Siege soll man feiern – Nicht nur aus Niederlagen lernen

Fritz Pasemann-Senkel. im Gespräch mit Lothar Geisler

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Pünktlich zum Kampagnen-Auftakt am 1. Mai: Werbeflyer der Marxistischen Blätter. Zu bestellen bei: Neue Impulse Verlag, Hoffnungstr. 18, 45127 Essen, E-Mail:info@neue-impulse-verlag.de

UZ: Anfang Mai wird das dicke Sonderheft der Marxistischen Blätter zur Oktoberrevolution ausgeliefert. Warum im Mai und nicht erst direkt zum 100. Jubiläum im Oktober?

Lothar Geisler: Aus zumindest zwei Gründen. Erstens weil wir die sozialistische Revolution im Oktober nicht als singuläres, plötzliches Ereignis sehen, sondern zusammen mit der demokratischen Februarrevolution 1917 als einheitlichen, revolutionären Prozess zur Beendigung des Völkerschlachtens im 1. Weltkrieg. Insofern erscheinen wir zeitlich quasi mittendrin. Wir wollen genauer auf diesen Prozess schauen, seinen Beginn, seine Ursachen, seinen Verlauf und den Zusammenhang zwischen demokratischer und sozialistischer Revolution. Das versuchen wir u. a. in zwei historischen Übersichtsartikeln nicht nur für unsere jüngeren LeserInnen zu leisten. Wer diesen einheitlichen Entwicklungsprozess betrachtet, wird dabei unschwer feststellen, dass die organisierte und organisiert handelnde Arbeiterklasse in beiden Revolutionen die aktivste, entscheidende Kraft war. Damit bin ich beim zweiten Grund, der eine inhaltliche und eine pragmatische Seite hat. Die Arbeiterklasse heute ist zwar vielschichtiger als vor 100 Jahren, steht weltweit mit dem Rücken an der Wand und sieht sich kaum als weltverändernde Kraft. Sie bleibt es aber trotzdem. Auch wenn sie von angeblich „linken“ Professoren als „reaktionäres Subjekt“[1] verhöhnt und diffamiert wird. Was übrigens Anlass für uns ist, uns gründlich und polemisch damit auseinanderzusetzen. Wenn die Arbeiterklasse ihr altes Selbstbewusstsein nicht wiedererlangt und demgemäß handelt, wenn’s um Frieden und Demokratie geht, wird’s auch nichts mit dem Kampf um einem zukunfts- und überlebensfähigen Sozialismus. Davon sind wir überzeugt. Und was bietet sich da besser an, um für diesen Gedanken und natürlich diese Marxistischen Blätter zu werben, als der Mai? Darum starten wir am 1. Mai, dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse, mit dem Sonderheft zur Oktoberrevolution auch unsere „Kampagne 100 Plus“ bei der es um die umfassende Stärkung der Marxistischen Blätter geht, durch neue Abo’s, Buchversand und Spenden. Denn nur mit „mehr Marxismus in den Köpfen“ wird die Arbeiterklasse erneut zu alter Stärke finden.

UZ: Konkreter Titel der Marxistischen Blätter ist „1917–2017 – was war, was wurde, was bleibt“. Der Schwerpunkt beginnt aber mit einer Gratulation eines russischen Schriftstellers zum 100. Jubiläum. Warum?

Lothar Geisler: Der hundertste Jahrestag der russischen Doppelrevolution wirft natürlich die Frage nach deren geschichtlicher Bedeutung auf und danach, inwieweit dieses historische Ereignis von Bedeutung ist für die Gegenwart und die heutigen Kämpfe in der Welt. Und selbstverständlich für die Suche nach erfolgversprechenden Wegen zu einem überlebensfähigen Sozialismus, wie die international sehr lebhaften Strategiedebatten und auch die anhaltenden Diskurse über „Post-Kapitalismus“ zeigen.

Der hundertste Geburtstag der russischen Revolution ist aber vor allem ein Grund zum Feiern. Zumindest für uns und viele andere KommunistInnen auf allen Kontinenten. „Reclaiming our Victories“ – titelte das südafrikanische Theorieorgan „African Communist“ Anfang des Jahres, was heißt, die eigenen Siege verteidigen, aneignen, nutzbar machen. Siege soll, ja muss man feiern. Denn nicht nur aus Niederlagen ist zu lernen. Das mag uns deutschen Linken vor dem Hintergrund unserer spezifischen Geschichte und geostrategischen Lage möglicherweise schwerer fallen als anderen. Ein Nebenaspekt, warum wir in diesem Sonderheft anderen den Vortritt gelassen haben.

