Unvollständige Liste der Repression deutscher Staaten gegen Demokratie und Fortschritt

Tradition verpflichtet

Im August 1819 trafen sich Vertreter des Deutschen Bundes – eines Zusammenschlusses deutscher Fürsten, freier Städte, des österreichischen Kaiserreichs und des Königreichs Preußen – zu einer Geheimkonferenz im böhmischen Karlsbad. Dort wurden umfangreiche Maßnahmen gegen liberale und nationale Bestrebungen beschlossen, die sich massiv auf die Rechte in den Einzelstaaten auswirkten (Karlsbader Beschlüsse). Dazu gehörten Zensur der Presse, Überwachung der Universitäten und die Möglichkeit von Berufsverboten für Professoren, Verbot der Burschenschaften und das Verbot des Turnens.

Am 1. März 1832 wurde ein allgemeines Vereinsverbot in den deutschen Staaten gegen demokratische Forderungen nach Pressefreiheit, wie sie etwa auf dem Hambacher Fest erhoben wurden, erlassen. In der Folge wurden immer wieder Vereine verboten – etwa der Deutsche Volksverein. Seine Nachfolgeorganisation war der Bund der Geächteten, aus dem später der Bund der Gerechten (und aus diesem dann wiederum der Bund der Kommunisten) hervorging.

Juni 1844, Weberaufstand in Schlesien. Die „Hintermänner“ der angeblichen Verschwörung wurden verfolgt. Das Verbot, „die unteren gegen die höheren Stände, die Ärmeren gegen die Wohlhabenden aufzuregen“, wurde durch den preußischen König zur Leitlinie der Zensurbehören gemacht.

In der Folge der Revolution von 1848/49 kam es zu einer Welle der Repression. In Köln musste die „Neue Rheinische Zeitung“ ihr Erscheinen im Mai 1849 einstellen, ihr Redakteur Karl Marx wurde als Nichtpreuße des Landes verwiesen und emigrierte nach London. Drei Jahre später veranstaltete die preußische Klassenjustiz den Kölner Kommunistenprozess. Elf Mitgliedern des Bundes der Kommunisten wurde in einem Tendenzprozess als Hauptanklagepunkt ihre Mitgliedschaft vorgeworfen. Trotz offensichtlich gefälschter Beweise wurden acht Angeklagte zu Festungshaft verurteilt.

Von 1878 bis 1890 galt im Deutschen Reich das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“. Das Erstarken der Organisationen der Arbeiterbewegung und die Erhebung des Pariser Proletariats 1871 hatten die Herrschenden in Angst und Schrecken versetzt. 1872 wurden August Bebel und Wilhelm Liebknecht im Leipziger Hochverratsprozess zu Festungshaft verurteilt. Sie hatten die Zustimmung zu den Kriegskrediten für den Deutsch-Französischen Krieg verweigert und einen Friedensvorschlag ohne Annexionsforderungen gemacht. Zwei Attentate auf den Kaiser, die keinerlei Verbindung zur Sozialdemokratie hatten, nahm Reichskanzler Otto von Bismarck zum Anlass dafür, die Arbeiterbewegung zu beschuldigen und seinen Gesetzentwurf zu begründen. Das Sozialistengesetz verbot jegliche Vereine, Versammlungen und Schriften der Sozialdemokratie und zwang diese in die Illegalität. Nur die Reichstagsabgeordneten waren als Privatpersonen durch die Immunität geschützt und konnten weiterhin kandidieren.

Auf Initiative Kaiser Wilhelms II. unternahmen die Herrschenden im Jahre 1900 den Versuch, Kunst, Literatur und Theater zu zensieren. Begründet wurde dies mit der Darstellung „unsittlicher“ Handlungen, „welche durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls Ärgernis zu erregen geeignet sind“. Liberalem Bürgertum und Sozialdemokratie gelang es, in gemeinsamem Widerstand das Gesetz zu entschärfen.

Am 1. Mai 1916 wurde Karl Liebknecht als Anführer einer Antikriegsdemonstration verhaftet. Am ersten Prozesstag streikten in Berlin 50.000 Arbeiter aus Solidarität mit Liebknecht. Anfang des Jahres hatte die SPD-Fraktion im Reichstag Liebknecht und 19 weitere Abgeordnete wegen ihrer Antikriegshaltung ausgeschlossen. Mit Beginn des Krieges war der Begriff der „Schutzhaft“ erfunden worden, unter dem umfangreiche Zwangsmaßnahmen der Repressionsorgane ohne die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung eingeführt wurden. Rosa Luxemburg war eines der Opfer. Diese Maßnahmen wurden sowohl in der Weimarer Republik als auch im Faschismus fortgeführt.

Im Sommer 1922 wurde Außenminister Walther Rathenau von Reaktionären erschossen. Es kam zu Massendemonstrationen der Arbeiterbewegung und einer gemeinsamen Initiative der Arbeiterparteien und Gewerkschaften. Sie forderten das Verbot aller monarchistischen und antirepublikanischen Organisationen und die Säuberung von Verwaltung, Polizei, Militär und Gerichten. SPD und USPD stimmten dann dem sogenannten Republikschutzgesetz zu, das keiner der vorherigen Forderungen gerecht wurde und in der Folgezeit in erster Linie zur Niederhaltung der revolutionären Arbeiterbewegung diente.

Im November 1931 wurden der Herausgeber der „Weltbühne“, Carl von Ossietzky, und der Journalist Walter Kreiser im Weltbühne-Prozess zu je 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Sie hatten bereits bekannte Tatsachen in einem Artikel veröffentlicht, der sich mit der im Versailler Vertrag verbotenen Bildung einer Luftwaffe der Reichswehr beschäftigte. Im Juli 1932 konnte Ossietzky sich erfolgreich gegen den Vorwurf verteidigen, dass der von Kurt Tucholsky stammende Satz „Soldaten sind Mörder“ eine Verunglimpfung der Reichswehr sei.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Tradition verpflichtet", UZ vom 30. Juli 2021



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