Deutschland auf dem Weg in die Meinungsdiktatur?

„Schnauze, du Putin-Versteher!“

Kolumne

Der Kolumnentitel war die Antwort eines Befürworters deutscher Waffenlieferungen an Kiew auf den Appell eines Andersdenkenden, das Blutvergießen im Ukraine-Krieg schnellstens durch Verhandlungen zu beenden. Der Ruf nach dem Maulkorb kam aus der Anonymität der sozialen Medien. Sein Absender hätte sich nicht als Alias tarnen müssen. Ihm war nur in ordinärem Ton entfahren, was eine Dreieinigkeit von politisch zensierender staatlicher Exekutive, regierungskonform agitierenden Medien und einem ängstlich-willfährigen institutionellen Hinterland ohne Unterlass in sein Gehirn gepflanzt hat. Die Auswaschung von Vernunft grassiert in der westlichen „Werteallianz“ – und in Deutschland mit besonderer Bravour. Sie hat sich mit dem vermessenen Anspruch parfümiert, in den Werteschlachten einer sich umorientierenden Welt als Solitär unanfechtbar auf der Seite der Freiheit und Demokratie zu stehen. Indes: die Anfechtungen mehren sich und werden prinzipieller, denn die falschen Werte-Ritter demaskieren sich durch ihren aggressiven Eingriff in das Zeitgeschehen. Also dreht der verunsicherte Solitär durch. Maulkorb wird Mode. Hier geht es so sehr ums Weltganze, dass im westlichen „Werte-Lager“ Meinungsfreiheit immer ungenierter widersinniger Staatsräson unterworfen wird.

Zwei aktuelle Beispiele: Alles Palästinensische trägt hierzulande das Vorzugs-Label der terroristischen Hamas-Attacken vom 7. Oktober. Empathie für den langen Leidensweg dieses Volkes, von der Nakba bis in die Gegenwart, wird einer demagogisch ausgelegten Verantwortung für den Staat Israel geopfert. Dieses Staatskalkül führte Mitte April zum Abbruch des Berliner Palästina-Kongresses durch die Polizei. Oder: Polizisten rückten gegen ein Solidaritätscamp von Studenten der Freien Universität Berlin vor, die gegen Israels genozidale Militäraktionen in Gaza protestierten. Als hunderte Hochschullehrer den Polizeieinsatz verurteilten und das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit verteidigten, fragte die zuständige Bundesministerin mit „Bild“, ob diese Lehrkräfte noch auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Zweifellos Maulkorbfantasien aus Furcht vor Weiterungen. Denn bald gab es Demonstrationen vor Münchens Universität. Auch an Hochschulen der Niederlande, Belgiens, Irlands, Großbritanniens, Frankreichs und Italiens empörten sich Studenten gegen Israels Gaza-Krieg. Die Unruhen hatten sich an der New-Yorker Elite-Uni Columbia entzündet und in den USA bald auf 150 Colleges und Hochschulen ausgebreitet. Politik und bürgerliche Medien nennen diese weltweiten Aktionen, die die Mächtigkeit der Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg gewinnen könnten, „antisemitisch“. Sie verschweigen, dass sie – im Gegenteil – pro-israelisch sind. Denn die beste Form der Solidarität mit einem nach dauerhafter Sicherheit strebenden Israel ist derzeit Kritik an Netanjahus antipalästinensischem Vernichtungswahn.

09 Kolumne koenig hartmut 1331 - „Schnauze, du Putin-Versteher!“ - Medienkampagne, Meinungsterror, Staatsräson, Wertewesten - Positionen
Hartmut König

Diesmal legte ich am 8. Mai auf dem sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Schönholz meine Blumen nieder. Hier das gleiche bedrückende Bild wie in Treptow oder am Tiergarten: Per Allgemeinverfügung der Berliner Polizei ein umstelltes Gelände, Taschenkontrollen auf der Suche nach allem, was an die Nation der Befreier erinnern könnte. Das Zeigen der sowjetischen Flagge untersagt, weil es geeignet sei, den Russland-Ukraine-Krieg zu verherrlichen. Kultur- und geschichtslos auch das Verbot, den „Heiligen Krieg“, die Hymne des Großen Vaterländischen Krieges, abzuspielen oder zu singen. Unverschämte Zumutungen für uns Deutsche, die das Andenken an die Befreier in Würde bewahren wollten, und erst recht für Russen und andere ehemalige Sowjetbürger, die erleben mussten, dass die Sieger von einst zu Opfern der Besiegten gemacht wurden, wie Egon Krenz schrieb.

Ich habe eine kleine Spieluhr, die intoniert die „Internationale“. Ach, hätte ich sie nur mitgenommen und vielleicht in Schönholz durchgekriegt! Dann hätte ich sie abgespielt, und der Versuch bundesdeutscher Politik, bei der Umschreibung von Geschichte, Musterschüler zu sein, hätte einen musikalischen Appell zur Antwort gehabt: „Völker hört diese Signale!“

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"„Schnauze, du Putin-Versteher!“", UZ vom 7. Juni 2024



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