Gerhard Richter und sein „Grauer Spiegel“ in Köln

Spieglein, Spieglein an der Wand

Dietmar Spengler

Die Zeit ist aus den Fugen. In der Domstadt mit dem Kardinal, der aussieht wie ein Ministrant, geschehen merkwürdige Dinge. Da ist die Peterskirche, durch den letzten Krieg recht mitgenommen. Sie ist die Taufkirche von Peter Paul Rubens. Er malte im Auftrag des Unternehmers Eberhard Jabach IV. für die Kirche ein Altarbild mit der „Kreuzigung Petri“ (1638/1640). Nun haben sie den Petrus ab- und den „Grauen Spiegel“ von Gerhard Richter aufgehängt.

Dass Rubens häufig eine Ästhetik der Gewalt praktizierte, steht außer Zweifel. Dies ist der Bildrhetorik seiner Zeit geschuldet. Martyrien entspringen der zeitgenössischen Erfahrung. Ketzerverfolgung zerrüttete die Gesellschaft und die Raserei des Dreißigjährigen Kriegs verwüstete zu Rubens’ Lebzeiten Europa. In der Petrus-Kreuzigung, die Rubens für seine Kölner Heimatkirche schuf, geht der Sechzigjährige „bis an die Grenze seiner künstlerischen Möglichkeiten wie auch seiner frommen Empathie“ (W. Sauerländer). In erster Linie hängt hier ein Propagandabild der „Ecclesia triumphans“ (eine theologische Begründung der siegreichen Kirche), eindrucksvoll und beängstigend. Doch nun ist es abgehängt! Platzwechsel ist das Bild eigentlich nicht gewohnt. Nur den Louvre hat es schon gesehen, 1794, als französische Revolutionstruppen es nach Paris mitnahmen. Jetzt aber steht es unter der Obhut der Restauratoren auf der Empore.

Um der glatten Betonwand die Strenge zu nehmen, hätte man auch in den reichen Kirchenfundus greifen können. Die Jesuiten, die die Kirche betreiben, beziehungsweise der künstlerische Leiter der Kunst-Station jedoch baten den berühmten Gerhard Richter (geb. 1932) um eine Leihgabe. Der Kunst-und-Kultur-Preisträger der deutschen Katholiken und Ehrenbürger Kölns stellte den „Grauen Spiegel“ zur Verfügung, um die leere Wand zu schmücken.

Bei dieser Spiegelinstallation, die Teil einer Bildgruppe des Jahres 2018 ist, handelt es sich um eine etwa 2 x 2 m große Glasscheibe, die rückseitig mit grauer Farbe beschichtet ist. Vier dieser Scheiben werden zurzeit in der Ausstellung „Painting After All“ im New-Yorker Metropolitan Museum of Art gezeigt.

Die Glasplatte, die durch die Beschichtung eine Art Spiegelfunktion bekommt, erscheint höchst simpel und erinnert an die verdunkelten Aufzugsspiegel, mit denen die Architekten Herzog und de Meuron ihre Nobelbauten ausgestattet haben.

Existentielle Fragen versus kontinuierliche Zweifel

Vorgestellt wird das Stück im Internetauftritt der Kunst-Station mit den Worten: „Rubens schuf eine dramatisch-sinnliche Summe barocker Bildkomposition, die in ungeheuerlicher Gegenwärtigkeit existentielle Fragen stellt. Der ‚Graue Spiegel‘ steht für Richters kontinuierlich geäußerten Zweifel, ob das, was wir sehen, der eigentlichen Wirklichkeit des Wahrgenommenen entspricht.“ Unkommentiert bleibt allerdings, wie sich die „ungeheuerliche Gegenwärtigkeit existentieller Fragen“ in Rubens‘ Petrus-Kreuzigung ausdrückt. Welche „existentiellen Fragen“ werden darin angesprochen und worin artikuliert sich die „ungeheuerliche Gegenwart“? Von der „dramatisch-sinnlichen Summe“ gar nicht zu reden. Wer noch einigermaßen bei Sinnen ist, muss sich fragen, ob derartige ontologische Eiertänze nicht eher geeignet sind, das sich dorthin verirrende Publikum zu erschrecken anstatt sachlich zu informieren.

