„Schnauze voll“

Christoph Hentschel im Gespräch mit Nils Borchert, DKP-Direktkandidat aus Strausberg

Wahlergebnisse

Die SPD wurde mit 26,2 Prozent die stärkste Partei, obwohl sie 5,7 Prozent verlor. Die AfD gewann 11,3 Prozent dazu und ist mit 23,5 Prozent zweitstärkste Kraft. Die Linkspartei büßte 7,9 Prozent ein und kommt auf 10,7 Prozent. Die CDU verlor 7,4 Prozent und die Grünen gewannen 4,6 Prozent und kommen auf 15,6 beziehungsweise 10,8 Prozent.

Die DKP trat in Brandenburg mit vier Direktkandidaten an. 2014 kandidierte die DKP Brandenburg mit einer Landesliste.

• Nils Borchert (Märkisch-Oberland II): 159 Stimmen, 0,6 Prozent (2014: 73 Stimmen, 0,4 Prozent)

Gisela Vierrath (Cottbus I): 136 Stimmen, 0,5 Prozent (2014: 85 Stimmen, 0,4 Prozent)

Thomas Münzberg (Dahme-Spreewald I): 119 Stimmen, 0,3 Prozent (2014: 93 Stimmen, 0,3 Prozent)

Michael Grüß (Potsdam II): 122 Stimmen, 0,3 Prozent (2014: 85 Stimmen, 0,5 Prozent)

Quelle: Landeswahlleiter Brandenburg

Bürgerliche Parteien finden keine Antworten auf die Probleme und Sorgen der Menschen. Der Nutznießer ist die AfD. Sie wird zweitstärkste Partei hinter der SPD. UZ sprach über den Ausgang der Wahl mit Nils Borchert, DKP-Direktkandidat aus Strausberg im Märkischen Oberland.

UZ: Die AfD ist zweitstärkste Partei bei der Landtagswahl in Brandenburg geworden. Eine Überraschung?

Nils Borchert: Keinesfalls! Die AfD ist zwar eine Partei der herrschenden Klasse, nachweisbar bis in die Biografien der einzelnen Funktionäre. Aber sie hat es geschafft, dass sich Teile der Arbeiterklasse bei ihnen wiederfinden.

Bei der Wahl war sie besonders in den abgehängten Gebieten erfolgreich. Die Deindustrialisierungspolitik wie sie beispielsweise in Bezug auf den

Nils Borchert, DKP-Direktkandidat aus Strausberg im Märkischen Oberland.

Nils Borchert, DKP-Direktkandidat aus Strausberg im Märkischen Oberland.

Braunkohletagebau stattfindet, schlägt sich hier im Wahlergebnis nieder. Bei unseren zahlreichen Infotischen war bei vielen Menschen deutlich zu spüren, dass sie die Schnauze voll haben. Sie erzählen dir zum Beispiel von ihren Erfahrungen als Leiharbeiter. Eine wichtige Rolle spielt auch immer wieder die Erfahrung von massiver Degradierung durch die Nichtanerkennung von Berufsabschlüssen, die in der DDR erworben wurden.

In den ersten Kommentaren zur Wahl wird nun von diffusen Ängsten der Ostdeutschen oder gar einer angeblichen besondere Affinität zu faschistischen Positionen geredet. Das ist Blödsinn! Denn es handelt sich um ganz reale Widerspruchserfahrungen mit dreißig Jahren neoliberalem Durchmarsch, vor allem auch in Ostdeutschland. Diese Widerspruchserfahrungen werden von der AfD aufgenommen und im Interesse der Herrschenden kanalisiert

UZ: Wie haben die anderen Parteien darauf reagiert?

Nils Borchert: Es gab einen breiten Anti-AfD-Wahlkampf von CDU bis Linkspartei, der aber völlig  oberflächlich blieb und sich in der Parole „Bunt statt braun“ und dem frommen Wunsch nach einem irgendwie gedeihlichen Miteinander erschöpfte. Eine wirkliche Kritik an der  neoliberalen Politik der  AfD und deren Funktion im Kampf gegen die  Arbeiterklasse suchte man verständlicherweise vergeblich. Zu groß wäre die Nähe zu den eigenen Positionen. Im Gegenteil, das Agieren der bürgerlichen Parteien einschließlich der Linkspartei nach dem Motto „Wir sind die Guten, ihr seid die Bösen“ spiegelte und verstärkte die Propaganda der AfD sogar noch.

UZ: Wie erklärst du das Wahlergebnis der Linkspartei?

Nils Borchert: Die Linkspartei agierte im Block mit den übrigen bürgerlichen Parteien und völlig an den Menschen vorbei. Wenn dann der Spitzenkandidat der Linkspartei wenige Tage vor der Wahl öffentlich über eine mögliche Koalition mit der CDU nachdenkt, dann ist dieser Partei offensichtlich wirklich nicht mehr zu helfen. Die Niederlage ist von der Linkspartei selbst verschuldet worden, aber sie nimmt die gesamte Linke mit in Haftung. Wir haben einen Zustand, in dem viele nicht mehr auf eine positive Veränderung von Links hoffen.

UZ: Wie seid ihr an den Wahlkampf herangegangen?

Nils Borchert: Wir kandidierten  mit vier Direktkandidaten und wir hatten neben sozialpolitischen Forderungen eine klare friedenspolitische Ausrichtung – Frieden mit Russland, Abrüsten statt Aufrüsten und Raus aus der NATO. Im Wahlkampf war die Zustimmung dazu deutlich positiver, als sie sich im Wahlergebnis ausgedrückt hat. Es gelang trotz des so zugespitzten Wahlkampfes, in meinem Wahlkreis die Stimmenzahl zu verdoppeln und in den anderen drei Wahlkreisen diese auszubauen beziehungsweise zu halten. Er zeigt sich, dass wir dann gewinnen, wenn wir dem Irrationalismus klare Positionen entgegensetzen.

UZ: Wie sah euer Wahlkampf aus?

Nils Borchert: Wir haben sehr darauf gesetzt, Straßenwahlkampf zu machen. Wichtig war die Arbeit in Schwerpunktgebieten mit sehr regelmäßiger Verteilung unserer Zeitung, dem „Roten Brandenburger“. Wenn ich es mit der EU-Wahl vergleiche, war es nochmal eine andere Qualität.

UZ: Worin bestand der Unterschied?

Nils Borchert: Das Interesse an uns war spürbar größer, auch aus dem Spektrum der Linkspartei. Leute, die uns vor einem Jahr noch ablehnend begegnet sind, wollten nun mit uns diskutieren. Auch hier zeigt sich, dass rationale, auf marxistischer Analyse fußende Positionen, die sich deutlich vom Narrativ der Herrschenden unterscheiden, offensichtlich interessanter sind, als die Anlehnung an den Zeitgeist.

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"„Schnauze voll“", UZ vom 6. September 2019



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