermöglicht, nicht nur aus der Defensive heraus zu handeln.

UZ: Wie geht die Auseinandersetzung um die Verbesserung der Personalsituation an der Uniklink Homburg nun weiter?

Michael Quetting: Pünktlich um 24 Uhr am 22. Juni endete das Ultimatum der ver.di an die Uniklinik des Saarlandes mit einer Kundgebung auf dem Sportplatz des SC Union in Homburg. Vorher waren etwa 200 Beschäftigte der Uniklinik mit einer Lichterprozession durch die Nacht gezogen. Unter dem Motto: „Wir leuchten für unser Krankenhaus“ zog man mit verschiedenen Lichtquellen durch die Uniklinikstadt.

Die Teamdelegierten der Uniklinik des Saarlandes beschlossen am 26. Juni, nach den Sommerferien die Urabstimmung einzuleiten und anschließend bei entsprechendem Votum in einen Erzwingungsstreik für einen Tarifvertrag Entlastung zu treten.

Die Sommerzeit soll für den weiteren Ausbau der Teamdelegiertenstruktur genutzt werden, ein weiteres Treffen wurde für Juli geplant. Insbesondere möchte man die Erfahrungen des zweitägigen Warnstreiks auswerten und mit den Kolleginnen und Kollegen diskutieren. Die Uniklinikleitung wurde aufgefordert, ihre ablehnende Haltung aufzugeben, nachdem ihr Plan gescheitert ist, per Gericht in Berlin den Streik zu verbieten. Auch solle man jetzt die Chance nutzen, da der Bundesgesundheitsminister ankündigte, jede neue Pflegestelle zu finanzieren.

Der Countdown zum Streik ist unwiderruflich in Gang gesetzt. Lediglich ein Tarifvertrag mit tatsächlicher Entlastung und Konsequenzenmanagement kann diesen Prozess stoppen. Die Abstimmung unter den Delegierten erfolgte mit einer Gegenstimme. Die Gegenstimme hatte sich für den sofortigen Streik ausgesprochen.

Seit heute tragen Beschäftigte wöchentlich neue Anstecker, die den Countdown bis zum Streik sichtbar machen. Der unbefristete Erzwingungsstreik beginnt in 80 Tagen, sofern die Urabstimmung das nötige Quorum von 75 Prozent erreicht.

Auf dem UZ-Pressefest wird eine Diskussionsrunde zum Thema „Tarifvertrag Entlastung“ im Zelt der DKP-Rheinland-Pfalz/Saarland stattfinden.

Bei der DKP Ruhr-Westfalen ist ein DKP-Branchentreffen Gesundheit geplant.

 

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"Countdown für Entlastung", UZ vom 6. Juli 2018



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