Alles sehen – nichts begreifen

Mit Statements zu seinen Werken hält sich der Künstler bekanntlich sehr zurück. Meist lässt er die Werke für sich sprechen. Zum vorliegenden Objekt könnte eine frühe Notiz von 1966 Aufschluss geben: „Glas Symbol (alles sehen/nichts begreifen).“ Weiterführend ist dies nicht.Während die Petrus-Kreuzigung durch drastische Bildsprache Dynamik gewinnt, gefällt sich das „Spätwerk“ Gerhard Richters als gespiegelte Beliebigkeit. Man muss das nicht verstehen! „Nichts begreifen“ heißt es im obigen Zitat, denn Richters Werke entbehren jeder Aussage. Deutung hin, Exegese her: Richters Werk bietet eine Benutzeroberfläche, die sich mit jedweder Erscheinung füllen lässt und in der sich nach Belieben alles spiegeln kann. Richters Farbmustertafeln, seine verwischten Grau- und Farbbilder nach Fotografien, die krass aufleuchtenden abstrakten Farbwände sowie die spiegelnden Glasplatten dokumentieren sein stetes Streben nach dem, was landläufig als schön gilt. Richter ist ein „Schönmaler“. „Berückend schön“ werden seine Wolkenbilder und Seestücke gelobhudelt. Und „gutes Handwerk“ sagt der Fachmann. Eigenkommentare zu seinen Werken lesen sich wie die lakonischen Ergüsse eines Schweigers: „Es sieht gut aus, was soll ich sagen?“ und „Hübsch gemacht“.

Dem Publikum gefällt das, der Kunsthandel reibt sich die Hände und das Feuilleton hat einen Namen, der Auflage verspricht. Im aktuellen Künstler-Ranking liegt der stoppelbärtige Alte nach wie vor weltweit an erster Stelle. Er hält den Weltrekord als teuerster lebender Künstler. Die wichtigen Trophäen gehören ihm – vom Goldenen Löwen in Venedig bis zum renommierten Praemium Imperiale. Richters Oeuvre ist riesig, wie sein Vermögen. Seine Mitarbeiter arbeiten am Fließband. Großmeister Peter Paul war ihm allerdings auch hier mit seinem Pinselspitzenfinish voraus.

Der Mensch erscheint als ausgefuchster Schlauberger. Kein Prahlhans, bescheiden und zurückhaltend gibt er sich, im Unterstatement kokettiert er, zweifelt, lamentiert über seinen Erfolg. Aber was er anpackt, macht er zu Gold. Jetzt, in seinen Achtzigern, scheint ihn die katholische Kirche mehr und mehr anzuziehen. Schließlich muss man sich um sein Seelenheil kümmern. Nachdem der vormalige Kölner Kardinal ihn mit seinem Domfenster als „Moschee-adäquat“ düpiert hatte, muss er nun bei den Jesuiten antichambrieren. Als ehemalige Sturmtruppe Christi haben die jedenfalls den besseren Draht nach oben.
Was der „Gott“ genannte davon hält, bleibt uns kleinen Geistern leider verschlossen. Über dessen Geschmack haben sich Generationen von Theologen den Kopf zerbrochen. Denn wie heißt es im 2. Korintherbrief 3,18: „Wir alle sehen in Christus mit unverhülltem Gesicht die Herrlichkeit Gottes wie in einem Spiegel. Dabei werden wir selbst in das Spiegelbild verwandelt und bekommen mehr und mehr Anteil an der göttlichen Herrlichkeit. Das bewirkt der Herr durch seinen Geist.“

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"Spieglein, Spieglein an der Wand", UZ vom 6. November 2020



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