UZ: Wem habt ihr den Vortritt bei den „Jubiläumsbeiträgen“ gelassen?

Lothar Geisler: Unsere Grundidee war, zu aller-erst KommunistInnen aus den BRICS-Staaten zu fragen, wie sie die russische Revolution, ihre Bedeutung und eventuelle Fernwirkungen heute sehen. Warum? Wegen ihrer Bedeutung beim Ringen um eine multipolare, demokratische Weltordnung ohne imperialistische Dominanz.

Den ersten „internationalistischen“ Block des Schwerpunktes bilden darum Beiträge von Kommunisten aus Russland, Indien, Brasilien und Südafrika mit jeweils eigenen Akzenten über die große Bedeutung der Oktoberrevolution und Lehren aus ihr. Aus China konnten wir leider noch keinen Beitrag organisieren. Über China, das Ende der kolumbianischen Epoche und das – von der Oktoberrevolution inspirierte – Ringen um nationale Souveränität und eine andere Weltordnung schreibt aber Domenico Losurdo in seinem sehr zu empfehlenden Buch „Klassenkampf“, was wir mit freundlicher Genehmigung des PapyRossa-Verlages als Leseprobe bringen. Mit aufgenommen haben wir auch einen Beitrag der portugiesischen KP, die ja – ähnlich wie die südafrikanische Partei bei ihrem Sieg über das Apartheidsregime – in der Nelkenrevolution 1974/75 eigene, wichtige Erfolge erkämpft und Erfahrungen gesammelt hat, die verallgemeinerbar sind.

Erst im zweiten Block stehen, wie schon erwähnt – insbesondere für unsere jüngeren LeserInnen – die beiden Revolutionen als historisches Ereignis im Mittelpunkt. Unser jüngster Redaktionszugang Gerrit Brüning gibt einen kurzen Überblick über das Jahrhundertereignis Oktoberrevolution. Und ein alter Freund der Marxistischen Blätter, der österreichische Historiker und Kommunist Hans Hautmann, skizziert die Februarrevolution und ihre Entwicklung bis in den Sommer 1917.

UZ: Der dritte Block des Schwerpunktthemas „Oktoberrevolution in der Diskussion“ beginnt mit einem Vortrag des sozialdemokratischen Historikers Peter Brandt. Warum das?

Lothar Geisler: Ein Blick auf die Veranstaltungskalender diverser Stiftungen, Arbeitskreise und die Vorankündigungen nicht nur linker deutscher Verlage zeigt, wie sehr die russische Revolution nach hundert Jahren noch Gegenstand von ernsthaften, kontroversen Debatten ist. Gängige antikommunistische Geschichtspropaganda lass’ ich mal außen vor. Da geht es natürlich um unterschiedliche Bewertungen und auch Antworten auf die Frage, warum der Hundertjährige Jubilar nicht mehr unter uns weilt. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Natürlich auch mit sozialdemokratischen Ansichten, auch wenn man sie nicht durchgängig teilt. Und wenn das mit der Aktionseinheit zukünftig was werden soll, müssen sich auch die Sozialdemokraten selbstkritischer mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen. Wir zumindest tun das, wie die drei veröffentlichten Vortragsauszüge von Nina Hager, Raimund Ernst und Willi Gerns zeigen. Hochspannend ist auch der abschließende Beitrag des Militärhistorikers Lothar Schröter, dem wir die Überschrift „NATO jagt Roter Oktober“ gegeben haben. In seinem Zentrum steht die erst seit kurzem zugängliche NATO-Studie „Über die langfristigen Tendenzen in den Ost-West-Beziehungen“ vom Mai 1978, die u. a. eine für die Zeit bemerkenswert realistische Analyse des inneren Zustandes der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder beinhaltete.

Soweit zum Sonderheft, das darüber hinaus noch Rezensionen zu spannenden „Revolutionsbüchern“ enthält. Das Thema ist für uns noch bei weitem nicht erschöpft. Weitere Beiträge folgen mit Sicherheit in den kommenden Ausgaben.

[1]Siehe Micha Brumlik in „Blätter für deutsche und internationale Politik, 1_2017

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"Siege soll man feiern – Nicht nur aus Niederlagen lernen", UZ vom 21. April 2017



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