Zum Tod des Schriftstellers und Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase

Spröde Lakonie, ironischer Humor,
aber auch Bitternis

Wolfgang Kohlhaase, geboren in Berlin 1931 als Sohn eines Maschinenschlossers, mit dem er sich verbunden fühlte, war zu Lebzeiten eine Legende, keiner hielt seinen Tod für möglich. 91 Jahre sei er? Das war für ihn kein Alter: Am 3. Oktober eine Lesung in Neuhardenberg, einen Tag später eine in Berlin und am 5. Oktober – da meldeten Funk und Presse, Wolfgang Kohlhaase sei gestorben.

In den ersten Nachrufen kommt eines zu kurz: Aufgelistet werden die überragenden Erfolge Kohlhaases als Drehbuchautor und Regisseur, etwa Titel wie „Ich war neunzehn“ (1968), „Solo Sunny“ (1980) und „Sommer vorm Balkon“ (2005), geschaffen mit namhaften Regisseuren wie Gerhard Klein, Konrad Wolf, Frank Beyer und Alfred Dresen. Zu kurz kommt der Schriftsteller, der er im Alter vorwiegend war und der den Vergleich mit Hemingway verträgt, von dem er manche Lakonie entlehnt hat. Es sind keine großen Romane, die er geschrieben hat, sondern Geschichten, Erinnerungen und Hörspiele, oft sowohl als auch. Sein berühmtestes Buch war sein erstes: „Silvester mit Balzac“ (1977). Seit dem Erscheinen – Kohlhaase war schon ein erfolgreicher Drehbuchautor und berühmt – wurde es bis in die Gegenwart aufgelegt oder Erzählungen daraus, wie „Erfindung einer Sprache“, gaben Sammlungen den Titel. Einzelne Geschichten waren zuvor in „Sinn und Form“ und „Neue Deutsche Literatur“ erschienen und mit ihren novellistisch zugespitzten Inhalten, den ironisch-heiteren Brechungen und der Vermittlung von Betroffenheit den Lesern aufgefallen.

4111 Kohlhase - Spröde Lakonie, ironischer Humor,<br>aber auch Bitternis - Literatur - Kultur
Wolfgang Kohlhaase bei „Lesen gegen das Vergessen“ 2017 in Berlin (Foto: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag)

Kohlhaase wählte in seinen Werken individuelle Schicksale – die Sängerin Sonny wurde ein eindrucksvolles Beispiel in seinem Werk –, die er trotz überraschender Wendungen im Individuellen, manchmal Außergewöhnlichen oder gar Absonderlichen beließ. Manche erschienen wenig belangvoll, allenfalls absonderlich, waren aber bedeutungsvoll für eine gesellschaftliche Entwicklung, die – konzentriert oft auf Berlin, das oft in die Titel seiner Filme einging („Berlin – Ecke Schönhauser“, 1957) und andere – über das Individuelle hinausreichte und ihm seinen Platz in der Gemeinschaft verschaffte, ohne dass Individualität aufgegeben werden musste. Soziale und damit grundsätzlich historische Widersprüche gerieten in den Blick, wie im „Begräbnis einer Gräfin“: Die aus dem Osten stammende Gräfin von Mollwitz ist 1952 im Westen gestorben; sie hat verfügt, auf Usedom begraben zu werden, wo sie die Bäume „hat wachsen sehen“. Hinter dieser Absicht steht, wie oft bei den Geschichten, ein verbürgtes Geschehnis. Beim Schildern dieser ausgefallenen Ereignisse gelang es Kohlhaase meisterlich, mit wenigen Worten die anspruchsvollen Vorhaben einer neuen Gesellschaft anzudeuten, ohne dass sie entsprechende Grundlagen oder erfahrene Menschen zur Verfügung hatte: „Christenmenschen und Parteimenschen und oft beides, alle beugen sich über den gleichen Boden und haben die gleiche Erde unter den Nägeln.“ Der traurige Vorgang wird mit Sprachwitz ironisch gebrochen und fast zur Satire, ohne einseitig zu werden.

