Zu den russischen Präsidentschaftswahlen

Selbstausschluss

Das „IPG-Journal“ ist eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) herausgegebene Onlinezeitschrift, die sich mit internationalen Themen auseinandersetzt. Man kann vielleicht besser sagen: IPG bereitet internationale Themen so auf, dass sich die Leserschaft im Sinne der hierzulande herrschenden Politik damit auseinandersetzen kann. In der Eigendarstellung meint das, „in der Tradition einer mehr als 50-jährigen wissenschaftlichen Begleitung von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik durch die FES“ zu stehen. Ziel sei ein produktiver Meinungsbildungsprozess.

Daran, diesen vorzuspiegeln, versucht sich im IPG dann und wann der freie Journalist Roland Bathon, der in seinen Russland-Beiträgen zuweilen „Putins Angst, wie der Zar gestürzt zu werden“ konstatiert, um kurz darauf den „Fatalismus der kritisch eingestellten Russen“ zu bedauern, der das verhindert – um dann wieder auf die ebenfalls „bis zur letzten Minute unterstützte und bis zum Ende grausame Nazi-Diktatur“ zu verweisen. Solcherlei Gleichsetzung ist die Eintrittskarte zum deutschen Qualitätsjournalismus.

Nun entwickelt der Autor am 9. Februar eine Theorie zum Kandidaturausschluss von Boris Nadeschdin bei den russischen Präsidentschaftswahlen Mitte März. Der hält den Ukraine-Einsatz für einen Fehler. Nadeschdin hatte zahlreiche gefälschte Unterschriften für seine Kandidatur eingereicht und wurde daher von der Wahlkommission ausgeschlossen, wie es überall auf der Welt der Fall gewesen wäre. Bathon liegt nun richtig, wenn er meint, dass ein echter Gegenkandidat – der der KPRF ist für ihn keiner – für „den Kreml“ bei angenommenem hohen Sieg Wladimir Putins politisch sinnvoller wäre als eine Wahl, bei der eine Gegenposition angeblich nicht unterstützt werden kann. Dabei geht Bathon implizit davon aus, dass bei einer Präsidentschaftswahl in Russland nur die Ukraine eine Rolle spielen kann; irgendeine Art von Innenpolitik, die das Ergebnis ausdifferenzieren könnte, gibt es bekanntlich nur in westlichen Demokratien.

Dass der Kandidat aber gerade deshalb falsche Unterschriftenlisten eingereicht haben könnte, um ausgeschlossen zu werden, was auch eine nicht seinen Ideen zuneigende Wählerschaft verärgern und ihm größere Popularität verschaffen könnte als eine hohe Wahlniederlage, kommt dem IPG-Meinungsbildner nicht in den Sinn.

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"Selbstausschluss", UZ vom 16. Februar 2024



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