Gutachter bezweifeln Selbsttötung von Oury Jalloh

Selbstmord mehr als zweifelhaft

Von Markus Bernhardt

Am 17. November dieses Jahres änderte die ARD aus aktuellem Anlass ihr Programm und wiederholte den NDR-“Tatort: Verbrannt“. Darin geht es um den Fall eines Mannes aus Sierra Leone, der mit 36 Jahren im Polizeigewahrsam in Dessau verbrannte. Erneut gezeigt wurde der Film aufgrund der aktuellen Entwicklung im Fall Oury Jalloh. Anders als in der Realität lösen im Krimi die Kommissare den Fall, ein junger Polizist lässt sich von Kollegen verleiten, den Brand zu legen, die Aufklärung wird nicht behindert, Staatsanwälte und andere Hintergrundfiguren sind nicht dabei. Erleichtert lehnt sich der Zuschauer zurück, wie es sich für einen „ordentlichen“ Krimi gehört: Fall geklärt, individuelle Schuldige gefunden. Leider sieht die Situation im tatsächlichen Fall beschämend aus. Oury Jalloh war im Jahr 2005 im Dessauer Polizeirevier verbrannt. Polizeibeamte behaupteten, dass Jalloh eine Matratze, auf der er in einer Zelle des Reviers an Händen und Beinen fixiert worden war, selbst in Brand gesteckt haben soll (UZ berichtete).

Als bundesweit erstes Medium hatte Susan Bonath für die Tageszeitung junge Welt über neue Entwicklungen im Fall Oury Jalloh berichtet, im Nachgang griffen auch andere Medien, wie etwa das ARD-Magazin „Monitor“ den Fall erneut auf. So hatte die Staatsanwaltschaft Halle die Ermittlungen zum Feuertod Jallohs am 12. Oktober dieses Jahres eingestellt, da ein Tatverdacht gegen Dritte und „eine weitere Aufklärung nicht zu erwarten“ sei. Dies, obwohl sich kurz zuvor ein dringender Mordverdacht gegen Polizisten ergeben hatte. Im Gegensatz zu der Behörde in Halle hatte die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau ihre Selbstmordthese aufgrund der Analysen von acht Gutachtern aufgegeben. Diesen zufolge war Jalloh bei Brandausbruch bereits tot oder handlungsunfähig. „Weil er kein Kohlenmonoxid im Blut hatte, könne er keinen Rauch eingeatmet haben. Fehlendes Noradrenalin in seinem Körper schließe bewusstes Erleben des Feuers aus. Zweitens seien die Verbrennungen ohne Brandbeschleuniger wie Leichtbenzin nicht erklärbar. Drittens hat sich ein verschmortes Feuerzeug, das die Polizei drei Tage nach dem Brand präsentierte, wohl nie in der Zelle befunden“, fasste Bonath, die den Fall nunmehr seit Jahren journalistisch begleitet, die Erkenntnisse zusammen.

„Dass die Staatsanwaltschaft Halle die Ermittlungen trotz der vorliegenden Unterlagen für beendet erklärt, ist ein Skandal. Die angeblich nicht zu erzielenden Ermittlungserfolge sind offenkundig bereits erbracht. Konsequenzen sollen sie offenbar aber nicht haben“, kritisierte die Rote Hilfe. Die linke Antirepressionsorganisation forderte zugleich „die Anerkennung der vorliegenden Beweise und die lückenlose Aufklärung der Geschehnisse, die Oury Jalloh das Leben kosteten“.

Seit Jahren engagieren sich Freunde Jallohs und Antirassisten für eine lückenlose Aufklärung der vermeintlichen Selbsttötung. Sie fordern, die beteiligten Polizisten wegen Mordes anzuklagen. Wie aggressiv und dünnhäutig die Polizei selbst in anderen bundesdeutschen Städten auf die Forderung nach Aufklärung des Falles reagiert, wurde erst am vergangenen Montag in Hamburg deutlich. Aktivisten des autonomen Zentrums „Rote Flora“ hatten dort ein Transparent mit der Aufschrift „Oury Jalloh, 7. Januar 2005 ermordet von deutschen Polizisten“ aufgehängt. Die Polizei rückte an und entfernte das Transparent umgehend.

Eine öffentliche Petition, die die lückenlose Aufklärung des Falles fordert und den Titel „Mein Freund #OuryJalloh – Es war Mord! Ermittlungsverfahren nicht einstellen“ trägt, wurde im Internet bereits von 90000 Menschen unterzeichnet.

Die Realität ist übrigens nicht selten deutlich brutaler und widerwärtiger als in ARD-Krimiserien dargestellt. Vor allem in Sachen rassistisch motivierter Gewalt holt die (bundesdeutsche) Realität TV-Fiktionen in den vergangenen Jahren oftmals erschreckend oft flink ein. Das Wort vom „institutionalisierten Rassismus“ fiel zwar nur einmal in dem Krimi, sollte aber hoffentlich bei den Zuschauern hängen bleiben.

Die Angehörigen von Oury Jalloh geben nicht auf: Sie wollen einen neuen Prozess gegen Polizisten erzwingen, die den Flüchtling 2005 in einer Zelle getötet haben sollen. Die Rechtsanwältin der Familie hat nicht nur Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung eingelegt, sie wird auch eine neue Strafanzeige gegen die mutmaßlichen Täter stellen.

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"Selbstmord mehr als zweifelhaft", UZ vom 24. November 2017



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