Kohlhaase war ein Meister der Sprache, auf allen Gebieten. Er schrieb kurze, fast wie Schläge wirkende Sätze, die rhythmisch gegliedert wirken wie in Theodor Pliviers Roman „Stalingrad“, ebenso wie lange, klingende Satzkonstruktionen, wie sie Meister der deutschen Sprache wie Thomas Mann auszeichnen. Bei ihm finden sich Sätze, die das Gewicht einer Erzählung haben und die er sammelte, zum Beispiel dieser: „Ein falscher Satz kann viel Schaden anrichten und ein richtiger Satz im falschen Moment auch.“ („Inge, April und Mai“ aus „Silvester mit Balzac“) Die Sprache war sein Lieblingsthema; seine schönste Erzählung war und ist für mich „Erfindung einer Sprache“, die eine aussichtslos erscheinende, trostlose Situation, in der sich zwei Menschen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges befinden, mit Sprachwitz und Sprachspiel überwindet. Der Kapo Battenbach und der halb verhungerte gefangene holländische Physikstudent Straat werden durch eine Sprache verbunden, die es nur für sie gibt. Sie wird als „Persisch“ ausgegeben, ist aber eine Konstruktion des Studenten, mit der er sein Leben rettet. Die Erzählung spielt im April 1944 in einem KZ; diese Zeit ist für den Schriftsteller Kohlhaase prägend geworden.
Er konnte Sentenzen mit wenigen Worten ironisch färben und sein Student in besagter Erzählung zaubert aus dem Wort „Krematorium“ mehr als ein Dutzend Wörter eines fiktiven Persisch, das schließlich – „Ein Maitag wird kommen“, der Krieg ist zu Ende – ihn bis zu seiner Befreiung führt. Ein Bewunderer Kohlhaases um diese Fähigkeit war Hermann Kant, der sich in einem Klappentext zu „Silvester mit Balzac“ äußerte: Kohlhaase „schrieb immer Vorzügliches, wenn er Seh- und Hörstücke machte, und blieb eine Hoffnung, wo es um deutsche Prosa ging, die erst zählt, wenn sie in einem Buch versammelt ist“. Die Werke beider Autoren haben, insbesondere bei sprachlichen Mitteln, manche Gemeinsamkeit.

Kohlhaase, ausgezeichnet mit dem Nationalpreis der DDR ebenso wie mit dem Bundesverdienstkreuz, blieb ein klardenkender, konsequenter Zeitgenosse, der niemals verleugnete, wofür er lebenslang eingetreten war: Menschlichkeit war ein Kriterium für den Wert einer Zeit; die Zeit aber ist, ohne ein aufdringliches Panorama abzugeben, jene, die Kohlhaase mitgestalten wollte und mitgestaltet hat. Daran hat er trotz der Ereignisse von 1989 nie Abstriche gemacht, aber er hat sich auch vieler Schlagwörter enthalten.

Solange es die deutsche Sprache gibt und diese nicht von dummdreisten Attacken gestört, verballhornt und verunstaltet wird, so lange leben Wolfgang Kohlhaases Texte, Geschichten und mehr als 30 Filme, die Themen einer neu entstehenden Gesellschaft aufnahmen und sie vielgestaltig anboten. Die deutsche Sprache vom Dialekt bis zum Jargon fand er vorwiegend im Berliner Raum; er schaute „dem Volke aufs Maul“, und erhob alltägliche Menschen zu literarischen Gestalten.

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Über den Autor

Rüdiger Bernhardt (Jahrgang 1940). Nach dem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, Skandinavistik und Theaterwissenschaft (Prof. Dr. sc. phil.) tätig an Universitäten des In- und Auslandes und in Kulturbereichen, so als Vorsitzender der ZAG schreibender Arbeiter in der DDR, als Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung (1994-2008) und in Vorständen literarischer Gesellschaften. Verfasser von mehr als 100 Büchern, Mitglied der Leibniz-Sozietät, Vogtländischer Literaturpreis 2018.

Er schreibt für die UZ und die Marxistischen Blätter Literaturkritiken, Essays und Feuilletons zur Literatur.

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"Spröde Lakonie, ironischer Humor,
aber auch Bitternis", UZ vom 14. Oktober 2022



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