Das Ende von Trump und der „Pearl-Harbor-Moment“ der Krise 2020

Sturm aufs Capitol?

Die Bilder waren im Kasten. Die „freie und demokratische Welt“ hatte ihr Aufregerthema. Die Kanzlerin zeigte sich „wütend und traurig“. Und nicht nur sie. Der Polizeichef räumte sein Versagen ein. Dem US-Präsidenten wurden die Kommunikationsstränge Facebook und Twitter gekappt. Die Demokraten verlangen die Amtsenthebung, wenige Tage vor Ende der Amtszeit. Das würde Trump die Chance auf ein Comeback 2024 verbauen. Was war passiert? Keine Frage, es war nicht gerade der gesellschaftliche Fortschritt, der da am 6. Januar durch Washington marschierte: White Supremacy, Proud Boys, America-Firsters, Turning Point USA, der rechte Exil-Mob aus Vietnam, Hongkong, Venezuela, Kuba und Iran, eben alles, was an militanter Reaktion so zu mobilisieren war.

74 Millionen US-Bürger hatten bei der Wahl Donald Trump gewählt. Rund 10 Millionen mehr als 2016. Trump sprach von einem Erdrutschsieg und wollte seine Niederlage gegen Joseph Biden (81 Millionen Stimmen) nicht akzeptieren. Die große Mehrheit seiner Anhänger glaubt ihm und hält die Meldungen der Kartellmedien für Fake-News. Viele von ihnen wollten am 6. Januar in Washington für ihren Präsidenten demonstrieren.

Das alles war kein Geheimnis und trotzdem blieb der sonst festungsartig geschützte Kongressbezirk mehr oder weniger unbewacht oder wurde nur von wenigen, freundlich die Tore und Türen freigebenden Sicherheitskräften umstanden. Schulterklopfen, ein Selfie zum Andenken an den tollen Tag in der Hauptstadt; die martialisch, mit hunderten Panzern, zigtausenden Maschinengewehren und sonstigem schweren militärischen Gerät ausgerüstete Bürgerkriegspolizei, die regelmäßig jede linke Protestkundgebung in einer Gewaltorgie erstickt und es auf rund tausend tote US-Bürger pro Jahr bringt, zeigte sich von der netten Seite. Von einem „Sturm auf das Capitol“ kann, wie zahlreiche Videos zeigen, kaum die Rede sein. Erst als die Pro-Trump-Demonstranten im Gebäude waren und nun nicht so recht wussten, was sie dort machen sollten, schaltete der Sicherheitsstaat auf Straßenkampf um. Wütende Randalierer in Hongkong – ok, aber in Washington … Was in Caracas, Kiew oder Damaskus verzweifelte Aufschreie einer geknebelten und entrechteten Bevölkerung wären, war hier selbstverständlich verabscheuungswürdige Randale.

Der demokratische Senator Charles Schumer verglich die Vorgänge am Capitol Hill mit dem japanischen Angriff auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor 1941. Es sind auch andere Vergleiche gezogen worden. Zum Beispiel. mit dem Reichstagsbrand 1933 oder mit den Anschlägen am 11. September 2001. So sehr die Vergleiche auch hinken mögen, klar ist, es handelt sich um Schocksituationen, die von den Herrschenden für ihre Absichten rücksichtslos ausgenutzt wurden. So dürfte es auch mit dem 6. Januar 2021 gehen. Inwieweit diese Vorgänge „fabriziert“ wurden, ist eine andere, allerdings sehr berechtigte Frage. Dass Schumer den Vergleich zu Pearl Harbor zieht, deutet an, wie weit der Führer der Demokraten zu gehen bereit ist. Auf Pearl Harbor folgte der Kriegszustand.

Joseph Biden hatte sich schon oft der Autorenschaft für den „US Patriot Act“ gerühmt, der auf wundersame Weise schon eine Woche nach „9/11“ in Kraft gesetzt werden konnte. Noch schneller war Biden beim „Omnibus Counterterrorism Act“ von 1995. Dieser wurde am 10. Februar 1995 verabschiedet, also gut zwei Monate bevor Timothy McVeigh das Staatsgebäude in Oklahoma in die Luft sprengte. Biden, Schumer und Pelosi, besser gesagt, die Kräfte hinter ihnen, werden auch diesmal um eine „freiheitlich-demokratische“ Antwort nicht verlegen sein. Getreu dem Motto: Lass niemals eine Krise ungenutzt vorübergehen, werden sie auch diesmal die Chance auf weitere Repression, Zensur und Kriminalisierung ergreifen. Die Maßnahmen des Washingtoner Establishments, die Zensur des Präsidenten, die Forcierung eines Amtsenthebungsverfahrens und damit eines Ausschlusses von den Wahlen 2024 wurden auch von vielen Linken gefeiert. Ein Pyrrhussieg. Ob die Figur Donald Trump nun vom Spielfeld genommen wird, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, was darauf folgt. Das Außerkraftsetzen von Grundrechten richtete sich wie beim Patriot Act oder beim Counterterrorism Act nur sehr, sehr bedingt gegen irgendwelche „Terroristen“. Gemeint war und wird auch jetzt wieder sein der gesellschaftliche Protest, der Protest gegen die miserablen gesellschaftlichen Zustände. Nun entscheiden fünf (!) ultrareiche Privatleute darüber, wer im Netz existieren darf und wer nicht. Mit der Macht, selbst den US-Präsidenten mundtot zu machen. Und man darf sicher sein, der US-Sicherheitsstaat wird mit der General-ermächtigung des 6. Januar auch weiterhin, auch mit dem neuen Law-and-Order-Frontrunner Joseph Biden, mit aller Härte zuschlagen.

Natürlich konnte weder Donald Trump noch können und wollen die beiden dem großen Geld und der US-Kriegsmaschine verpflichteten Monopolparteien die der Krise zugrunde liegenden Strukturen substantiell ändern oder auch nur modifizieren. Ihre Aufgabe ist es, den Maximalprofit, die Bereicherung der Ultrareichen politisch zu garantieren und die Kriegsmaschine am Laufen zu halten.

Der nun offiziell bestätigte neue „Hoffnungsträger“ Joseph Biden hat diese Aufgabe, wie in zahlreichen Interviews deutlich wurde, zu seiner Herzensangelegenheit erklärt. Das passende Personaltableau hat er bereits zusammengestellt. Der nun durch Corona beschleunigte Abstieg des Imperiums und die nach der Marginalisierung der Arbeiterbewegung miserablen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse lassen kaum einen positiven Ausblick zu. Nicht die Wahlen, die Zukunft wurde gestohlen. Dem US-amerikanischen Proletariat, den arbeitenden Menschen in den USA insgesamt, stehen harte Zeiten bevor.

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"Sturm aufs Capitol?", UZ vom 15. Januar 2021



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